
Hamburger Piraten-Prozess "Ich bin kein Seeräuber!"
Hamburg - Abdul Fata A. versteht den Richter nicht. Und das hat nichts mit einer Sprachbarriere zwischen dem somalischen Angeklagten und dem deutschen Gerichtsvorsitzenden zu tun. Der Kopfhörer, der sich auf A.s schwarze Locken drückt, überträgt die Simultanübersetzung einwandfrei, einer der Dolmetscher kommt sogar noch zum Tisch des Mannes und vermittelt zwischen ihm und dessen Anwalt.
A. hat rein inhaltliche Verständnisprobleme. Er begreift nicht, warum das Hamburger Landgericht an diesem Mittwoch zu den Plädoyers übergeht, also die Beweisaufnahme geschlossen hat - ohne einen seiner Ansicht nach entscheidenden Zeugen gehört zu haben.
"Ich habe einen Mann benannt, der glaubhaft belegen kann, dass ich zu der Tat gezwungen wurde", sagt A., der im hellblauen Hemd in der ersten von drei Reihen sitzt, nur wenige Meter von den Richtern entfernt. A. versteht nicht, wieso das Gericht diesen Zeugen nicht aus Somalia nach Deutschland geladen hat. "Ich hatte gehofft, dass das Gericht alles daransetzen würde, meine Unschuld zu beweisen." A. "will dem Gericht nahelegen", der Sache noch mal nachzugehen, denn er sei zu Unrecht hier: "Ich bin kein Pirat! Ich bin jemand, der gezwungen wurde."
A. steht zusammen mit neun weiteren Somaliern seit November 2010 in Hamburg vor Gericht. Die Männer sind angeklagt, im April 2010 vor der Küste Somalias den unter deutscher Flagge fahrenden Frachter "Taipan" mit Waffengewalt geentert und entführt zu haben. Ein niederländisches Marinekommando kam jedoch rechtzeitig, konnte die Männer an Bord des Containerschiffs festnehmen und die Crew der "Taipan" befreien. Nach einem Stopp in den Niederlanden wurden die Somalier an die deutsche Justiz ausgeliefert.
"Unvorstellbare" Summe von 500 US-Dollar
71 Verhandlungstage liegen inzwischen hinter den Männern. In den vergangenen 14 Monaten prallten in Saal 337 des Hamburger Strafjustizgebäudes zwei Welten aufeinandern. Für die angeklagten Somalier war ein Richter in schwarzem Talar und weißer Fliege, wie der Vorsitzende Bernd Steinmetz sie trägt, bis vor anderthalb Jahren ein unbekanntes Bild. Sie kannten weder Schnee noch die deutsche Sprache. Die 20 Anwälte der Männer bemühen sich wiederum, Einblicke in die in Deutschland weitestgehend unbekannte Welt ihrer Mandanten zu vermitteln.
Und so schilderten die Angeklagten, die vor Gericht eine Beteiligung an dem Überfall prinzipiell einräumten, vor allem ihre Motive für die Tat: Mehrere sprachen von immensen Schulden, die sie hatten, und von gewalttätigen Gläubigern, die sie zu der Tat trieben. Einer erzählte, wie Gläubiger seinen Sohn entführten, um ihn zum Zahlen zu nötigen. Ein anderer will lediglich als Steuermann ausgeholfen haben, sich aber nicht gewundert haben, dass ihm für seinen Dienst die "unvorstellbare Summe" von 500 US-Dollar geboten wurde. Lediglich zwei der Männer räumten ein, sich freiwillig gemeldet zu haben.
Lebensumstände und Geständnisse berücksichtigte die Staatsanwaltschaft an diesem Mittwoch in ihrem Plädoyer. In ihrem rund dreistündigen Vortrag führte Oberstaatsanwältin Friederike Dopke für alle Männer strafmildernd die schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in ihrem Heimatland an. Sie berücksichtigte auch die Gewalterfahrungen in Bürger- und Stammeskriegen.
