Verhandlung in New York Das Duell im Weinstein-Prozess

Eine Frau soll ihn retten: Harvey Weinstein mit seiner Anwältin Donna Rotunno (links)
Foto:BRENDAN MCDERMID/ REUTERS
Joan Illuzzi ist außer sich. Die Verteidigung verhalte sich "unangemessen", "würdelos" und, ja, "abscheulich", schimpft die Staatsanwältin so laut, dass ihre Stimme durch den ganzen Raum hallt: Das Gericht müsse dem sofort ein Ende setzen.
Richter James Burke wendet sich an Rechtsanwältin Donna Rotunno: "Ich nehme an, sie spricht von Ihnen?", sagt er und seufzt. "Was haben Sie gemacht?" Nichts, erwidert Rotunno: "Ich bin professionell, ich bin respektvoll, und ich erledige meinen Job."
Die beste Show
Im Saal 1530 des New Yorker Strafgerichts sind sie solche Scharmützel längst gewohnt. Der Vergewaltigungsprozess gegen den Ex-Filmmogul Harvey Weinstein, der an diesem Mittwoch mit den Eröffnungsplädoyers in seine heiße Phase tritt, ist schon jetzt ein täglicher Kleinkrieg zwischen Anklage und Verteidigung.
Vor US-Gerichten geht es immer auch darum, wer die beste Show liefert. Der Fall Weinstein, der die #MeToo-Bewegung anstieß, gibt dem nun aber noch eine pikantere Dimension: Ausgerechnet bei dieser Verhandlung stehen sich zwei Frauen gegenüber - und die könnten verschiedener kaum sein.

Inspiration für "Law & Order": Staatsanwältin Joan Illuzzi
Foto: Richard Drew/ APIlluzzi, 57, hat ihr Büro gleich um die Ecke, bei der Bezirksstaatsanwaltschaft, einer Institution, die die TV-Krimiserie "Law & Order" inspirierte. Sie ist eine unauffällige Figur, aber hartnäckig: 2016 brachte sie den Mörder des kleinen Etan Patz hinter Gitter, der 37 Jahre zuvor verschwunden war.
Rotunno, 44, kommt aus Chicago, wo sie früher auch mal Staatsanwältin war, jetzt aber ihre eigene Privatkanzlei hat. Sie ist eine glamouröse Erscheinung und bekannt für die erfolgreiche Verteidigung von Sexualstraftätern - und ihre harten Kreuzverhöre, vor allem von Frauen. Sie leitet bereits das dritte Anwaltsteam um Weinstein, die vorherigen hatten frustriert gekündigt.
Illuzzi und Rotunno sind mit die letzten Frauen im einsamen Leben Harvey Weinsteins, und sie symbolisieren die zwei Seiten der #MeToo-Debatte: Illuzzi sieht sich als "Soldatin" im Dienste von Gewaltopfern, auf deren Glaubwürdigkeit sie großen Wert legt. Rotunno stellt diese Glaubwürdigkeit zunächst einmal infrage und hat ihren prominenten Mandanten als das wahre Opfer bezeichnet, den "sogenannte Aktivisten" an den Pranger gestellt hätten.

Mode mit Signalwirkung: Strafverteidigerin Donna Rotunno
Foto: Mark Lennihan/ APEin solches Drehbuch hätte Weinstein ("Sex, Lügen und Video", "Shakespeare in Love") zu seinen besten Zeiten sicher nur zu gern produzieren wollen.
Weinstein, 67, soll 2006 die Produktionsassistentin Mimi Haleyi sexuell missbraucht und 2013 eine weitere, in der Anklage nicht identifizierte Frau vergewaltigt haben. Diese Fälle - und zwei weitere in Los Angeles - sind die einzigen, die noch als justiziabel gelten, obwohl insgesamt mehr als 80 Frauen Weinstein sexuelle Übergriffe vorgeworfen haben.
"Dieser Prozess ist kein Referendum über Frauenrechte"
Richter Burke ist sich der Sprengkraft des Verfahrens bewusst. "Dieser Prozess ist kein Referendum über die #MeToo-Bewegung, dieser Prozess ist kein Referendum über sexuelle Belästigung, dieser Prozess ist kein Referendum über Frauenrechte", warnte er alle Beteiligten vorige Woche. Und an die Juroren: "Sie müssen diesen Fall nach der Beweislage entscheiden."
Einfach wird das nicht. Die #MeToo-Debatte dürften die Geschworenen kaum ausblenden können - fünf Frauen und sieben Männer, zum Ärger der Verteidigung, die gern mehr Frauen gesehen hätte. Das zeigte schon das zweiwöchige Hickhack um deren Auswahl, bevor die Plädoyers überhaupt begonnen hatten.
Es gebe in New York niemanden, der nicht wisse, wer Weinstein sei "und ihn nicht vorverurteilt hat", klagte Rotunno, die vergeblich versuchte, den Prozess woandershin verlegen zu lassen. Illuzzi empörte sich ihrerseits über mehrere TV-Interviews Rotunnos, bei denen sie die mutmaßlichen Opfer "erniedrigt" habe.

"Dieser Prozess ist kein Referendum über die #MeToo-Bewegung": Szene aus dem Weinstein-Prozess
Foto: JANE ROSENBERG / REUTERSFür beide Frauen ist dieser Prozess der vorläufige Zenit ihrer Karriere. Illuzzi wechselte 1988 direkt von der Universität zur Staatsanwaltschaft. 2011 vertrat sie die Anklage gegen Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn wegen sexueller Nötigung eines Zimmermädchens; der Prozess platzte nach Zweifeln an der Zeugin. Der Schuldspruch im Mordfall Patz schloss einen "cold case" ab, der ganz New York bewegt hatte - und die Vorlage bot für eine Folge der TV-Serie "Law & Order: Special Victims Unit". Doch selten machte ein Prozess solche Schlagzeilen wie dieser: Neben den zwei Frauen, auf deren Aussagen sich die Anklage stützt, will Illuzzi vier weitere mutmaßliche Opfer als Belastungszeuginnen aufrufen, auf der Liste stehen die Schauspielerinnen Salma Hayek und Anabella Sciorra.
Solche Zeuginnen vor Gericht zu diskreditieren, ist wiederum Rotunnos Spezialität. Das Magazin "Chicago" nannte sie "die Anti-Gloria-Allred" - Gegenpol zur berühmten US-Frauenanwältin Gloria Allred, die mehrere mutmaßliche Weinstein-Opfer vertritt und auch im aktuellen Verfahren oft im Saal sitzt. Rotunno hingegen beklagt die "politische Korrektheit" von #MeToo, die "einvernehmlichen" Sex zur Straftat gemacht habe: "Sex, den man bereut, ist keine Vergewaltigung", sagte sie dem Magazin "Vanity Fair". "Das Pendel ist so weit in Richtung Übersensibilität geschwungen, dass Männer wirklich keine Männer mehr sein können und Frauen wirklich keine Frauen."
Um den Hals trägt die Anwältin manchmal eine Goldkette, mit den Worten: "Not guilty."