Messerattacke von Grafing "Das passt alles nicht so richtig zusammen"
Nach der tödlichen Messerattacke in Grafing bei München verdichten sich die Anzeichen, dass der mutmaßliche Täter psychische Probleme hat. Der 27-jährige Beschuldigte habe in der Vernehmung widersprüchliche Aussagen gemacht, sagte ein Sprecher der Münchner Staatsanwaltschaft bei einer Pressekonferenz. "Das passt alles nicht so richtig zusammen nach den Vernehmungen."
Der Mann soll nun ärztlich untersucht werden, da es nach Angaben von Oberstaatsanwalt Ken Heidenreich Zweifel an seiner Schuldfähigkeit gebe. Der mutmaßliche Messerstecher ist laut Kriminaldirektor Lothar Köhler vom bayerischen Landeskriminalamt Schreiner, allerdings seit zwei Jahren arbeitslos. Er soll am Mittwoch dem Ermittlungsrichter vorgeführt werden.
Der Beschuldigte, bei dem es sich um Paul H. aus der Nähe von Gießen handeln soll, hatte laut Polizei bei seinem Angriff am Grafinger Bahnhof gerufen: "Ungläubiger, du musst jetzt sterben!" Nach eigener Aussage und Aussage eines Zeugen habe er auch "Allahu Akbar" gerufen.
Bislang gibt es laut Ermittlern keine Erkenntnisse zu einer politischen Radikalisierung des 27-Jährigen. Weder aus dem Staatsschutzbereich noch von Nachrichtendiensten gebe es Hinweise darauf, dass er in irgendeiner Form Bezüge zu islamistischen, salafistischen Gruppierungen oder Personen gehabt habe, sagte Köhler. Es handelte sich um einen Einzeltäter. Es gebe auch keine Hinweise darauf, dass etwa Videos zur Radikalisierung des Mannes beigetragen hätten.

Die Ermittler wollen einen möglichen Glaubenswechsel des Täters zum Islam prüfen. Er habe Angaben in diese Richtung gemacht, sagte Kriminaldirektor Köhler. Dies müsse aber noch geklärt und weiter ermittelt werden, um Angaben zu einem Motiv machen zu können.
Köhler zufolge ist unklar, ob Paul H. zur Tatzeit unter Drogeneinfluss stand. Der Geständige habe selbst angegeben, in der Vergangenheit Drogen konsumiert zu haben - bei ihm und in seinem Rucksack in Grafing sei kein Rauschgift gefunden worden.
Den Ermittlern zufolge war er schon vor zwei Tagen im Großraum Gießen auffällig geworden. Eine dritte Person habe die Polizei gerufen, weil er wirres Zeug geredet habe. Die Beamten hätten keine Anzeichen für eine Fremd- oder Selbstgefährdung gesehen, aber eine ärztliche Behandlung empfohlen, der H. auch nachgekommen sei. Demnach befand er sich in der Nacht von Sonntag auf Montag in psychiatrischer Behandlung.
In jüngster Zeit habe der Mann nach eigener Aussage Cannabis konsumiert, sagte Köhler. Es sei bisher aber kein Strafverfahren gegen ihn im Zusammenhang mit dem Besitz von Betäubungsmitteln bekannt.
Anreise mit zehn Euro und Survival-Messer
In der Nähe des Tatorts seien ein Personalausweis, ein Führerschein, persönliche Unterlagen, ein Rucksack und Schuhe gefunden worden, sagte Polizeivizepräsident Günther Gietl vom Präsidium Oberbayern Nord. Grafing war nach Angaben von LKA-Vizepräsidentin Petra Sandles ein "zufällig gewählter Tatort". Es sei nach den bisherigen Ermittlungen kein Bezug zu der oberbayerischen Stadt oder den Opfern erkennbar. Sie seien willkürlich gewählt, so Gietl.
Laut Ermittlern kam der 27-Jährige am Montag per Zug von Hessen nach München. Er suchte nach einem Hotelzimmer, hatte aber nur zehn Euro Bargeld bei sich und fand daher keine Unterkunft. Er habe einige Zeit im Bereich des Münchner Hauptbahnhofs verbracht und sei dann am frühen Dienstagmorgen in Grafing angekommen.
Wie Videobilder vom dortigen Bahnhof nahelegen, war er vermutlich schon gegen halb zwei morgens in Grafing. Mit einer Art Survival-Messer, so Polizist Gietl, habe er dann ab etwa 4.45 Uhr vier Männer angegriffen: Einen in der S-Bahn, einen am Bahnsteig, zwei am Bahnhofsvorplatz. Ein 56-Jähriger aus Oberbayern starb, ein Mann wurde schwer verletzt, zwei wiesen erhebliche Stichverletzungen auf.
Kurz nachdem die erste Streife am Tatort eintraf, ließ sich der Täter widerstandlos festnehmen. Dabei habe er ein Messer am Gürtel getragen, sagte Gietl.
Die genauen Tatabbläufe müssen noch ermittelt werden, es gibt unterschiedliche Zeugenaussagen. Generell machten Polizei und Staatsanwaltschaft klar, dass die Ermittlungen noch ganz am Anfang stehen. Die Vernehmung des Tatverdächtigen und die Durchsuchung seiner Wohnung laufen, Zeugen werden befragt.