Mutter erstickte Baby "Töte das Kind, sonst wirst du nie mehr glücklich"

Strafjustizgebäude in Hamburg
Foto: Daniel Reinhardt/ dpaDie Meldung, die Yvonne E. vom Polizeikommissariat 46 in Hamburg-Harburg am 7. November vergangenen Jahres kurz nach 21 Uhr erreichte, lautete: Tod eines Säuglings, vermutlich verursacht durch die Mutter. Als die Polizeibeamtin am Tatort eintraf, stand ein Rettungsassistent auf der Straße vor dem Haus und rauchte. Er wirkte mitgenommen. Yvonne E. ahnte, was sie in der Wohnung im dritten Stock erwarten würde: eine am Boden zerstörte Mutter. Der Sanitäter winkte ab: Dieses Mal sei alles anders.
Jasmina U., die Mutter, stand im Flur, das tote Baby auf dem Arm. Es hatte Leichenflecken am Kopf, die Gliedmaßen waren erschlafft. Sie wiegte den Jungen hin und her, als wollte sie ihn beruhigen. Sie weinte nicht. "Ich habe die Decken auf ihn gelegt, ich habe das Schreien nicht mehr ertragen. Ich dachte nicht, dass es so schlimm ist. Ich will ins Gefängnis", sagte sie zu einem Feuerwehrmann.
Mehr als sieben Monate später will Jasmina U. jede Strafe annehmen, nur nicht ins Gefängnis. Sie ist wegen Totschlags angeklagt. "Ich bin mit meiner Tat genug bestraft", sagt sie unter Tränen in Saal 398 des Landgerichts Hamburg und fleht die Schwurgerichtskammer an, sie in eine psychiatrische Einrichtung zu schicken. Mitgefangene hätten ihr, der "Kindsmörderin", das Leben in der Untersuchungshaft schwer gemacht.
Eine Tragödie, entwickelt aus unerfüllten Sehnsüchten
Ihr Verteidiger Philipp Napp spricht in seinem Plädoyer von einem Totschlag im minderschweren Fall und plädiert für eine Freiheitsstrafe zwischen zwei und drei Jahren. Die Kammer verurteilt Jasmina U. zu sieben Jahren und acht Monaten Haft, so wie es Staatsanwältin Mia Sperling-Karstens gefordert hat.
Es ist eine Tragödie, die nichts gemein hat mit den Fällen, in denen überforderte Eltern, meist Väter und Stiefväter, im Gewaltrausch ihre Kinder töten. Kinder, die sie zuvor Wochen, Monate lang vernachlässigt und misshandelt haben. Fragile Familien, die unter Aufsicht des Jugendamts standen und deren Kinder oft schlechte Prognosen hatten für ihren weiteren Lebensweg.
Dieser Fall ist vielmehr eine Tragödie, die sich aus den unerfüllten Sehnsüchten einer Frau entwickelte. Einer Frau, die nie Täterin werden wollte, die niemand als Täterin in Verdacht hatte.
"Eine einfache Erklärung für eine solche Tat wird es nie geben", sagt Rechtsanwalt Napp am Mittwoch. Eine Tat, die einer Affekttat sehr nahekommt und der eine Geschichte vorausgeht.
Die beginnt im Sommer 2014, als Jasmina U., gelernte Friseurin und Kassiererin aus Kellinghusen in Schleswig-Holstein, Nettoverdienst 1000 Euro, in Hamburg Andreas H. kennenlernt, einen Kellner aus Essen in Nordrhein-Westfalen, Nettoverdienst 1400 Euro. Sie zog sofort bei ihm ein, in eine Einzimmerwohnung, im sechsten Stock, ohne Aufzug, ohne Waschmaschine. Er übernahm die Miete und lud sie ein, wenn sie ausgingen.
"Dann such dir doch eine Schlauere!"
Der Alltagstrott holte sie rasch ein. "Er hatte viel Arbeit und wenig Zeit für mich", sagt Jasmina U. Andreas H. ist Restaurant-Supervisor in einem Hotel, eine Stufe unter dem Restaurantmanager. Das bedeutet: entweder 11-Uhr-Schicht bis nach 21 Uhr oder 17-Uhr-Schicht mit open end.
Jasmina U. war bald unzufrieden, gelangweilt, fühlte sich allein. Sie ging fremd, die Beziehung wurde zur Dauerkrise. Er, ein Pedant, klebte an seinem Handy, wollte fernsehen, ins Kino, ins Restaurant. Sie, eine Chaotin, wie sie selbst sagt, wollte tanzen, bummeln, shoppen. Sie gab mehr Geld aus, als sie zur Verfügung hatte, ihr Konto war meist im Minus. Er gab ihr kaum noch Geld, und hielt sie für dumm. Oft sagte sie: "Dann such dir doch eine Schlauere!"
