Prozess in München IS-Rückkehrerin zu zehn Jahren Haft verurteilt

Die IS-Rückkehrerin Jennifer W. soll für zehn Jahre ins Gefängnis. Das Oberlandesgericht München gibt ihr eine Mitschuld daran, dass eine Fünfjährige in der Mittagssonne im Irak starb. Sie soll tatenlos zugesehen haben.
Angeklagte W. mit Verteidiger Aydin (Archiv)

Angeklagte W. mit Verteidiger Aydin (Archiv)

Foto: Peter Kneffel / dpa

Im Terrorprozess vor dem Oberlandesgericht München ist die IS-Rückkehrerin Jennifer W. zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Gericht sprach sie unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, wegen Beihilfe zum versuchten Mord und zum versuchten Kriegsverbrechen schuldig – außerdem wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Fall eines versklavten und getöteten Kindes.

Die Bundesanwaltschaft hatte der 30-Jährigen aus Lohne in Niedersachsen vorgeworfen, im Irak tatenlos dabei zugesehen zu haben, wie ihr damaliger Ehemann ein fünf Jahre altes jesidisches Mädchen in einem Hof ankettete und dort verdursten ließ. Sie war ursprünglich unter anderem wegen Mordes und Kriegsverbrechen angeklagt worden.

Das Kind sei »wehrlos und hilflos der Situation ausgesetzt« gewesen, sagte der Vorsitzende Richter Joachim Baier. Die Angeklagte habe »von Anfang an damit rechnen müssen, dass das in der Sonnenhitze gefesselte Kind sich in Lebensgefahr befand«. Sie habe aber »nichts unternommen«, um dem Mädchen zu helfen – obwohl ihr das »möglich und zumutbar« gewesen sei. Das Gericht zeigte sich auch überzeugt davon, dass Jennifer W. der Mutter des Mädchens später, als diese um ihr Kind weinte, drohte, sie zu erschießen, wenn sie nicht damit aufhöre.

Anklage forderte lebenslänglich

Die Bundesanwaltschaft hatte eine lebenslange Freiheitsstrafe gefordert, die Verteidigung dagegen eine maximal zweijährige Haftstrafe wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung »Islamischer Staat« (IS).

Jennifer W. selbst erhob Vorwürfe gegen die Justiz. »Der viel zitierte Satz ›Im Zweifel für den Angeklagten‹ kam in meinem Fall nicht zum Tragen«, sagte sie in ihrem Schlusswort vor Gericht. An ihr solle offenbar ein Exempel statuiert werden für alles Unrecht, das unter der Terrororganisation geschehen sei.

Sie war nach eigener Aussage im Jahr 2014 in den Irak gereist, um dort aus ideologischer Überzeugung einen IS-Kämpfer zu heiraten. Im Sommer 2015 soll sie der Anklage zufolge in Falludscha zugesehen haben, wie ein Mädchen ungeschützt und ohne Wasser der prallen Sonne ausgesetzt war. Zur Strafe fürs Bettnässen soll ihr Ehemann die Fünfjährige an einem Fenstergitter angebunden haben. Eine quälende Tortur, die laut Anklage zum Tode führte. Der Vorwurf in der Anklage lautete auf Mord durch Unterlassen.

Die Angeklagte entschuldigte sich in ihrem letzten Wort vor Gericht schließlich auch und verwies auf ihren Ex-Mann, der in Frankfurt am Main vor Gericht steht. Sie habe den Handlungen des Mannes aber machtlos gegenübergestanden und das Mädchen nicht einfach losbinden können.

Der Angeklagten seien die menschenfeindlichen Ziele und Taten des IS bekannt gewesen, als sie in den Irak ausreiste, um sich der Organisation anzuschließen, betonte das OLG in der Urteilsbegründung. Jennifer W. und ihr Ehemann hätten die Mutter des gestorbenen Mädchens als Haussklavin ausgebeutet, führte Richter Baier aus. Die Frau sei täglich geschlagen worden. W. habe ihren Mann oft dazu angestachelt. Sie habe mit ihrer IS-Mitgliedschaft die »Vernichtung der jesidischen Religion« und die »Versklavung des jesidischen Volkes« unterstützt.

Nach Angaben der jesidischen Organisation Yazda war der Münchner Prozess weltweit der Erste, in dem Straftaten von IS-Mitgliedern gegen die religiöse Minderheit der Jesiden angeklagt wurden.

Die Jesidin und Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad nannte den im April 2019 gestarteten Prozess einen großen Moment und ein wichtiges Verfahren für alle jesidischen Überlebenden. »Jeder Überlebende, mit dem ich gesprochen habe, wartet auf ein und dieselbe Sache: dass die Täter für ihre Taten gegen die Jesiden, insbesondere gegen Frauen und Kinder, verfolgt und vor Gericht gestellt werden.«

wit/dpa/AFP
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