Prozess um Anschlag in Halle
Gutachter hält Angeklagten Stephan Balliet für voll schuldfähig
"Es spricht nichts für eine krankhafte Störung": Im Prozess um den Anschlag auf die Synagoge von Halle stuft ein Gutachter Stephan Balliet als voll schuldfähig ein. Eine Psychologin attestiert ihm Züge von Narzissmus.
Mit Spannung wurde das psychiatrische Gutachten im Prozess um den Anschlag in Halle an der Saale erwartet. Nun hat der Gutachter den mutmaßlichen Attentäter Stephan Balliet als voll schuldfähig eingestuft.
"Eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit aus psychiatrischer Sicht ist nicht anzunehmen", sagte der forensische Psychiater vor Gericht. Zwar diagnostizierte er dem Angeklagten eine schwere komplexe Persönlichkeitsstörung sowie Anzeichen für Paranoia und Autismus. Die Steuerungsfähigkeit und das Unrechtsbewusstsein des Mannes seien aber nicht beeinträchtigt. Beide Aspekte sind entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit.
Anders als Täter, die im Wahn handeln, habe der Angeklagte seine Tat minutiös geplant und sei in der Lage gewesen, mit dem Anschlag auf einen ihm günstig scheinenden Anlass zu warten. Dazu seien Täter, die im Wahn handeln, nicht in der Lage. Einsicht oder gar Bedauern habe der Angeklagte nicht gezeigt, sagte der Psychiater, der Balliet während seiner Untersuchungshaft insgesamt etwa zwölf Stunden gesprochen hatte.
Der Sachverständige schilderte B. als wortkargen Einzelgänger, der kaum gewöhnlichen Kontakt zu anderen Menschen habe. Er habe Schwierigkeiten, sich in sein soziales Umfeld einzugliedern.
In seinem Weltbild hätten sich "ausländerfeindliche Überzeugungen und paranoide Verschwörungstheorien mit Antisemitismus verbunden", sagte der Gutachter. Wann das geschehen sei, sei offen. "Er hat den Stoff, aus dem sich dieses Weltbild speist, offenbar durchgehend durch Internetaktivitäten zusammengetragen." Dort habe er auch Gleichgesinnte gefunden.
Es sei mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Mann vergleichbare Taten wieder verüben würde, falls es ihm möglich wäre. Auf dieser Grundlage könnte das Gericht im Falle eines Schuldspruchs eine Sicherheitsverwahrung nach der Freiheitsstrafe verhängen.
"Misstrauische, selbstbezogene und unsichere Person"
Eine Psychologin beschrieb den Angeklagten zuvor vor Gericht als durchschnittlich intelligent. Sie attestierte Balliet Züge von Narzissmus. Er bewerte seine eigenen Grundsätze, nach denen er sein Leben gestalte, als hoch und fühle sich darin anderen überlegen.
Zugleich zeichnete der Angeklagte in mehreren Tests von sich das Bild einer "misstrauischen, selbstbezogenen und unsicheren Person". Er sei zudem verschlossen und introvertiert, sagte die Expertin.
Das Verfahren um den Anschlag auf die Synagoge von Halle läuft seit Juli. Am 9. Oktober 2019 hatte ein schwer bewaffneter Mann versucht, die Synagoge von Halle zu stürmen, um dort am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur ein Massaker anzurichten. Nachdem er nicht in das Gotteshaus gelangt war, erschoss er eine 40 Jahre alte Passantin und kurz darauf einen 20-Jährigen in einem Dönerimbiss.
Der 28-jährige Stephan Balliet hat die Taten gestanden und mit antisemitischen, rassistischen Verschwörungstheorien begründet. Der Prozess läuft vor dem Oberlandesgericht Naumburg, findet aus Platzgründen aber in Magdeburg statt.