Häftlingsbrief im Wortlaut "Nehmt etwas von meinem Blut"
Eigentlich weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll... oder wie ich anfangen sollen. Josh, Khaled, der Übersetzer: Es tut mir sehr leid, dass ich Euch zwinge, das zu sehen... Es könnte das erste Mal für Euch sein, ein menschliches Wesen zu viel leiden zu sehen, so sehr, dass es direkt vor euren Augen stirbt. Ich weiß, es ist eine furchtbare und erschreckende Szene - aber es tut mir um euretwillen wirklich leid. Es gab außer diesem Weg keine andere Alternative, die Welt unsere Stimme aus den Tiefen der Gefangenenlager hören zu lassen, damit die Welt ihren Stand neu überprüft und die gerechten Leute von Amerika noch einmal auf die Situation sehen und versuchen, einen Moment der Wahrheit mit sich selbst zu haben...
Warum ist bis jetzt noch keine Schlussfolgerung erreicht worden bezüglich der Guantanamo-Häftlinge auf Kuba? Bis wann wird diese Tragödie weitergehen? Wann wird es nach all diesen Jahren enden, und wann werden die Häftlinge heimgehen in ihre Heimatländer, zu ihren Familien, Frauen, Kindern? Wann wird diese Tragödie aufhören? Die Häftlinge leiden unter der Bitterkeit der Verzweifelung, der Haft-Erniedrigung und dem Sieg der Sklaverei und Unterdrückung...
Josh, Khaled: Ich habe wirklich nette Stunden mit Euch verbracht... auch wenn sie voll vom Reden über meine Qualen, Schmerzen und meinen Gram waren. Ich hoffe, Ihr werdet Euch immer daran erinnern, dass Ihr mit einem "menschlichen Wesen" namens "Jumah" zusammensaßt, das zuviel erlitt und das missbraucht wurde in seinem Glauben, seinem Selbst, seiner Würde und Menschlichkeit. Er wurde eingesperrt, gefoltert und seiner Heimat beraubt, seiner Familie und seiner jungen Tochter, die ihn seit vier Jahren am meisten von allen braucht - ohne Grund und ohne, dass er ein Verbrechen begangen hätte. Erinnert Euch daran, dass es in Guantanamo Hunderte von Gefangenen gibt, die alle in derselben Situation des Leidens und des Unglücks sind. Sie wurden ohne Grund, ohne jede Straftat gefangengenommen, gefoltert und festgehalten. Ihr Leben könnte so enden wie meines...
Wenn Ihr Euch an die letzten Atemzüge meines Lebens erinnert, während meine Seele meinen Körper verlässt und zu ihrem Schöpfer aufsteigt, dann erinnert Euch daran, dass die Welt uns und unseren Fall im Stich gelassen hat. Erinnert Euch daran, dass unsere Regierungen uns im Stich gelassen haben. Erinnert Euch daran, mit welcher grundlosen Verzögerung die Gerichte sich unseres Falles angenommen und sich auf die Seite der Opfer der Ungerechtigkeit gestellt haben. Erinnert Euch daran, dass ich jetzt nicht in Leichentücher gewickelt würde und meine Familie - mein Vater, meine Mutter, meine Brüder und Schwestern und meine kleine Tochter - nicht ihren Sohn verlieren würde, wenn es Menschen gäbe, die wirklich gerecht wären und die Gerechtigkeit und die Opfer von Ungerechtigkeit verteidigen würden, und wenn es gerechte Richter gäbe. Aber was soll ich sonst machen?
Nehmt etwas von meinem Blut und Stücke von meinem Leichenhemd, nehmt einige meiner sterblichen Überreste, macht Bilder von meiner Leiche, wenn ich ganz allein in mein Grab gelegt werde. Schickt sie an die Welt, die Richter, die Leute, die sich des Lebens bewusst sind, an Leute, die Prinzipien und Werte haben, an diejenigen mit Gerechtigkeitssinn, um sie vor aller Welt die Last der Schuld daran tragen zu lassen, dass eine Seele verschwendet wurde, die niemals eine Sünde begangen hat. Und um sie die Last der Schuld vor der Geschichte tragen zu lassen, dafür, dass eine Seele ohne jeden Grund verschwendet wurde - nachdem die Seele das Schlimmste erlitten hat durch die "Hüter des Friedens und die Rufer nach Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit". Wie viele Väter, Mütter, Ehefrauen, Geschwister, Kinder und andere Familienmitglieder weinen jetzt dort, im sehr fernen Osten, auf der anderen Seite des Ozeans, um ihre in Guantanamo eingesperrten Kinder? Warum müssen sie an der Trennung leiden und die Bitterkeit schlucken, die vom Raub ihrer Söhne kommt?
Ich bin nicht der Einzige, der an dieser Seelenqual leidet. Meine Familie leidet ebenfalls sehr. Meine kleine Tochter, deren Lebensgeist sie zerstört haben, indem sie mich von ihr fortgerissen haben, schickt mir Briefe, in denen sie schreibt: "Papa, bitte komm zurück zu mir. Alle Mädchen in der Schule haben Väter, außer mir? Papa, ich brauche dich, ich will, dass du wiederkommst. Bitte komme mir zu Liebe zurück."
In Wahrheit habe ich keine Antwort auf ihre Frage. Die Antwort ist da, bei den "gerechten Leuten".
Josh, Khaled: In diesem Moment, während ich den Brief schreibe, sehe ich den Tod in der Ferne vor mir. Tod hat einen schlechten Geruch, der nur von Leuten gerochen werden kann, die durch Todesqualen gehen.
Josh, Khaled: Lebt wohl. Lebt wohl ohne die Hoffnung, mich wiederzusehen. Ich danke Euch für alles, was Ihr für mich getan habt, aber ich habe eine letzte Bitte: Zeigt der Welt die Briefe, die ich Euch gab. Lasst die Welt sie lesen. Lasst die Welt die Qualen der Häftlinge auf Kuba erfahren.
Bitte beachtet: Ich schrieb diesen Brief an dem angegebenen Tag, aber ich war überrascht, dass Khaled, der Übersetzer, nicht erschien. Ich wollte ihn wirklich sehen, bevor ich dieses Leben verlasse. Ich habe mich aus Respekt für meinen treuen Freund Khaled entschieden, diesen Brief an Euch beide nicht zu ändern (derselbe Tag, nachts).
Freiheitsberaubter Gefangener Jumah Abdel Latif al-Dossari Guantanamo Bay, Kuba
(Unterschrift)
Freitag, 14. Oktober 2005
Quelle: Center for Constitutional Rights
rom