Rassistisches Attentat Wie ging der Täter vor?

Ermittler an einem der Tatorte in Hanau: ein rassistischer Anschlag
Foto: RALPH ORLOWSKI/ REUTERSDie Tat
Ein Attentäter hat am Mittwochabend in und vor einer Shishabar sowie an einem Kiosk im hessischen Hanau neun Menschen erschossen. Die ersten Schüsse fielen den Ermittlern zufolge gegen 22 Uhr am Heumarkt in der Innenstadt. Wenig später fielen auch im etwa zwei Kilometer entfernten Stadtteil Kesselstadt Schüsse.
Anschließend fuhr der mutmaßliche Täter Ermittlern zufolge in seine Wohnung, wo er seine 72-jährige Mutter und schließlich sich selbst getötet haben soll. Außerdem wurden weitere Menschen verletzt, einer von ihnen schwer. Der Vater des mutmaßlichen Schützen, ebenfalls 72 Jahre alt, blieb SPIEGEL-Informationen zufolge unverletzt.
Der mutmaßliche Täter sei nach ersten Erkenntnissen Sportschütze gewesen, der die Waffen legal besessen habe, sagte Hessens Innenminister Peter Beuth. Nach SPIEGEL-Informationen war R. bei der örtlichen Kreisverwaltung als Sportschütze registriert und besaß legal mehrere Pistolen, darunter Waffen des Kalibers 9 Millimeter. Noch im vergangenen Jahr wurde er demnach von den Behörden routinemäßig kontrolliert, dabei wurden keine Auffälligkeiten festgestellt.
Beuth sagte, der Mann habe wohl allein gehandelt: "Bislang liegen keine Hinweise auf weitere Täter vor."
Der Ablauf
Nach SPIEGEL-Informationen wurden ab 21.58 Uhr in den Lokalitäten "La Votre" und der "Midnight Shisha Bar" am Heumarkt in der Innenstadt Schüsse auf Personen abgegeben.
Danach wurde im Hanauer Stadtteil Kesselstadt ein Fahrzeug beschossen, das in der Nähe der "Kiosk Arena Sports Bar" am Kurt-Schumacher-Platz parkte. Anhand von Zeugenaussagen und Bildern aus einer Überwachungskamera an einem der Tatorte konnten das Fluchtfahrzeug und der Täter identifiziert werden.
Ein Spezialeinsatzkommando suchte daraufhin die Wohnanschrift des Mannes auf. Die Einsatzkräfte fanden zwei Personen tot. Beide hatten Schussverletzungen. Bei den Leichen handelt es sich um R. und seine Mutter. Der Vater des Tatverdächtigen wurde vor Ort vorläufig festgenommen, um ihn standardmäßig zu befragen. Bei dem Tatverdächtigen fanden die Ermittler die Tatwaffe.
Die Opfer
Bei den Opfern soll es sich vor allem um Menschen mit ausländischen Wurzeln handeln. Detaillierte Angaben darüber, um wen es sich bei den Toten handelt, gibt es noch nicht. Die Ermittler gehen davon aus, dass der gebürtige Hanauer Tobias R. aufgrund rassistischer Ideen das Feuer auf sie eröffnete. Bislang deutet nichts darauf hin, dass der 43-Jährige abgesehen von seiner Mutter seine Opfer persönlich kannte (über die aktuellen Entwicklungen halten wir Sie hier auf dem Laufenden).
Das Motiv
Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zog die Ermittlungen noch in der Nacht an sich, der Generalbundesanwalt ermittelt wegen Terrorverdachts. Die Ermittler gehen von der rassistischen Tat eines Rechtsextremisten aus. Behördlich war Tobias R. nach SPIEGEL-Informationen bislang ein unbeschriebenes Blatt, weder dem Verfassungsschutz noch der Polizei war er vor der Tat bekannt.
Dass der Tatverdächtige offenkundig aus rassistischer Überzeugung tötete, geht auch aus einem Pamphlet sowie mehreren Videos hervor, die er vor seiner Tat im Internet veröffentlichte. In dem 24-seitigen Dokument fabuliert er über die Frage, wie viele Deutsche "reinrassig und wertvoll" seien - und zählt mehr als zwei Dutzend Staaten auf, deren Bevölkerung seiner Meinung nach vernichtet werden müsste.
Insbesondere das Pamphlet legt zudem den Schluss nahe, dass der 43-Jährige psychisch auffällig oder schwer erkrankt war: Er äußert sich unter anderem über die Manipulation von Gedanken durch Geheimdienste und über Zeitreisen (hier erfahren Sie mehr über die Weltsicht des mutmaßlichen Täters).
Die Reaktionen
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier zeigte sich erschüttert über die Tat. "Das ist furchtbar", sagte der CDU-Politiker. Das Geschehene mache sprachlos, alle Bürger in Hessen seien entsetzt. Der hessische Landtag brach die begonnene Plenardebatte demnach ab: Es sei nicht angemessen, so Bouffier, nach den Geschehnissen einfach die parlamentarische Arbeit fortzusetzen.
Es soll nun geprüft werden, ob die anstehenden Faschingsumzüge in Deutschland und Treffpunkte von Migranten verstärkt geschützt werden sollen, sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann nach einer Telefonkonferenz mit seinen Amtskollegen von Bund und Ländern. "Denn wir wissen aus der Vergangenheit, dass grundsätzlich solche Taten auch Nachahmertaten haben können."
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte einen geplanten Besuch in Sachsen-Anhalt ab. "Die Bundeskanzlerin lässt sich fortlaufend über den Stand der Ermittlungen in Hanau unterrichten", teilte Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter mit. Auf einer Pressekonferenz zeigte sich Merkel erschüttert: "Rassismus ist ein Gift. Der Hass ist ein Gift."
Der Innenausschuss im Bundestag plant für den kommenden Donnerstag eine Sondersitzung zur Gewalttat von Hanau. Sie habe die Sitzung beantragt, "um mehr über die Hintergründe zu erfahren", teilte die Ausschussvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) mit.