Angriff auf Flüchtlinge Das brüchige Selbstbild des Willi B.

Mahnwache vor der Kilianskirche (Februar 2018)
Foto: Sebastian Gollnow/ dpaDas Bild, das Willi B. von sich zeichnen will, bekommt an diesem Tag Risse. Er bereue die Tat sehr, schrieb der 70-jährige Russlanddeutsche drei jungen Flüchtlingen, die er an einem Samstagabend im Februar auf dem Markplatz von Heilbronn mit einem Messer verletzt hatte. Niemals wieder würde er so etwas machen, versicherte Willi B. Er schäme sich für das, was geschehen sei, sagte er beim Prozessauftakt vor dem Landgericht Heilbronn. Er sei ein eher unpolitischer Mensch.
Willi B. ist wegen versuchten Mordes angeklagt. Die Staatsanwaltschaft geht von einem fremdenfeindlichen Motiv aus. Die Aussage eines Polizisten stützt diesen Vorwurf - und weckt Zweifel an Willi B.s Selbstdarstellung.
"Er würde es wieder machen. Das hat er gesagt", berichtet Streifenpolizist Thomas P. als Zeuge. Er war als Erster am Tatort. Willi B. habe ihm gesagt: "Die Ausländer würden besser behandelt als er. Seine Familie hätte Probleme. Die Schuld daran hat er der Frau Merkel gegeben." Mit der Tat habe Willi B. "ein politisches Zeichen gegen Angela Merkel" setzen wollen, das habe der Rentner ihm gesagt.
Welche Probleme die Familie haben soll, habe Willi B. nicht erklärt. Auch vor Gericht äußerte sich der Angeklagte am ersten Prozesstag zwar zu seiner Person, familiäre Probleme erwähnte er nicht. Die Frage, ob er Schulden habe, verneinte B.
"Herr B. war kein Sieg-Heil-Schreier"
Richter Roland Kleinschroth will von dem Polizisten wissen, ob Willi B. auf ihn fanatisch oder verzweifelt gewirkt habe. "Herr B. war kein Sieg-Heil-Schreier", lautet die Antwort des Zeugen.
Willi B. hatte offenbar Redebedarf, als er auf Thomas P. traf. Der Polizist betont, B. habe damals von sich aus angefangen zu reden. Fragen habe er ihm nicht gestellt. Der Beamte hatte den 70-Jährigen nicht darüber aufgeklärt, dass er Beschuldigter einer Straftat sei, dass er sich nicht äußern müsse und einen Anwalt kontaktieren könne. Verteidigerin Anke Stiefel-Bechdolf widerspricht der Verwertung der Aussage ihres Mandanten gegenüber Thomas P.

Willi B. im Landgericht Heilbronn (Archiv)
Foto: Roland Böhme/ dpaAls Willi B. von einem politischen Zeichen gegen Angela Merkel sprach, wurde dem Polizisten klar, dass es möglicherweise um mehr als um gefährliche Körperverletzung geht. "Wenn ausländische Mitbürger von einem Deutschen angegriffen werden, dann ist das brisant", sagt Thomas P. Er habe die Kollegen der Kriminalpolizei verständigt, die Willi B. noch in der Tatnacht vernahmen. Auch ihnen gegenüber erwähnte er die Kanzlerin.
Polizist Thomas P. sagt, Willi B. sei deutlich betrunken gewesen. Er habe nach Alkohol gerochen, aber dennoch klar und verständlich gesprochen. "Ich hatte schon das Gefühl, dass er wusste, was passiert ist." Dem psychiatrischen Sachverständigen hatte Willi B. gesagt, er könne sich an die Tat nicht erinnern. Er wisse nicht, wie er auf den Marktplatz gekommen sei, und auch nicht, woher er das Messer gehabt habe. Der Polizist erzählt dagegen, Willi B. habe ihm noch am Tattag gesagt, er habe das Messer aus einer Schublade genommen.
"Er hat schon ordentlich geblutet, aber nicht so, dass er gleich stirbt"
Der Markplatz war an jenem Samstagabend sehr belebt. Die Sorge des Polizisten galt damals primär Willi B. Die Stimmung sei sehr aggressiv gewesen, als er mit einem Praktikanten am Tatort angekommen sei, berichtet P.
Der 70-Jährige sei von jungen Männern festgehalten worden. "Herr B. hatte schlecht ausgesehen, er war in sich zusammengesunken, hatte Abschürfungen im Gesicht, sein rechter Arm wirkte verdreht." Thomas P. wollte die Lage beruhigen, setzte Willi B. in den Streifenwagen. "Ich wollte ihn in Sicherheit bringen, das war mir zu gefährlich da draußen."
Thomas P. sah auch eines der Opfer von Willi B. Ein junger Iraker mit einer Verletzung am Arm saß auf dem Boden an einem Bauzaun. "Er hat schon ordentlich geblutet, aber nicht so, dass er gleicht stirbt", sagt der Polizist vor Gericht. Er spricht über Samer A.
Willi B. hatte dem 26-Jährigen mit dem Messer in den linken Unterarm gestochen. Die Klinge bohrte sich durch den Arm, zwei Finger kann A. auch heute noch nicht bewegen. Einen zweiten Verletzten, Mohammad T., sah der Polizist auf einer Bank sitzen. Der damals 17-Jährige hatte einen Stich in den Bauch bekommen.
"Warum verletzt er sonst Ausländer?"
Ein weiterer Augenzeuge schildert, was er auf dem Marktplatz erlebte. "Ich habe auf einmal Geschrei gehört", sagt Abdulrahim A., ein 18-jähriger Syrer. Ein Dolmetscher übersetzt seine Worte: "Ein junger Mann wurde mit einem Messer verletzt, auf einmal war der Mann, der ihn verletzt hat, in unserer Nähe. Ich hatte ihn nicht kommen sehen. Er hatte ein großes Messer dabei. Ich dachte, er will wahrscheinlich Leute umbringen."
Der junge Syrer sagt, er habe den mit Flaschen gefüllten Rucksack eines Freundes genommen und ihn auf Willi B. geschleudert, um ihn aufzuhalten. Der alte Mann sei hingefallen. Mehrere Passanten hätten Willi B. geschlagen und getreten. Was für einen Eindruck er von Willi B. gehabt habe, fragt Richter Kleinschroth. Abdulrahim A. sagt: "Entweder war er alkoholisiert oder er ist ein Rassist. Warum verletzt er sonst Ausländer?"
Willi B. hört sich die Zeugenaussagen stumm an.