Iserlohn Baby in verwahrloster Wohnung verhungert

Im nordrhein-westfälischen Iserlohn hat eine Mutter ihren drei Monate alten Jungen so verwahrlosen lassen, dass er starb. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie und ihren Lebensgefährten – aber auch gegen das Jugendamt. Dort wusste man von den schlimmen Zuständen, tat aber nichts.

Iserlohn - Sein Leben war kurz und fürchterlich. Drei Monate wurde André alt, die letzten Tage hat er wahrscheinlich vor Erschöpfung und Schmerzen nicht mehr mitbekommen, dann erlöste ihn der Tod.

Wie erst jetzt bekannt wurde, starb der kleine Junge vor drei Wochen an den Folgen von Unterernährung. Dem Jugendamt seien die Verhältnisse in der Dachgeschosswohnung in der Nähe der Iserlohner Innenstadt bekannt gewesen, erklärte die Staatsanwaltschaft. Die 26-jährige Mutter und ihr Säugling sowie dessen 16 Monate alter Bruder und die elfjährige Schwester seien intensiv betreut worden. Warum André trotzdem sterben musste, sei Gegenstand der Ermittlungen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Mutter und ihren 25-jährigen Lebensgefährten wegen eines Tötungsdelikts. "Außerdem ermittelt die Behörde wegen fahrlässiger Tötung gegen Mitarbeiter des Iserlohner Jugendamtes", sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Rahmer in Iserlohn.

Er machte keinen Hehl aus seiner Betroffenheit und Verwunderung: "Ich erwarte von einer öffentlichen Behörde noch mehr Verantwortungsbewusstsein als von einer Familie, die offensichtlich aus desolaten Verhältnissen kommt", sagte Rahmer in Richtung Jugendamt. Die Familie stehe seit langem unter Aufsicht des Jugendamtes.

Noch kurz vor Andrés Tod hatte eine Sozialarbeiterin im Auftrag der Behörde die Wohnung besucht, bestätigte auch ein Sprecher des Iserlohner Bürgermeisters. "Nach dem Fall Kevin in Bremen hätte man sensibler reagieren müssen. Das ist offenbar nicht passiert."

Warum das Jugendamt nicht reagierte, ist unklar: Denn für die Ermittler war die Wohnung "mehr eine Häufung von Sperrmüll und ungewaschener Wäsche als eine Wohnung, in der man leben kann", sagte Rahmer. Dem Kind habe man schon vor seinem Tod die Austrocknung sicherlich ansehen können.

"Solange Elternrechte von weniger Voraussetzungen abhängen als der Erwerb eines Führerscheins, kann sich so etwas wiederholen", sagte Rahmer. Er frage sich aber, warum die Behörden trotz der laufenden Besuche nicht reagiert hätten. Zudem hatte es weitere Hinweise gegeben: Anfang Juni war ein Polizist bei der Mutter, weil er deren per Haftbefehl gesuchten Bruder bei ihr vermutete. "Auch er hat danach das Jugendamt in einem schriftlichen Vermerk auf die völlig unhaltbaren hygienischen Zustände aufmerksam gemacht", sagte Rahmer.

Selbst auf den unnatürlichen Tod des am 3. Juli beerdigten André reagierte die Behörde offenbar nicht: Die Staatsanwaltschaft hatte das Amt am 27. Juni über das Obduktionsergebnis und die Todesursache "Mangelernährung und fehlende Flüssigkeitszufuhr" informiert. Doch erst am 13. Juli wurden die beiden anderen Kinder der Frau vom Jugendamt im benachbarten Hemer in Obhut genommen. Dorthin war die Frau nach dem Tod ihres Säuglings gezogen.

jjc/dpa

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