Großbritannien Satelliten sollen Sexverbrecher verfolgen
Hamburg - Seit dem Mord an der kleinen Sarah vor sechs Jahren debattiert Großbritannien über eine schärfere Überwachung von Kinderschändern. Jetzt hat sich Barnardo's, das größte Kinderhilfswerk des Landes, in die Diskussion eingeschaltet. Es schlägt in einem neuen Bericht vor, Sexualverbrecher mithilfe von Satelliten zu überwachen. "Für Leute, die ernsthaft gefährlich sind, kann der Einsatz von Satelliten den entscheidenden Unterschied machen. Im US-Staat Florida wird das schon erfolgreich umgesetzt und in Iowa gerade eingeführt", sagte Martin Nary, Chef der Organisation.
Außerdem könne man elektronische Fußfesseln und Lügendetektoren einsetzen, um die Pläne und das allgemeine Verhalten von Vorbestraften besser zu kontrollieren. Pilotprojekte in Großbritannien hätten gezeigt, dass in 80 Prozent der Fälle die Befragung mit einem Lügendetektor hilfreiche Informationen liefert - zum Beispiel bei der Frage, ob ein Mann vor einer Schule herumgelungert hat. So sei es möglich, Sextäter unter Kontrolle zu bringen.
Der Fall, der die Debatte ausgelöst hat, bewegt Großbritannien noch heute. Die damals achtjährige Sarah verschwand an einem warmen Sommerabend: Mit ihrer Schwester und den beiden Brüdern besuchte sie am 1. Juli 2000 ihre Großeltern an der Südküste Englands. Die Geschwister spielten Verstecken, im Getümmel bekam Sarah einen Schlag am Kopf ab. Sie war wütend, wollte nach Hause zu den Großeltern, zwängte sich durch ein Loch in einer Hecke. Als die Brüder ihr Sekunden später folgten, war sie spurlos verschwunden - Luke und Lee sollten ihre Schwester nicht lebend wiedersehen.
Verzweifelt suchte die ganze Familie nach dem vermissten Kind. Die Eltern wandten sich täglich im Fernsehen an den Entführer, später auch die Geschwister. Ein Heer von Polizisten und freiwilligen Helfern durchsuchte die Gegend unermüdlich. 16 Tage nach ihrem Verschwinden fanden Polizisten eine verwesende Mädchenleiche am Straßenrand in der Nähe der Stadt Pulborough - Sarah. Sie war missbraucht und erwürgt worden. Als Verdächtigen machten die Ermittler schnell einen einschlägig vorbestraften Mann aus, Roy Whiting. Im Dezember 2001 wurde er wegen Mordes an Sarah Payne zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Kritiker fürchten Hatz auf Unschuldige
Großbritannien zeigte sich nach dem Fall Sarah entsetzt, dass ein verurteilter Sexualverbrecher und Pädophiler aufs Neue zuschlagen konnte. Angefacht wurde die Debatte durch eine Kampagne des Sonntagsblatts "News of the World". Die Zeitung veröffentlichte Dutzende Namen von Sexverbrechern inklusive Fotos und Adressen. Wochenlang zogen danach wütende Massen zu echten oder vermeintlichen Kinderschändern, es kam zu Übergriffen auf Unschuldige, mehrere Beschuldigte brachten sich um. Die Zeitung stellte die Veröffentlichung der Namen nach zwei Folgen schließlich ein.
Doch die Diskussion um "Sarah's Law" dauert bis heute an - nach dem Vorbild von "Megan's Law" in den USA. Im Juli 1984 hatte ein vorbestrafter Kinderschänder in New Jersey die sieben Jahre alte Megan Kanka vergewaltigt und ermordet. Aus dem Fall entstand ein Gesetz, das es Behörden erlaubt, Gemeinden und Bürger über Sexverbrecher zu informieren, die in ihrer Nachbarschaft wohnen - mit Namen, Adressen und Fotos. In Europa ist dieses Vorgehen allerdings umstritten. Kritiker fürchten eine Hatz auf Täter, die ihre Strafe verbüßt haben, oder auf Unschuldige, die Opfer von Verwechslungen werden.
In Großbritannien befürwortet unter anderem die Familie der ermordeten Sarah ein solches Gesetz: Sie erhofft sich besseren Schutz der Kinder vor Wiederholungstätern. Angefacht wurde die Debatte in dem Land kürzlich durch einen Bericht, dass Kinderschänder in Übergangshäusern für Freigänger Kontakt mit Kindern aufnehmen können. Innenminister John Reid hatte nach dieser Enthüllung angeordnet, diese Einrichtungen untersuchen zu lassen.
"Umfassendere Ressourcen zur Überwachung"
Für das Kinderhilfswerk Barnardo's war auch diese neue Debatte nun Grund, sich mit seinen Forderungen zu Wort zu melden - und explizit vom Veröffentlichen der Namen von Sexverbrechern abzuraten. Geschäftsführer Nary sagte, man habe sich "ganz dem Schutz der Kinder verschrieben. Aber wir glauben, dass ein 'Sarah's Law' besorgte Eltern in falscher Sicherheit wiegen würde - und letztlich eine größere Gefahr für die Kinder darstellt, keine geringere." In den USA sei die Kontrolle von Kinderschändern nach ihrer Freilassung durch "Megan's Law" schwieriger geworden. Sinnvoller seien die Überwachung der Täter per Satellit, durch elektronische Fußfesseln und der Einsatz von Lügendetektoren. Die Bewährungshelfer in Großbritannien bräuchten jede mögliche Hilfe, um Sexverbrecher nach dem Ende ihrer Haftstrafe zu überwachen.
Paul Cavadino von Narco, einer britischen Organisation zur Verbrechensbekämpfung, verspricht sich viel von den Vorschlägen in dem Barnardo's-Bericht. Kinder würden durch die Einführung von "Sarah's Law" nur stärker gefährdet. "Sexualstraftäter würden vermutlich öfter umziehen, ihre Namen ändern und abtauchen, um zu vermeiden, dass sie erkannt werden." So werde es nur schwerer, die Täter unter Beobachtung zu halten. "Umfassendere Ressourcen zur Überwachung von Sexverbrechern würden die Öffentlichkeit wesentlich besser schützen."