Heimlich setzte Jasmina U. die Pille ab, ein Wunschkind, wie sie angibt. Ihr Wunschkind. Sie zeigte Andreas H. Videos vom Ultraschall, er sah sie sich an, aber freute sich nicht. "Er wünschte sich keine Familie, er hat sich nicht dafür interessiert, was ich wollte", sagt Jasmina U. am dritten Verhandlungstag. Sie weint nicht. Sie spricht in ruhigen Sätzen, den Namen Maximilian verwendet sie kein einziges Mal.
"Ich habe mir immer erträumt, dass ich eines Tages heiraten werde", sagt Jasmina U. Sie wollte Andreas H. heiraten, "obwohl ich ihn nicht sehr geliebt habe". Ihre Eltern wollten das auch, sie hielten Andreas H. für den perfekten Schwiegersohn, für eine gute Partie. Die gute Partie aber verhielt sich aggressiv und gewalttätig, wenn er mit Jasmina U. allein war, sagt sie, auch im Liebesleben, er erniedrigte und demütigte sie. "Du siehst aus wie ein Schwein", sagte er zu ihr.
"Er wirkte latent aggressiv"
Ihre Retrospektive vor Gericht klingt gnadenlos. Demnach schlug, kontrollierte und maßregelte Andreas H. sie. Vier Monate vor der Geburt zogen sie nach Harburg, im Süden Hamburgs, dritter Stock. Er zahlte die Miete, sie 250 Euro für Gas. Doch nun wollte er, dass sie die Rechnungen übernimmt, wenn sie ausgingen oder Dinge für das Baby anschafften. Sagt sie. So hatte sich Jasmina U. eine Beziehung nicht vorgestellt.
Die Hebamme, die, als Jasmina U. im Wochenbett lag, die Hausbesuche machte, erinnert sich vor Gericht an eine "Zweigesichtigkeit" des jungen Vaters, der zu ihr, der Hebamme, "sehr freundlich" gewesen sei, seine Lebensgefährtin jedoch angeherrscht und herumkommandiert habe. "Er wirkte latent aggressiv, es war ersichtlich, dass sie durch ihn unter einem gewissen Druck steht."
Jasmina U. erzählte ihr von Gewaltandrohungen. Die Hebamme verständigte den Kinder- und Jugendnotdienst, eine Mitarbeiterin des Jugendamtes schaltete sich ein, eine Kinderkrankenschwester vom Gesundheitsamt machte 15 Hausbesuche. Vor Gericht bestätigen diese Zeugen: Das Zuhause der kleinen Familie war sauber, aufgeräumt, kindgerecht; der Umgang der jungen Eltern mit ihrem Kind fürsorglich und umsichtig; die Beziehung des Paares allerdings gefühllos, grob, einsilbig.
Jasmina U. wirkte erschöpft, alleingelassen in ihrer neuen Rolle, fast isoliert. Keiner der Zeugen sah sie als Gefahr für Maximilian. "Die einzige Sorge war, dass der Partner der Mutter etwas antut", sagt die Kinderkrankenschwester. Andreas H. habe sich ungern reinreden lassen, vieles besser gewusst, einmal sei er aus der Elternschule gestürmt und habe gerufen: "Wir machen alles richtig!"
"Am Anfang hat mich nichts gestört"
Andreas H., 32 Jahre alt, ein langer, schlaksiger Mann, kariertes Hemd, Jeans, nimmt an einem der vergangenen Verhandlungstage im Zeugenstand Platz. Er tritt im Prozess als Nebenkläger auf.
Seine Geschichte ist eine andere: Er erzählt sie ausschweifend mit umständlichen Worten. Über das Kennenlernen sagt er: "Dass ich verliebt war, kann ich nicht direkt sagen, aber eine gewisse Zuneigung und Verliebtheit war schon da." Er beschreibt Jasmina U. als lebensfroh, freundlich und gut aussehend, sie habe ihn glücklich gemacht. Er genoss es, dass sie ihn anhimmelte, dass sie ihm das Gefühl gab, er sei nach vielen Männerbekanntschaften endlich der Richtige. "Am Anfang hat mich nichts gestört."
Und später? "Später habe ich gemerkt, dass sie die Fähigkeit besitzt, nicht mit Geld umgehen zu können." Nichts sei ihr gut genug gewesen, ihre Ansprüche enorm. Er sagt: Sie flunkerte viel und oft; er schnüffelte ihr hinterher. Er habe sich zwei Dinge von Jasmina U. gewünscht: Treue und Aufrichtigkeit. Beides habe sie nicht erfüllt.
Auch eine Familie habe er sich gewünscht, bewusst auf Verhütung verzichtet. Dann noch ein Junge! "Für einen Vater ist das noch einmal ne Nummer besser. Also, nicht falsch verstehen." Er lacht unpassend.
Gutachter spricht von "pathologischer Beziehung"
Die Vorsitzende Richterin Ulrike Taeubner hakt nach, konfrontiert ihn mit dem, was die Angeklagte, seine Ex-Freundin, vor Gericht geschildert hat. Vieles davon ist das komplette Gegenteil von dem, was Andreas H. sagt. Er zeigt sich ungerührt und erwidert: "Das ist nicht korrekt." Oder: "Das entspricht nicht der Wahrheit."
