Holzklotz-Prozess Polizisten sagen nur noch mit Anwalt aus

Widersprüche, Ungereimtheiten, Ausflüchte: Im Verfahren gegen den mutmaßlichen Holzklotzwerfer Nikolai H. machten die Kriminalbeamten im Zeugenstand keine allzu gute Figur. Deshalb steht ihnen nun ein Anwalt zur Seite - auf Staatskosten.

Oldenburg - Die Befragung von Zeugen im Strafprozess ist eine hohe Kunst. Zahlreiche Lehrbücher befassen sich mit diesem Thema. Es gibt Vorsitzende Richter, die befleißigen sich einer so gründlichen Fragetechnik, dass für andere Verfahrensbeteiligte wie etwa den Staatsanwalt oder den Verteidiger, denen ebenfalls das Fragerecht im Strafprozess zusteht, buchstäblich keine Frage mehr offen bleibt.

Im sogenannten Holzklotz-Prozess, in dem es um den Tod einer 33 Jahre alten Mutter geht, die am Ostersonntag vorigen Jahres auf der Autobahn bei Oldenburg vor den Augen ihrer Familie von einem Holzstück getroffen wurde, das von einer Brücke geworfen worden war, wird es meist erst dann interessant, wenn die Verteidigung zu fragen anfängt.

Denn dann wird nicht nur routinemäßig abgefragt, was für eine mögliche Verurteilung des aus Kasachstan stammenden 31 Jahre alten Angeklagten Nikolai H. dienen könnte. Sondern es geht zunächst einmal darum, wie dieser Angeklagte überhaupt in Verdacht und am Ende auf die Anklagebank geraten ist.

Das ist stets mühsam, und der Pflichtverteidiger H.s, der Bremer Rechtsanwalt Matthias Koch, hindert mit seinen Anträgen, Widersprüchen, Beanstandungen und Beschwerden die 5. Strafkammer des Landgerichts Oldenburg an einer schneidigen Erledigung der Strafsache, die in der Öffentlichkeit bereits vor Prozessbeginn Anfang November 2008 geklärt zu sein schien. Doch davon ist man heute weiter entfernt denn je.

Schwache Indizien

Die Indizien, die gegen H. sprechen, sind schwach. Sehr viel mehr als ein Geständnis H.s hat die Anklage nicht vorzuweisen. Die Verteidigung erhob erfolglos Einwände gegen die Verwertbarkeit seiner Angaben; sie bezweifelt, bisher ebenfalls erfolglos, ob der Angeklagte rechtzeitig und richtig belehrt wurde und ob er, als er gestand, überhaupt vernehmungsfähig war. Je länger über jedes Detail gestritten wird, desto fragwürdiger scheint die Anklage zu werden.

Mittlerweile ist man bei den Polizeibeamten angelangt, die H. vernommen haben. Bekanntlich hatte sich der Angeklagte am 5. April selbst bei der Polizei gemeldet, um mitzuteilen, dass er an Ostern einen Holzklotz ("wie der im Fernsehen gezeigte") auf der Brücke gesehen und beiseite geräumt habe, damit sich niemand daran verletze. Einige Polizeibeamte hielten diese Angaben für Unsinn, da H. gleichzeitig erzählte, er, ein schwer Heroinabhängiger, sei damals mit dem Fahrrad auf der Suche nach Rauschgift gewesen. Dass sich ein Drogensüchtiger um Gegenstände auf dem Weg kümmert, hielt man für ziemlich unwahrscheinlich.

Zwei Tage später wurde H. dennoch als Zeuge vernommen, nachdem er in einer Klinik Methadon erhalten hatte. Er gab wieder zu, einen Holzklotz beiseite geschoben zu haben, bestritt aber, ihn von der Brücke geworfen zu haben. Er sprach überdies von einem "Fahrradreifen", den er ebenfalls weggeräumt habe. Im Vernehmungsprotokoll wurde daraus eine "Felge", vermutlich deshalb, weil die Polizei zwar eine Felge am Tatort gefunden hatte, nicht aber einen Reifen. Und als H. sagte, er habe den Klotz "an einen Zaun geschoben", wurde daraus im Polizeiprotokoll das Brückengeländer. Das schloss man "aus den Umständen", wie ein Polizeizeuge sagte. Einen Dolmetscher habe man nicht gebraucht; man habe H. die Begriffe "erläutert".

