»Nicht fair, nicht erforderlich, unangemessen« Freiheitsrechtler kündigen Klage gegen Corona-Notbremse an

Leere Hamburger Innenstadt
Foto: HANNO BODE / imago images/Hanno BodeDie Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) übt heftige Kritik an der geplanten, bundeseinheitlichen Notbremse zur Pandemiebekämpfung – auch in ihrer abgeschwächten Form. »Die geplante Ausgangssperre zur Pandemiebekämpfung ist nicht fair, sie ist nicht erforderlich, und sie ist unangemessen«, sagte der Vorsitzende Ulf Buermeyer. Die Organisation hält die Neuregelung für verfassungswidrig und will sie vor Gericht zu Fall bringen.
Die GFF stehe hinter der Bekämpfung der Coronapandemie und sei bisher auch gegen keine Maßnahme eingeschritten, sagte Buermeyer. Er hatte frühere Coronaverbote sogar verteidigt. Die Grenzen der Verfassung würden mit den nun geplanten Ausgangssperren aber nicht mehr eingehalten. Außerdem seien die Lasten in der Pandemie ungleich verteilt, so zielten die bisherigen Grundrechtseingriffe vor allem auf das Privatleben ab, es gebe aber kaum effektive Regeln zum Schutz vor Infektionen in der Arbeitswelt.
Die Fraktionen von CDU, CSU und SPD hatten sich darauf verständigt, den Regierungsentwurf für die sogenannte Bundes-Notbremse abzuändern. Ausgangsbeschränkungen soll es nun von 22 Uhr bis 5 Uhr geben – eine Stunde später als zunächst geplant. Joggen und Spaziergänge würden bis Mitternacht erlaubt bleiben, allerdings nur allein. Die Maßnahmen sollen greifen, wenn die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen binnen einer Woche pro 100.000 Einwohner, in einer Stadt oder einem Landkreis drei Tage lang über 100 liegt. Der Bundestag will die Regelung am Mittwoch beschließen.
Ausgangssperre als letztes Mittel durchaus denkbar
Für die Verfassungsrechtlerin Anna Katharina Mangold von der Universität Flensburg, die für die GFF ein Rechtsgutachten erstellt hat, ändert das aber nichts an den grundsätzlichen Problemen. Gebotene Ausnahmen fehlten, etwa für Geimpfte. Effektive Kontrollen seien unwahrscheinlich, denn der zulässige Spaziergang dürfte sich nur schwer vom verbotenen Nachhauseweg von der Privatparty unterscheiden lassen.
Mangold zufolge genügt die geplante Ausgangssperre »nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot und ist unverhältnismäßig«, weil ein schlüssiges Gesamtkonzept fehle. »Sie verletzt in ihrer derzeitigen Ausgestaltung das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das Ehe- und das Familiengrundrecht, die Berufsfreiheit, das Eigentumsgrundrecht, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die allgemeine Handlungsfreiheit.« Hinzu komme, dass sich die Bürgerinnen und Bürger, die ihre Grundrechte ausüben, dann auch noch rechtfertigen müssten – dabei sei es Sache des Staates, Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu rechtfertigen.
Dabei halten Mangold und die GFF eine befristete Ausgangssperre als Teil eines Gesamtkonzepts und als ultima ratio durchaus für zulässig, um die Ansteckungen ein für alle Mal auf ein niedriges Niveau zu drücken, das Lockerungen erlaubt. Dabei müsste aus ihrer Sicht vor allem die Arbeitswelt viel stärker reglementiert werden. In der jetzigen Form drohe aber ein »Jojo-Lockdown« mit Dauer-Ausgangssperre. Über die Wirkung von Ausgangssperren auf das Infektionsgeschehen wird in der Wissenschaft noch gestritten.
Unklar ist noch, ob Betroffene direkt Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen können oder zunächst bei einem Verwaltungsgericht eine negative Feststellungsklage erheben müssen, wie Buermeyer erläuterte. Die GFF will es deshalb möglicherweise parallel auf beiden Wegen versuchen.