Andreas H. beschreibt Jasmina U. als "liebevolle Mutter", Maximilian als "pflegeleichtes Kind", das nur quengelte, wenn es Hunger hatte, auf den Arm oder eine frische Windel wollte. Sieben Seitensprünge habe Jasmina U. ihm gebeichtet, er habe ihr immer verziehen.
Der psychiatrische Sachverständige Wolf-Rüdiger Jonas bezeichnet die Verbindung des Paares als "pathologische Beziehung", Andreas H. als einen Zwangscharakter.
Am 7. November 2015, dem Tattag, sahen Jasmina U. und Andreas H. einen Film. Andreas H. schlug ihr danach auf den Kopf und beschimpfte sie als Schlampe, sagt Jasmina U. - Richterin Taeubner: "Warum?" - Jasmina U.: "Mein Freund hält mich dafür." - "Für was?" - "Für eine Schlampe." - "Wie haben Sie reagiert?" - "Gar nicht."
Erinnerungslücken beim Kindsvater
Jasmina U. machte Essen, Andreas H. passte auf Maximilian auf und ging gegen 16 Uhr zur Arbeit. Auf dem Weg aus dem Haus fand er im Briefkasten die korrigierte Nebenkostenabrechnung vom letzten Jahr, 500 Euro Nachzahlung. Er rief Jasmina U. an, forderte von ihr das Geld und drohte ihr. Sagt sie.
Andreas H. hat vor Gericht ein erstaunliches Erinnerungsvermögen, er erinnert sich an viele Details aus der Beziehung mit Jasmina U. Er kann sich an den Nudelauflauf am Tag vor der Tat erinnern, an verblüffende Einzelheiten aus dem gemeinsamen Leben. An den Tag, an dem sein Sohn starb, erinnert er sich nicht. Er weiß nur, dass er gegen 16 Uhr zur Arbeit aufbrach und Jasmina U. von unterwegs anrief.
Richterin Taeubner schaut zweifelnd. Wirklich gar keine Ahnung, was das Paar am Vormittag erlebt hat? Andreas H. unwirsch: "Ich habe gerade eben gesagt, dass ich mich nicht erinnere, und ich bin vor Gericht verpflichtet, die Wahrheit zu sagen." Nein, Streit habe es nicht gegeben, betont er. Streit habe es nur gegeben, wenn Jasmina gelogen, zu viel Geld ausgegeben oder ihn betrogen habe. Aber nicht an diesem Tag.
"Ich habe mich sehr gefreut, dass er weg war", erinnert sich Jasmina U. an jenen 7. November. Sie zog sich um, schminkte sich, kochte Tee für ihr Baby. Sie wollte einen Mann treffen, den sie übers Internet kennengelernt hatte, mit dem sie während ihrer Schwangerschaft einmal geschlafen hatte und der ihr gesagt hatte, dass er sie liebt. Der Mann sagte ab. Jasmina U. war enttäuscht. Dann sagte auch ihre Freundin ab. Jasmina U. war verzweifelt. "Ich brauchte Zuspruch, jemanden zum Reden, der mir sagt, dass alles gut wird."
"Töte das Kind, sonst wirst du nie mehr glücklich sein"
Maximilian weinte mehr als sonst. Jasmina U. gab ihm Tee, trug ihn herum, legte ihn hin, er schrie weiter, sie hob ihn wieder hoch. "Irgendwann hatte ich einen Kurzschluss, es kam eine Energie über mich. Ich zitterte, gleichzeitig fühlte ich mich stark." Gegen 20 Uhr legte sie den Jungen ins Elternbett, auf den Bauch. Sie erinnert sich an eine Stimme, die ihr befahl: "Töte das Kind, sonst wirst du nie mehr glücklich sein."
Jasmina U. warf die beiden Bettdecken, 135 mal 200 Zentimeter, auf ihr Kind, ging ins Wohnzimmer und schaute auf ihrem Handy die Castingshow "Das Supertalent". Maximilian starb. Um 20.44 Uhr wählte Jasmina U. den Notruf. Sie reanimierte, sagt aber vor Gericht: "Ich wusste nicht genau, wo sein kleines Herz ist."
Der Rechtsmediziner berichtet am sechsten Verhandlungstag von zwei schweren Verletzungen an Maximilians Kopf, die er sich in den Tagen vor der Tat zugezogen haben muss. Wer sie Maximilian zufügte und womit, kann im Prozess nicht geklärt werden. Die Staatsanwältin sagt, es sei nicht feststellbar, ob Jasmina U. in Tötungsabsicht gehandelt habe; sie gehe daher von "einer Spontantat und einer affektiven Ausgangslage" aus.
Yvonne E., die Polizistin vom PK 46 in Harburg, fragte Jasmina U. noch am Tatort, wie ihr Sohn heiße und ob sie noch weitere Kinder habe. Jasmina U. fiel ihr ungeduldig ins Wort und korrigierte die Zeitform, die die Beamtin verwendet hatte: "Er hieß Maximilian. Er war mein einziges Kind. Weitere werde ich wohl nicht bekommen."