Staatsanwaltschaft fordert hohe Haftstrafen
Dennoch forderte die Staatsanwaltschaft hohe Strafen. Wegen des gemeinschaftlich begangenen bewaffneten Angriffs auf den Seeverkehr und erpresserischen Menschenraubs sollen die Angeklagten zu Freiheitsstrafen zwischen viereinhalb und zehn Jahren verurteilt werden. Zwar sei es weder gelungen, die Schützen zu identifizieren, noch den vermeintlichen Anführer. "Sie alle handelten aber zumindest als Mittäter", so Dopke.
Die Staatsanwältin betonte in ihrer Argumentation die Schwere der Tat und den hohen Grad der Professionalität, mit dem der Überfall durchgeführt worden war: Am Morgen des 5. April 2010 rasten zwei sogenannte Skiffs, schnelle wendige Motorboote, wie die Piraten vor der somalischen Küste sie für ihre Angriffe verwenden, auf den Frachter "Taipan" zu. Der deutsche Kapitän Eggers drehte noch ab und erhöhte die Geschwindigkeit, doch kurz darauf feuerten die Männer des einen Boots auf die "Taipan", die Männer des zweiten Boots enterten den Frachter.
Ihre Hilfsmittel: fünf vollautomatische Kalaschnikow-Sturmgewehre, zwei russische Raketenwerfer, zwei Pistolen, zwei Messer, mehr als 20 Magazine Munition, zwei Handys, ein Fernglas und zwei Enterleitern.
Eggers und seinem Zweiten Offizier gelingt es noch, Notrufe abzusetzen - dann müssen sie sich ebenso wie die Besatzungsmitglieder in einem Panik-Raum in Sicherheit bringen. Das niederländische Marineschiff "Tromp" empfängt den Hilferuf der "Taipan", eine Spezialeinheit stürmt den Frachter und setzt die zehn Piraten fest.
Es war laut der Staatsanwältin das erste Mal, dass ein gekapertes Schiff aus der Hand von Piraten befreit werden konnte. Nur durch Glück sei beim Kapern des Schiffes und einem heftigen Schusswechsel mit der niederländischen Marine niemand schwer verwundet worden, betonte Dokpe in ihrem Plädoyer. Lediglich ein Soldat habe sich leicht verletzt, als er beim Abseilen von einem Helikopter auf das Schiff gestürzt sei.
Opfer einer Täuschung? Was der Angeklagte zu seiner Verteidigung sagt
A. gelangte nach eigenen Angaben infolge einer Täuschung an Bord der "Taipan". Er habe sich für einige Tage zu einer Fischergruppe auf See begeben sollen, um dort Reparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen an Bootsmotoren durchzuführen. Erst auf hoher See habe er gemerkt, worum es gehe. Aus Angst vor den Waffen der anderen habe er keinen Widerstand geleistet.
"Diese Darstellung ist wenig glaubhaft", so Staatsanwältin Dopke, die für A. ebenso wie für drei weitere Angeklagte zehn Jahre Haft fordert. Angesichts der Gesamtsituation in Somalia und der zunehmenden Piraterie habe A. nicht darauf vertrauen können, dass die Boote lediglich für den Fischfang genützt würden. "Außerdem ist es nicht nachvollziehbar, dass sich jemand die Mühe machen sollte, Männer zur Piraterie zu zwingen, wenn es offensichtlich ausreichend Freiwillige gibt." Einem Gutachter, der sich mit diesem Thema im Rahmen des Verfahrens befasst hatte, sei "kein Fall der Zwangsrekrutierung bekannt".
