Opfer von Beziehungsgewalt "Er wollte unseren Sohn töten"

Frau mit Kinderwagen (Symbolbild)
Foto: imago/ photothekGewalt in Partnerschaften spielt sich im Verborgenen ab. Ohne Augenzeugen, ärztliche Atteste oder Geständnisse ist sie schwer nachzuweisen. Deshalb sind die Geschichten, die betroffene Frauen erzählen, fast nie vollständig verifizierbar. Und manchmal sind sie so unvorstellbar wie die von Carla*: Deren Ex-Freund wollte laut ihrem Bericht nicht nur ihre Beziehung ausradieren, sondern auch den gemeinsamen Sohn töten.
Carla ist Mitte 30, eine lebenslustige, ausdrucksstarke Frau. Christin aus dem Irak, "halb orthodox, halb katholisch", wie sie selbst sagt. In den Nullerjahren verließ sie ihre Heimat, weil ihre Mutter nach dem Tod des Bruders um Carlas Sicherheit fürchtete.
Verwandte lebten in Nordeuropa - und dann gab es noch Thomas, einen jungen Ausländer, in den sie sich noch im Irak verliebt hatte. Eifrig lernte sie dessen Muttersprache und machte sich über die Türkei, Griechenland und Italien auf in Richtung Norden. "Was tut man nicht alles für die Liebe", sagt sie heute. Doch der Überraschungsbesuch bei ihrem Freund misslang: "Seine Frau öffnete die Tür. Es stellte sich heraus, dass sie krank war und er sie auf keinen Fall verlassen wollte."
Carla wandte sich ab, sie wollte keine Ehe zerstören. Auf dem Rückweg in den Irak wurde sie in Deutschland ohne Pass aufgegriffen und stellte hier einen Asylantrag. Die Anerkennung verlief reibungslos.
"Ich kenne deine Schwachstelle"
Auf einer syrischen Neujahrsparty lernte sie Basam kennen, einen ebenfalls aus dem Irak geflüchteten Christen. "Er war charmant, faszinierend, verständnisvoll - wie ein Traummann", erinnert sich Carla. Eigentlich mochte sie die Männer aus ihrer Heimat nicht. "Aber er verhielt sich wie ein Europäer, er war wie ein Stern."
Es folgten stundenlange Telefonate, der erste Besuch. Beide waren neu in Deutschland, für eine Weile hielten sie sich aneinander fest. Schon bald zog Basam zu Carla, die bei Burger King den Lebensunterhalt verdiente. "Nach einer Weile wurde ihm langweilig, er wollte zu Verwandten in eine andere Stadt ziehen." Also lebten sie eine Zeit lang getrennt. Für die Familien stand fest: Die beiden werden heiraten, bis dahin sind sie keusch. Dann wurde Carla schwanger.
Um die Beziehung stand es da schon schlecht. Carla wusste, dass ihr Freund sie betrog, "er gab sich wenig Mühe, es zu verschleiern". Sie fand Nacktbilder auf dem Handy, eindeutige Facebook-Botschaften. Für ein Kind fand Basam sich angeblich zu jung. "Entweder du treibst ab oder wir trennen uns", entschied er.
"Ich behalte das Kind", war Carlas Antwort. Sie sei immer durchsetzungsstärker als ihr Freund gewesen, manchmal sogar aggressiver, erzählt sie. Doch Basam wusste offenbar, wo er sie treffen konnte: "Ich kenne deine Schwachstelle", soll er zum Abschied gesagt haben.
Am Sonntag, 25. November, ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Der SPIEGEL widmet sich diesem Thema mit einer Schwerpunktwoche, die Betroffenen eine Stimme geben soll: Frauen, die von ihren Ehemännern oder Partnern geschlagen, missbraucht oder manipuliert wurden. Es sollen aber auch Wege aufgezeigt werden, wie Opfer der Gewalt entkommen konnten - und welche Möglichkeiten es gibt, mit der Situation umzugehen.Wenn Sie in Ihrer Partnerschaft Gewalt erfahren haben, finden Sie rund um die Uhr unter 08000 - 116 016 beim Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" kostenlos, vertraulich und anonym Ansprechpartnerinnen und Unterstützung. Mehr über das Hilfetelefon erfahren Sie hier.Weitere Informationen, etwa zu Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen in Ihrer Nähe, gibt es beim Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe.
