Mutmaßlicher Attentäter von Köln Der einsame Hass des Frank S.

Tatort in Köln (Archiv): Der Täter war vorbestraft
Foto: Oliver Berg/ dpaDas Haus im Kölner Stadtteil Nippes ist ein schöner Altbau aus der Gründerzeit. Helle Fassade, Holzfenster, neben der Eingangstür prangt das Landeswappen Nordrhein-Westfalens: Das Gebäude steht unter Denkmalschutz.
Hier lebte bislang in einer kleinen Wohnung der Mann, der am Samstagmorgen die künftige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker mit einem Messerstich in den Hals schwer verletzt hat. Frank S. habe aus "fremdenfeindlichen Motiven" gehandelt, sagen Ermittler. Der 44-Jährige habe die Kölner Sozialdezernentin und Lokalpolitikerin für Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik verantwortlich gemacht. "Ich tue es für eure Kinder", soll er den Umstehenden zugerufen haben, als er der wehrlosen Frau sein Buschmesser in den Hals rammte. In einem Bericht der Polizei ist von einem "fanatisierten Einzeltäter" die Rede, der sich selbst radikalisiert habe.
Die Nachbarn in Nippes wissen wenig über S. Er habe sehr zurückgezogen gelebt, sei ein Eigenbrötler und Sonderling gewesen, aber nicht unfreundlich, heißt es. Ein Foto, das ein Augenzeuge unmittelbar nach dem Attentat gemacht hat, zeigt einen mittelgroßen Mann mit Schnauzbart und Bauchansatz. Er trägt Jeans, Jeansjacke, einen schwarzen Kapuzenpulli, eine schwarze Mütze, auf dem Rücken einen Rucksack. S. macht keine Anstalten, die Flucht zu ergreifen. Ein Bundespolizist nimmt ihn schließlich fest.
Annäherung an die NPD
Frank S. scheint sich auf die Tat, die man ihm zu Last legt, gewissenhaft vorbereitet zu haben. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE stellte die Polizei in der Wohnung des mutmaßlichen Attentäters zwei Computer und einen MP3-Player sicher. Aus den Computern waren die Festplatten entfernt worden. Auch sonst konnten die Beamten keine persönlichen Aufzeichnungen in der Single-Wohnung finden. Es scheint, als habe S. vor der Attacke auf Reker systematisch seine Spuren beseitigt.
Wie aus Ermittlerkreisen verlautet, soll Frank S. in den vergangenen Jahren sehr zurückgezogen gelebt haben. Der Langzeitarbeitslose habe wohl viel im Internet gesurft und stundenlang ferngesehen, sagt ein Beamter. Nach Erkenntnissen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes betätigte er sich zuletzt "sporadisch" in rechten Onlineforen.
In der realen Welt scheint S. seit seinem Umzug nach Köln im Jahr 2000 keine intensiven Kontakte in die rechtsextreme Szene mehr gehabt zu haben. Nur 2008 unternahm er offenbar den Versuch, mit der NPD anzubandeln. Der Leiter des NRW-Verfassungsschutzes, Burkhard Freier, sagte, es lägen Informationen darüber vor, dass S. Interesse an der rechtsextremen Partei gezeigt habe.
Mehrfach verurteilt
Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE war S. zwischen 1989 und 1997 im rechtsradikalen Milieu Bonns aktiv. Damals bewegte er sich im Umfeld der rechtsextremen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP), die später verboten wurde. Sowohl 1993 als auch 1994 soll Frank S. an Rudolf-Hess-Gedenkmärschen in Fulda und Luxemburg teilgenommen haben. Die FAP galt als besonders aggressive Neonazi-Formation, aus deren Reihen auch rassistische Gewalttaten verübt wurden.
Auch zur "Wiking Jugend", einer 1994 verbotenen neonazistischen Jugendorganisation, hatte er nach Erkenntnissen der Ermittler Kontakt. In die Neunzigerjahre fallen auch mehrere Verurteilungen des gelernten Malers. Nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen verurteilte ihn das Amtsgericht Bonn 1996, 1997 und 1998, meist wegen Körperverletzungsdelikten. Zuletzt erhielt er eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten ohne Bewährung.
In den Urteilen ging es unter anderem um handgreifliche Auseinandersetzungen mit einer Frau, die sich von ihm trennen wollte. Ein anderes Mal schlug er in einer Diskothek mit einer Bierflasche zu. Im Dezember 1995 prügelte Frank S. in Bonn auf einen jungen Mann ein, den er wegen seiner roten Schnürsenkel in den Springerstiefeln für einen Aktivisten der Antifa hielt. In einer seiner Vernehmungen sagte S. nun der Polizei, er habe für kurze Zeit wegen einer "Meinungssache" im Gefängnis gesessen. Das war wohl gelogen.
Sein Verteidiger wollte sich auf Anfrage nicht äußern.
Der Polizei berichtete Frank S. in den vergangenen Tagen auch, dass er sich vor einigen Monaten das Leben habe nehmen wollen. Er habe keine Perspektive mehr für sich gesehen. Letztlich sei er aber davor zurückgeschreckt. In dem Gespräch mit einer Psychiaterin, die ihn am Sonntag als vollständig schuldfähig eingestuft hatte, erwähnte er seine Selbstmordabsichten nicht mehr. Dennoch wird er in der Untersuchungshaft nun entsprechend überwacht.
Sein Opfer, die Kölner Sozialdezernentin Reker, geriet wohl wegen ihrer Zuständigkeit für die in Köln untergebrachten Flüchtlinge in das Visier des Attentäters. So soll sich Frank S. im Internet über ihre Positionen in der Asylpolitik informiert und für sich entschieden haben: "Wenn die Bürgermeisterin wird, dann wird es noch schlimmer."
Nach Erkenntnissen der Ermittler brachte S. sämtliche Termine der Lokalpolitikerin am Samstag in Erfahrung. Er wollte am letzten Tag vor der Wahl zuschlagen. "Ich bin heute Morgen aufgestanden", zitiert der "Express" aus einem internen Vermerk der Behörden, "um heute Abend als Mörder im Gefängnis zu sitzen."
Video: Augenzeugen beschreiben die Messerattacke auf Reker