Angriffe auf Asylsuchende in Guben "Sie führen aus, was andere propagieren"

Guben an der deutsch-polnischen Grenze: Staatsschutz ermittelt
Foto:imago images/Jürgen Ritter
Die Angreifer kamen von allen Seiten. 15 bis 20 junge Leute, zum Teil vermummt, Männer ebenso wie Frauen, umkreisten ihre Opfer im Stadtpark von Guben - dann legten sie los: Laut Polizei beleidigten sie die vier sitzenden Flüchtlinge zunächst, schließlich schlugen und traten sie zu.
Zwei der Asylbewerber konnten diesem Angriff am vorvergangenen Samstag rechtzeitig entfliehen. Für die beiden anderen, einen 16-Jährigen aus Guinea und einen drei Jahre älteren Marokkaner, endete der Abend im Krankenhaus: Sie mussten ambulant behandelt werden.
Ein Übergriff wohl aus rassistischen Motiven, einer von zu vielen, aber nicht bloß irgendein Einzelfall: Im brandenburgischen Guben, einem Ort mit knapp 17.000 Einwohnern an der deutsch-polnischen Grenze, gibt es offenbar ein Problem mit jungen Rechtsextremisten - mal wieder.
Angriff mit dem Auto
Kaum eine Woche nach dem Angriff im Stadtpark meldete die Polizei einen weiteren Übergriff auf Zuwanderer: Am vergangenen Freitag gegen 19 Uhr sollen zwei junge Deutsche in einem Auto drei Radfahrer aus Somalia, Äthiopien und Eritrea gefährlich abgedrängt haben.
Einer der drei sprang gerade noch rechtzeitig von seinem Rad, alle blieben unverletzt. Das Auto der Angreifer fuhr sich laut Polizei an einem Bordstein fest und blieb liegen, die Insassen flohen zu Fuß. Mithilfe der Beschreibung von Zeugen fasste die Polizei später zwei Verdächtige und nahm sie fest.
Was ist los in dieser kleinen Stadt?
Bürgermeister Fred Mahro ist ratlos. In seiner von der Neiße geteilten Stadt, die seit dem Zweiten Weltkrieg eine deutsche und eine polnische Seite hat, gebe es eine lange Tradition des internationalen Miteinanders. Menschen aus 50 Nationen machten zehn Prozent der Bevölkerung aus, allein tausend Polen lebten auf der deutschen Seite der Doppelstadt.
Entsprechend überrascht sei er über die Überfälle, sagt Mahro. "Das hat mich kalt erwischt." In Guben leben dem CDU-Politiker zufolge etwa 450 Schutzsuchende aus Kriegs- und Krisengebieten, so viele wie in keinem anderen Ort des Landkreises. Bislang habe es abgesehen von belanglosen Nachbarschaftsstreitigkeiten keine nennenswerten Konflikte mit den Zugezogenen gegeben, sagt er. Und laut Verfassungsschutz gebe es auch keine gefährliche Neonaziszene in der Stadt.
Was Mahro besonders wurmt: Seit einem halben Jahr gebe es endlich einen städtischen Streetworker, auch der habe jedoch keine Anzeichen auf einen solchen Gewaltausbruch wahrgenommen. Sollten nun weitere Übergriffe folgen, dürfte das im Ort jedenfalls Erinnerungen wecken:
Im Februar 1999 geriet die Stadt international in die Schlagzeilen, nachdem elf Rechtsextreme bei der "Hetzjagd von Guben" den Algerier Omar Ben Noui in den Tod getrieben hatten. Der 28-Jährige sprang auf der Flucht vor dem Mob in Todesangst durch die Türscheibe in einen Hausflur, schnitt sich dabei die Schlagader in der Kniekehle auf - und verblutete binnen Minuten.
Im Dezember 2000 attackierten Teenager einen aus der Mongolei stammenden Deutschen mit einem Messer. Der 20-Jährige erlitt eine Stichwunde im Rücken, seinem Begleiter brachen die Angreifer den Unterkiefer.