Auf A.s Forderung nach einer Befragung des von ihm benannten Zeugen hatte Steinmetz zuvor erklärt, die Kammer habe mit Hilfe eines Dolmetschers telefonisch Kontakt zu dem genannten Mann aufgenommen und mit ihm gesprochen. Dabei habe der Mann der Aussage von A. widersprochen, erklärte der Richter. Das Gericht sei sicher, dass der Zeuge keine sachdienlichen Angaben machen könne. Deswegen sei er nicht geladen worden - und werde auch nicht mehr geladen.
"Typisches Erscheinungsbild der organisierten Piraterie"
"Straferschwerend für alle Beteiligten wirkt sich die hochprofessionelle, quasi militärische Tatbegehung aus", führte die Staatsanwältin aus. Die Täter ließen sich auch von Stacheldraht an Bord und Signalraketen nicht von ihrem Plan abbringen, sie zerstörten gezielt die Antenne der "Taipan" und setzten schwere Waffen ein. "Die Tatausführung entspricht dem typischen Erscheinungsbild der organisierten Piraterie", so die Staatsanwältin.
Erschwerend komme der enorme Wert des Schiffes hinzu, der laut Reederei bei 20 Millionen Euro liegt, sowie die Höhe des angestrebten Lösegelds. Beachtung fand auch die Höhe des entstandenen Schadens, den die betroffene Hamburger Reederei auf 1,06 Millionen Euro beziffert. Darin sind unter anderem Kosten für den Betriebsausfall, Schäden und Ablösesummen für traumatisierte Crew-Mitglieder eingeschlossen.
Im Fall des 49-Jährigen Ahmet Aden A. plädierte die Staatsanwaltschaft auf eine Verurteilung zu elfeinhalb Jahren Haft. Dies sei der tragenden Rolle des Angeklagten bei dem Überfall geschuldet, führte Dopke aus. A. habe eines der beiden angreifenden Schnellboote gesteuert. Zudem sei der Mann nur Wochen vor dem Überfall auf die "Taipan" von der niederländischen Marine aufgegriffen und festgesetzt worden. Damals war er der Piraterie verdächtigt worden, musste aber mangels Beweisen wieder freigelassen werden.
Verteidiger kritisieren Forderungen für jüngere Angeklagte
Für Aufruhr unter den Verteidigern sorgten vor allem die Forderungen für die drei jüngsten Angeklagten. Obwohl Jugendstrafrecht angewendet wurde, fielen die geforderten Strafen recht hoch aus. Die beiden Männer, die nach Ansicht von Gutachtern bei der Tat mindestens 18 Jahre alt waren, sollen jeweils für fünfeinhalb Jahre in Jugendhaft. Für den jüngsten Angeklagten, der zum Zeitpunkt der Tat auf alle Fälle älter als 17, vermutlich sogar 18 Jahre war, forderte die Anklagebehörde vier Jahren Jugendstrafe.
Die Staatsanwältin begründete ihre Strafforderung mit dem "erheblichen Erziehungsdefizit" der jungen Männer aufgrund ihrer schweren Kindheit. Sie wuchsen in einem von Bürger- und Stammeskriegen geschüttelten Land auf, besuchten nur sporadisch die Schule. Die Strafe müsse daher erheblich sein, um erzieherische Wirkung zu haben, so die Staatsanwältin.
Die Forderungen seien "beschämend" sagte ein Anwalt am Rande des Prozesses. Die geforderten Strafen seien "absurd hoch", sagte ein anderer. "Die Anklage blendet die Situation in Somalia komplett aus", kritisierte Verteidiger Philipp Napp. Sein Kollege Rainer Pohlen pflichtete ihm bei: "Die, die in schlechten Verhältnissen aufwachsen, sollen demnach besonders hart bestraft werden."
Wann die Richter ihr Urteil sprechen werden, ist noch nicht klar. Anders als zunächst vom Gericht geplant, soll der Prozess erst am kommenden Dienstag fortgesetzt werden. In den darauffolgenden Wochen sollen dann mindestens zehn Schlussreden der Verteidiger gehalten werden. Das Gericht hat Termine bis Ende März angesetzt.