Nach der Geburt eskalierte die Situation: "Gib das Kind weg", forderte Basam. Seine Mutter schaltete sich ein, nannte Carla eine Schlampe, die es nur auf das Geld ihres Sohnes abgesehen habe. "Das Kind ist in Sünde entstanden, ich würde den Bastard in den Müll werfen", wetterte sie laut Carla.
Carla war entsetzt - sie hatte den Namen des leiblichen Vaters noch nicht einmal bei den Behörden angegeben und wollte laut eigener Aussage keinen Cent von ihm. Sie packte ihre Sachen und zog in eine andere Stadt. Doch Basam fand sie.
"Ich stand mit einer Freundin und meinem Sohn im Kinderwagen an der Ampel. Plötzlich tauchte er neben uns auf und hat den Kinderwagen auf die Straße geschubst. Ich war total geschockt. Er wollte unseren Sohn töten. Zum Glück ist dem Kleinen nichts passiert, aber ein Taxifahrer hat das Ganze beobachtet und später der Polizei den Mann beschrieben. Es war eindeutig mein Ex-Freund."
Ein Ehrverständnis, das sie nicht teilt
Carla war in Panik, wollte erneut umziehen. Eines Nachts meinte eine befreundete Nachbarin, den Ex-Freund auf der Straße entdeckt zu haben - mit einer Pistole in der Hand. Die Freundin alarmierte die Polizei. Als die vor Ort eintraf, sei Basam schon auf und davon gewesen, erzählt Carla. Später habe man nur das Auto gefunden, aber keine weiteren Anhaltspunkte. Sie solle in ein Frauenhaus gehen, empfahl die Polizei. Nach einigem Zögern stimmte Carla zu. Seitdem hat sie viele Gespräche geführt, sich Gedanken gemacht über das seltsame Konstrukt "Tradition" und ein Ehrverständnis, das sie nicht teilt.
"Meinem Ex-Freund ging es um die Ehre, darum, was die Leute reden. Wenn ich meinen Sohn zur Adoption freigegeben hätte, wäre ich aus dem Schneider gewesen. Stattdessen haben auch noch meine Eltern mit mir gebrochen. Zu meinem Vater habe ich keinen Kontakt mehr und meine Mutter darf nicht mit mir reden. Sie ist ein Engel auf Erden, sie hat so gekämpft und gelitten zwischen meinem Vater und mir. Ich war immer das schwarze Schaf, eher wie ein Junge, aufmüpfig und unangepasst. Ich wollte frei sein. Mein Vater hat das gehasst, wir haben immer gestritten. 'Wenn du stirbst, tanze ich auf deinem Grab', hat er bei unserem letzten Treffen gesagt."
Carlas Schicksal hat viel mit der frauenfeindlichen Kultur zu tun, in der sie groß wurde. Einer Kultur, in der selbst die stärkste Solidarität zwischen Mutter und Tochter keine Wirkungsmacht entfaltet, weil es Männer sind, die über Gut und Böse, Ehre oder Schande entscheiden. Einer Kultur, die konspirativ und soziophob ist, weil sie Angst vor der Meinung der Anderen, vor Gerüchten und übler Nachrede schürt.
"Religion spielt eigentlich keine Rolle", sagt Carla. "Es geht um Macht und Kontrolle über die Frau." Ihre Kirche sei immer die Diskothek gewesen, so habe sie es auch in ihrem Asylantrag formuliert: "Ich will Freiheit und tanzen." Dann lächelt sie und sagt: "Heute tanze ich mit meinem Sohn in der Küche."
* Sämtliche Namen wurden zum Schutz der Frau geändert