Im April 2017 schlugen ein Mann und sein 19-jähriger Sohn auf vier Flüchtlinge ein - weil sie davon ausgingen, diese hätten die 13-jährige Tochter des Vaters begrapscht. Die Asylbewerber aber waren unschuldig, erst die Polizei beendete den brutalen Selbstjustiz-Irrtum.
Die Polizei hält sich mit Mutmaßungen darüber bedeckt, ob in Guben möglicherweise eine gewaltbereite Neonaziszene entstanden ist. In den beiden aktuellen Fällen habe es zuvor keine Konflikte zwischen Opfern und Tätern gegeben, sagt Behördensprecherin Ines Filohn. Man gehe von rassistischen Attacken aus, die sich nicht angekündigt hätten. Ob zwischen beiden Taten ein Zusammenhang bestehe, sei aber noch unklar.
Die beiden Verdächtigen im Fall des Angriffs mit dem Auto sind zwei 20 und 25 Jahre alte Deutsche, beide polizeibekannt - unter anderem wegen Körperverletzung, Drogendelikten, Betrugs und Hitlergrüßen. In Guben, sagt Filohn, gebe es seit Längerem eine rechte Klientel aus schwierigen sozialen Verhältnissen.
Aber warum attackieren solche Leute nun plötzlich Zuwanderer? Gewissermaßen historische Gründe schließt der Bürgermeister aus: Die Angreifer in den aktuellen Fällen hätten offenkundig weder die DDR noch die sogenannte Hetzjagd von 1999 miterlebt. "Es scheint hier neue Faktoren zu geben", sagt Mahro, "eine gesellschaftliche Verrohung."

Bürgermeister Mahro (l., hier 2016 im Gespräch mit dem SPD-Abgeordneten Axel Scherler)
Foto:Soeren Stache/ dpa
Selbst im Bekannten- und Familienkreis würden heutzutage Beleidigungen und Behauptungen geäußert, die früher tabu gewesen wären, sagt Mahro. Dagegen helfe nur eines: Dialog. "Nur wenn sich Eltern und Nachbarn, Großeltern und Kollegen einig sind, dass so etwas in unserem Land nicht geht", sagt er, "nur dann können wir so etwas künftig verhindern."
Mit dieser Meinung ist Mahro nicht allein. Axel Bremermann ist der zuständige Referent der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) in Cottbus, er beschäftigt sich seit Jahren mit Rassismus in Guben. Es habe in der Region in den vergangenen Jahren einen "negativen Schub" gegeben, sagt der Politologe: "Der Alltagsrassismus hat sich enorm gesteigert."
Rechtsextreme fühlen sich laut Bremermann in diesem gesellschaftlichen Klima gestärkt, sehen sich als Speerspitze einer breiten Bewegung. "Sie führen aus, was andere propagieren", sagt der 48-Jährige. Zudem seien diejenigen, die bereits 1999 Ausländer durch Guben hetzten, auch heute noch aktiv.
Der Staatsschutz ermittelt wegen Landfriedensbruch
Es ist daher laut Bremermann nicht überraschend, dass es zu Übergriffen in Guben kommt - obwohl es in der Stadt gute Gegeninitiativen gebe: das "Netzwerk Flucht und Integration" , eine eigene Integrationsbeauftragte, Patenschaften und Projekte. Dies sei der richtige Weg gegen Rassismus und Gewalt: "Man muss dagegen argumentieren, sich einmischen."
Wie geht es nun weiter? Man bearbeite beide Fällen akribisch, versichert Polizeisprecherin Filohn. Im Fall des Angriffs im Park ermittele aufgrund des vermutlich politischen Motivs inzwischen der Staatsschutz wegen Landfriedensbruchs.
Bürgermeister Mahro hingegen will das Problem auf seine Art angehen, mit Dialog. "Wir müssen wieder mehr miteinander reden", sagt er. An diesem Mittwoch werde er sich daher auf Facebook in einem Livechat an alle Bürger der Stadt wenden. Das sei ein Novum für ihn, er habe so etwas noch nie gemacht.
Vermutlich ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um mit so etwas anzufangen.