Der Angeklagte Justin S.
Foto: Sebastian Kahnert/ dpaIm Prozess gegen die mutmaßlich rechtsterroristische "Gruppe Freital" hat sich der jüngste Angeklagte geständig gezeigt und schwere Vorwürfe gegen Mitbeschuldigte erhoben. Der 19-Jährige Justin S. räumte vor dem Oberlandesgericht Dresden ein, 2015 an Anschlägen auf eine Flüchtlingsunterkunft in Freital und ein alternatives Wohnprojekt im nahen Dresden beteiligt gewesen zu sein.
Auch bei dem letztlich abgebrochenen Versuch der Gruppe, das Auto eines Stadtrats der Linken zu sprengen, habe er mitgemacht. Als das Fahrzeug dann wenig später tatsächlich durch illegale Pyrotechnik zerstört wurde, sei er aber nicht dabei gewesen.
Die von der Bundesanwaltschaft als Rädelsführer bezeichneten Timo S. und Patrick F. hätten sich mehr als die anderen Mitglieder eingebracht. "F. hat die Böller organisiert, und S. hat die Gruppe bei Stimmung gehalten", sagte der 19-Jährige. An den ihm bekannten Taten seien in wechselnder Besetzung auch Mike S., Maria K., Rico K., Sebastian W. und Philipp W. beteiligt gewesen.
Justin S. stritt ab, dass mit dem Anschlag auf das Wohnprojekt "Mangelwirtschaft" in Dresden im Oktober 2015 Menschen ernsthaft verletzt werden sollten. "Wir wollten die halt erschrecken." Den Angriff hätten die Gruppenmitglieder zusammen mit der Neonazi-Gruppe "Freie Kameradschaft Dresden" durchgeführt. Dass bei einem Angriff auf eine Freitaler Flüchtlingsunterkunft ein Syrer verletzt wurde, sei ebenfalls nicht geplant gewesen.
Justin S. ist der einzige Angeklagte, der sich bislang zu den Vorwürfen äußert. Die anderen Beschuldigten hatten zu Beginn des zweiten Prozesstags lediglich Angaben zur ihrer Person gemacht.
Der Generalbundesanwalt hält den acht Angeklagten im Alter zwischen 19 und 39 Jahren die Bildung einer terroristischen Vereinigung vor. Außerdem sollen sie sich unter anderem auch wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und der Herbeiführung von Sprengstoffexplosionen verantworten. Sie werden in dem Prozess für insgesamt fünf Sprengstoffanschläge zwischen Juli und November 2015 verantwortlich gemacht.
SPIEGEL TV: Exklusiver Einblick in das Innenleben der Freitaler Terrorzelle
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Freital bei Dresden hat in den vergangenen zwei Jahren unrühmliche Bekanntheit erlangt: mit Demonstrationen gegen Flüchtlinge und Angriffen auf Andersdenkende.
Unter anderem wegen Sprengstoffanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte (hier im Herbst 2015) steht nun eine mutmaßliche Terrorzelle vor Gericht.
Für den Prozess vor dem Oberlandesgericht Dresden hat die Justiz eigens einen Saal in einer Flüchtlingsunterkunft für 5,5 Millionen Euro zum Hochsicherheitsgerichtssaal umgebaut.
Auch Michael Richter wurde Opfer eines mutmaßlich rechtsextremen Anschlags: Im Juli warfen Unbekannte einen in Deutschland verbotenen Böller in das leere Auto des Linken-Stadtrats, der Wagen wurde völlig zerstört.
Im September wurde ein Anschlag auf ein Büro der Linkspartei in Freital verübt, auch dafür soll die "Gruppe Freital" verantwortlich sein.
Notdürftig mit Holz verriegeltes Fenster einer Freitaler Flüchtlingswohnung: Im November wurden Sprengsätze vor den Fenstern deponiert, ein syrischer Bürgerkriegsflüchtling wurde bei dem Anschlag im Gesicht verletzt.
Spätestens im Sommer 2015 soll die "Gruppe Freital" entstanden sein - zu einer Zeit, als die 40.000-Einwohner-Stadt international Schlagzeilen machte mit Protesten vor einer Flüchtlingsunterkunft.
Das ehemalige Hotel Leonardo in Freital: In das Flüchtlingsheim zogen im Frühjahr 2015 Flüchtlinge.
Viele Freitaler wehren sich gegen den Zuzug der Migranten - teils lautstark, teils mit stillem Protest.
Die Proteste wurden schon bald ein Fall für die Sicherheitsbehörden: Die Polizei begleitete die Kundgebungen mit einem massiven Aufgebot. Dieses Bild zeigt die Festnahme eines betrunkenen Rechtsextremen vor der Unterkunft im Juni 2015.
Der Konflikt drohte damals zu eskalieren, als tagelang Hunderte Demonstranten zum Hotel Leonardo marschierten, das die Polizei schließlich mit Einsatzkräften abriegelte.
Großeinsatz vor dem Hotel Freital: Eine zentrale Rolle spielten Rechtspopulisten wie Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann, die mehrere Aufmärsche vor dem Flüchtlingsheim organisiert hatten.
Zu den Protesten kamen viele Demonstranten mit augenscheinlich rechten Einstellungen.
Das Thema Rechtsextremismus beschäftigt Freital seit etwa zwei Jahren - und prägt mitunter auch das Stadtbild.
Gegen den Rechtsruck in der sächsischen Stadt gab es auch Widerstand: Im Sommer 2015 plakatierte die Künstlergruppe "Dies Irae" in Freital Sprüche wie: "Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm - der Nazi macht es andersrum."
Viele Freitaler engagieren sich auch für Schutzsuchende in ihrer Stadt. Dieses Bild zeigt einen Sportabend mit Flüchtlingen des "Willkommensbündnisses Freital".
Sie gehören zu denjenigen, die ein Erstarken der rechtsextremen Szene in dem 40.000-Einwohner-Ort beklagen: die Aktivisten Steffi und Nico Brachtel, die Grünen-Stadträtin Ines Kummer sowie Michael Richter von den Linken.
Aktivistin Brachtel wurde für ihr Engagement inzwischen auch ausgezeichnet: Ende 2016 erhielt die Kellnerin den Preis für Zivilcourage des Förderkreises "Denkmal für die ermordeten Juden Europas".