Mordprozess gegen Marokkaner "Am Ende hat ihm keiner mehr geglaubt"

Eine Flüchtlingshelferin unterstützte einen Marokkaner, der 2015 nach Deutschland kam - und sie zwang, ihm Zugang zu ihren Wertsachen zu geben. Der 33-Jährige soll die 61-Jährige ermordet haben. Nun steht er vor Gericht.
Aus Hannover berichtet Julia Jüttner
Landgericht Hannover: Zum Prozessauftakt werden dem Angeklagten im Gerichtssaal die Handschellen abgenommen

Landgericht Hannover: Zum Prozessauftakt werden dem Angeklagten im Gerichtssaal die Handschellen abgenommen

Foto: Lucas Bäuml/ dpa

Bundesweit war nach Faried A. gesucht worden. In einem Taxi auf der A7, zwischen Kassel und Göttingen, entdeckten ihn schließlich Zielfahnder und nahmen ihn fest - wegen Verdachts des Mordes an Patricia H. Es war ein Sonntag. Über den strafrechtlichen anwaltlichen Notdienst wurde Rechtsanwalt J.-Werner Theunert verständigt und dem Gesuchten Faried A. als Strafverteidiger beigeordnet.

Das war am 15. September vergangenen Jahres. Anwalt Theunert traf in einem Vernehmungsraum auf einen emotional unberührten Mann, der "einfach drauflosplapperte". Sechs Stunden lang habe er versucht, Faried A. zum Schweigen zu bringen, sagt der Rechtsanwalt. "Es ist mir nicht gelungen. Am Ende hat ihm keiner mehr geglaubt."

Der intensive Austausch hat Mandant und Anwalt nicht wirklich nähergebracht. Theunert reicht im Saal 127 des Landgerichts Hannover dem Dolmetscher, der für Faried A. übersetzen soll, einen Stapel Akten. Mehr Kontakt gibt es nicht zwischen dem Angeklagten und seinem Rechtsbeistand.

Still sitzt Faried A., der im März 2015 aus Marokko nach Deutschland kam und um Asyl bat, auf der Anklagebank und hört gesenkten Hauptes zu, was ihm Staatsanwältin Wiebke Gratz in nüchternen Worten vorwirft: Mord aus Habgier.

Das Opfer engagierte sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe

Der Anklage zufolge hat Faried A. die Flüchtlingshelferin Patricia H. getötet und ausgeraubt. Patricia H. war eine vermögende Witwe, 61 Jahre alt, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagierte und für den 33-Jährigen eingesetzt hatte. Patricia H. begleitete Faried A. bei Behördengängen in Asylangelegenheiten, lernte mit ihm Deutsch und gab ihm Geld, damit er Fuß fasst in der neuen Heimat. Zwischenzeitlich soll sich zwischen den beiden auch eine intime Beziehung entwickelt haben.

Am 24. oder 25. August vergangenen Jahres soll Faried A. die allein lebende Patricia H. in ihrer Dachgeschosswohnung in Hannover-Ahlem besucht haben, wie er es zuvor schon oft getan habe. Er habe gewusst, wie Staatsanwältin Gratz vorträgt, dass die Witwe dort aus Angst vor einem möglichen Bankencrash Bargeld in Höhe von etwa 70.000 Euro, Goldmünzen, Schmuck und Diamanten im Gesamtwert von etwa 98.000 Euro aufbewahrte.

Den Kopf mit Paketklebeband umwickelt

Laut Anklage überwältigte Faried A. die Frau, fesselte sie mit Paketklebeband an Händen und Füßen und zwang sie, ihm die Verstecke ihrer Wertsachen zu verraten. Danach soll er die ehrenamtliche Betreuerin mit einem Geschirrtuch geknebelt und ihren Kopf vollständig mit Paketband umwickelt haben. "Er verklebte sie vertikal wie horizontal", sagt Gratz. Patricia H. bekam keine Luft mehr, sie erstickte qualvoll.

Die Staatsanwältin ist überzeugt davon, dass der Marokkaner anschließend den Leichnam in Bettzeug wickelte und im Kriechboden, in den man von der Küche aus gelangte, versteckte und mit Katzenstreu übersäte, um ein Auffinden der Toten zu verhindern oder hinauszuzögern.

Ihre beiden Geschwister waren es, die Patricia H. vermissten und Faried A. nicht glaubten, dass ihre Schwester nach Spanien in den Urlaub geflogen sei. Sie gaben eine Vermisstenanzeige auf. Im Verfahren treten sie als Nebenkläger auf.

Wollte sich der Angeklagte ins Ausland absetzen?

Am 11. September 2019 fand die Polizei bei einer Durchsuchung die tote Patricia H. Vier Tage später kam es dann zur Festnahme von Faried A. auf der Autobahn - bei sich trug er 37.725 Euro Bargeld und das Handy der Getöteten. Die Ermittler gehen davon aus, dass er sich ins Ausland absetzen wollte. Die restliche Beute soll er zuvor über Geldtransfers in seine Heimat verschickt und Teile des Schmucks versetzt haben.

Ob sich Faried A. vor Gericht zu den Vorwürfen einlassen wolle, fragt der Vorsitzende Richter Stefan Joseph. "Er wird schweigen", antwortet Theunert, der Verteidiger. "Zumindest heute. Eventuell wird er zu einem späteren Zeitpunkt etwas sagen." Theunert will Zeit gewinnen und seinen Mandanten schützen.

Mehrfach hat sich Faried A. im Ermittlungsverfahren zu den Vorwürfen eingelassen. Er hat sich dabei widersprochen und Geschichten erfunden. Es hat die ohnehin erdrückende Beweislage gegen ihn noch verschärft: Von Faried A. wurden DNA-Spuren und Fingerabdrücke am Tatort sichergestellt. Er selbst behauptet, sagt sein Anwalt, er sei von anderen Tatbeteiligten gezwungen worden, seine Spuren in der Wohnung zu hinterlassen; mit dem Mord selbst habe er nichts zu tun.

Die 13. große Strafkammer muss jetzt herausfinden, ob Faried A. der Mörder seiner Flüchtlingsbetreuerin ist. Das Gericht wird die Beziehung des ungleichen Paares unter die Lupe nehmen müssen. Anwalt Theunert spricht von "Schuldgefühlen", die beide gehabt hätten. Patricia H. habe Muttergefühle entwickelt und Nähe eingefordert, Faried A. habe sich gedrängt gefühlt.

Für den nächsten Verhandlungstag sind Zeugen geladen, die zu dieser Einschätzung eine Bewertung abgeben dürften.

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