Am 21. April wurde H. erstmals als Beschuldigter vernommen - nach einem 90 Minuten langen sogenannten Vorgespräch. Was geschah in dieser Zeit? Der erste Vernehmungsbeamte, der dazu vor Gericht als Zeuge gehört wurde, konnte sich nicht recht erinnern. Er wusste aber noch, dass man vor der Vernehmung schon H.s Vorstrafenregister durchgesehen hatte, "weil man ja wissen will, mit wem man es zu tun hat".

"Nicht erwähnenswert"

Verteidiger Koch fragte immer wieder nach: Warum zum Beispiel nicht protokolliert wurde, was H. über die Suche nach Rauschgift sagte? "Weil ich das nicht für erwähnenswert hielt", antwortete der Zeuge. Warum nicht wörtlich protokolliert wurde? Warum die Polizei welche Antworten formulierte? Welcher der Vernehmungsbeamten wann anwesend war? "Oder wurden im Protokoll auch Fragen vergessen?", fragte Koch. "Kann ich nicht ausschließen", sagte verlegen der Polizeizeuge.

So ging es in den Tagen vor Weihnachten in einem fort. Die Fragen der Verteidigung waren unbequem, die Polizeizeugen erschienen wenig souverän. Am Tag vor Heiligabend erschien der erste Vernehmungsbeamte mit einem Rechtsbeistand an der Seite.

In einem Bericht der örtlichen Presse wurde daraufhin der Sprecher der Polizeidirektion Oldenburg mit den Worten zitiert, dieser "Fachanwalt für Strafrecht" werde auch künftig als Zeugenbeistand von Polizeibeamten fungieren. "Der Angeklagte lässt sich von drei Verteidigern vertreten, die die Polizeibeamten sehr intensiv und kritisch vernehmen. Zu ihrem eigenen rechtlichen Schutz haben die Kollegen, die die Kernermittlungen geführt haben, einen Rechtsbeistand beauftragt, sie in dem Verfahren zu begleiten. Die Kosten für den Anwalt zahlt zunächst das Land", so der Polizeisprecher.

"Absolutes Novum"

So etwas ist höchst ungewöhnlich. Polizeibeamte sind es gewohnt und sie sind geschult, vor Gericht als Zeugen Rede und Antwort zu stehen über ihre Arbeit. Sie sind weder extrem schüchtern noch ängstlich noch unfähig, sich verständlich auszudrücken. Wozu also ein Rechtsbeistand? Oder befürchten sie, sich in die Gefahr eines Verfahrens wegen Falschaussage und Meineides zu begeben? Die Frage, was sie möglicherweise zu verbergen haben, drängt sich unwillkürlich auf.

Und warum soll der Steuerzahler dafür aufkommen? Dem Angeklagten wurde die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers und eines Dolmetschers (auf Staatskosten) als unnötig verweigert, obwohl Verteidiger Koch alle Hände voll zu tun hat, die Verteidigung zu führen und dem Mandanten in verständlichen Worten zu erklären, worum es gerade geht. Koch: "Nach meinem Kenntnisstand ist es ein absolutes Novum, dass mit vieljähriger Berufserfahrung ausgestattete und geschulte Kriminalbeamte, ohne dass zuvor etwa eine Strafanzeige erstattet worden ist, mit anwaltlichem Zeugenbeistand erscheinen."

Dieser Beistand konnte allerdings nicht verhindern, dass es auffällige Unterschiede in den Zeugenaussagen über ein und dasselbe Geschehen gibt. So fanden etwa drei oder vier oder fünf oder noch mehr "Rauchpausen" mit dem Angeklagten während des eineinhalbstündigen Vorgesprächs statt, im Freien, weil im Büro nicht mehr geraucht werden darf. Protokolliert ist nichts davon. Der Angeklagte, der damals möglicherweise bis zu 24 Stunden schon kein Rauschgift mehr zu sich genommen hatte, behauptet, man habe ihm versprochen, er bekomme bald wieder Methadon in der Klinik. Daraufhin habe er ein Geständnis abgelegt - das er später widerrief.

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