Holzklotz-Fall Polizei bluffte Nikolai H.
Rastede - Anderthalb Wochen waren seit dem feigen Autobahnanschlag am 23. März vergangen, da tauchte in der "Nordwest-Zeitung" eines Morgens diese Überschrift auf: "A-29-Mord: Polizei erwägt Massengentest" stand über dem ansonsten recht braven Artikel. Doch Nachrichtenagenturen, Radiostationen und Fernsehsender griffen die Neuigkeit in diesem inzwischen an Neuigkeiten so armen Fall am Folgetag nur allzu gerne auf.
Die Idee, die Polizei könnte bei den Menschen um Oldenburg DNA-Untersuchungen vornehmen und mit möglichen Spuren an dem sichergestellten Hauklotz vergleichen, raste durch das Land - und erreichte auch den mutmaßlichen Täter Nikolai H.. Aufgeschreckt, verängstigt, vielleicht sogar verzweifelt meldete sich der Arbeitslose zwei Tage später bei der Polizei.
H. wollte vorsorglich erklären, warum seine Genspuren an der Tatwaffe haften könnten. Dabei suchten die Fahnder zu diesem Zeitpunkt noch mit einem Phantombild nach einer vier- bis fünfköpfigen Gruppe junger Leute. Der Heroinabhängige sagte den Kriminalbeamten, er sei mit dem Fahrrad unterwegs zu seinem Dealer gewesen, als er den Holzklotz auf dem Radweg entdeckt habe. Er habe ihn hochgenommen, an das Brückengeländer gelehnt und sei nach Oldenburg weitergefahren. Die Ermittler hatte diese Auskunft stutzig gemacht.
"Ich habe schon geschmunzelt, als ich von der Ankündigung eines Massengentests hörte", sagt ein erfahrener Ermittler SPIEGEL ONLINE. "Das haben die Kollegen in Oldenburg wirklich geschickt angestellt." Als Polizist habe er gewusst, dass über eine solche Maßnahme nur ein Richter hätte entscheiden können. "Meiner Meinung nach wäre es dazu nicht gekommen." In Ermittlerkreisen nenne man einen solchen Bluff, der einen Täter unter Druck setzen soll, "jemandem den Kittel anzünden".
Tatsächlich hätte den Beamten, und das war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht klar, auch die zu einem Vergleich notwendige Genspur am Holzklotz gefehlt. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE stellten die Kriminaltechniker an dem Scheit schließlich zwar Erde und Fasern, die später H.s Kleidung zugeordnet werden konnten, sicher, mehr aber ergab die Untersuchung nicht: keine DNA, keine Fingerabdrücke. Nikolai H. sorgte sich vergeblich - und rannte in seiner Panik den Ermittlern in die Arme.
Journalisten hätten den Chef der Polizeiinspektion Oldenburg-Stadt, Johann Kühne, am 2. April gefragt, was denn geschehe, wenn Genspuren am Holzscheit gefunden würden, so Polizeisprecher Sascha Weiß am Donnerstag gegenüber SPIEGEL ONLINE. Darauf habe Kühne geantwortet, man werde diese dann mit der Polizeidatenbank vergleichen und - sollte das nichts ergeben - anschließend über einen Massengentest nachdenken.
Das sei ganz bewusst gesagt worden, man habe auch eine Antwort verweigern können. "Aber wir haben versucht, mit dieser Ankündigung den Druck auf den Täter zu erhöhen und eine Reaktion hervorzurufen", so Weiß. Das sei gelungen.
Doch auch noch dem Geständnis dauerten die Ermittlungen nun an, so Weiß. Es gebe "noch ein paar Fragen, die offen sind", etwa zu den Beweggründen des 30-Jährigen. H. hatte nach seiner widerstandslosen Verhaftung am Mittwoch "allgemeinen Frust" als Motiv für die Tat angegeben.
Zur Frage, ob H. am Ostersonntag unter Drogen stand, wollte sich die Polizei nicht äußern. Ein Bekannter des mutmaßlichen Täters sagte SPIEGEL ONLINE, Nikolai sei an dem betreffenden Tag "auf der Suche nach Stoff gewesen". Nach Angaben des Behördensprechers bereut H. in jedem Fall die Wahnsinnstat.
Die Polizei rief am Mittwoch erneut eine Gruppe von Jugendlichen auf, sich zu melden. Sie könnten als Zeugen dienen. Passanten wollen die Teenager in der Nähe des Tatorts gesehen haben. Die Polizei suchte mit einer Phantomskizze nach ihnen.
Insgesamt hat die Sonderkommission "Brücke", deren personelle Stärke in der kommenden Woche von 27 auf zwei Beamte reduziert werden soll, rund 700 Hinweise für ihre Ermittlungen erhalten.
Die Tat, die von den Ermittlern wegen ihrer heimtückischen Ausführung als Mord gewertet wird, geschah am Abend des Ostersonntags gegen 20 Uhr auf der Autobahn 29 zwischen dem Kreuz Nord und der Abfahrt Ohmstede. Plötzlich durchschlug der sechs Kilogramm schwere Klotz die Windschutzscheibe eines dahinbrausenden BMW und traf die Frau auf dem Beifahrersitz. Die 33-jährige Olga K. aus Telgte in Nordrhein-Westfalen starb vor den Augen ihres 36-jährigen Mannes und der sieben und neun Jahre alten Kinder. Die Kleinen blieben fast unverletzt, erlitten aber einen schweren Schock.