Urteil gegen Deso Doggs Witwe Von wegen naive Kriegergattin

Omaima A. vor Gericht (Archiv): Unter Tränen bat sie um eine "gerechte Strafe"
Foto:Daniel Reinhardt / dpa
Am Ende wirkte Omaima A. ungewohnt kleinlaut. Unter Tränen bat sie die Richter um eine "gerechte Strafe", es wirkte fast ein wenig inszeniert. Ihre Reise nach Rakka, der Hochburg der Terrororganisation Islamischer Staat (IS), sei blauäugig und ein Fehler gewesen, beteuerte die vierfache Mutter.
Der Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts glaubte Omaima A. nicht. In Saal 237 verurteilt er die 36-Jährige wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren. Ihr Verteidiger Tarig Elobied hatte eine Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung, der Vertreter der Bundesanwaltschaft eine von vier Jahren und zehn Monaten gefordert.
Omaima A. sitzt mit dem Rücken zu den Zuhörern, sie trägt einen weißen Blazer und ihre Haare offen. Mit dem IS habe sie abgeschlossen, mit ihrem Glauben auch, sagt sie. Sie sei keine praktizierende Muslimin mehr.

Der Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts: "Sie wusste, was sie erwartet"
Foto: GEORG WENDT / AFPDer Senatsvorsitzende Norbert Sakuth fasst in der Urteilsbegründung das Leben der Frau zusammen, die die deutsche und tunesische Staatsangehörigkeit besitzt: Nach ihrem Hauptschulabschluss brach Omaima A. zwei Ausbildungen ab, reiste nach Paris und Venedig, jobbte dort als Reiseleiterin.
"Hier bombt es regelmäßig"
Mit 21 Jahren heiratete sie ihre Jugendliebe, gründete eine Familie, ließ sich scheiden und vertiefte ihren muslimischen Glauben, den ihre Eltern zu Hause nicht besonders ausgelebt hatten. Sie besuchte Moscheen, fand Anschluss in der sogenannten Schwester- und Brüderszene Hamburgs, engagierte sich in der Gefangenenhilfe für Betroffene, denen Straftaten mit islamistischem Hintergrund vorgeworfen wurden.
Omaima A. begann, sich voll zu verschleiern, besuchte Demonstrationen von Salafisten und radikalisierte sich. 2012 heiratete sie den Islamisten Nadir Hadra, dem sie 2015 mit ihren drei Kindern nach Rakka in Syrien folgte, wo er für den IS kämpfen wollte. "Es ist die Pflicht jedes Moslems, ins Kalifat zu ziehen", zitiert Sakuth Hadras Leitsatz und beschreibt die damalige Lage in Syrien voller "menschenverachtender Brutalität".
Nach Überzeugung des Senats war Omaima A. "fasziniert von der Idee eines Islamischen Staates", die Rolle "der Frau eines Kämpfers" habe sie attraktiv gefunden. Im Prozess hatte A. indes behauptet, sie habe sich den IS, "von dem alle so schwärmen", einfach mal "angucken" wollen.
So naiv sei A. nicht, sind die Richter überzeugt. A. sei damals 30 Jahre alt gewesen, fest verankert in der salafistischen Szene. "Sie wusste, was sie erwartet", konstatiert Sakuth. "Sie wusste, dass der Ehemann nicht von 9 bis 17 Uhr kämpfen geht und danach gemütlich auf dem Sofa Platz nimmt." A. habe einer Freundin selbst geschrieben: "Hier bombt es regelmäßig."
Der Senatsvorsitzende zählt weitere Hinweise für diese Überzeugung auf. So habe A. ihrem Ehemann, der nahe Kobanê als Kämpfer eingesetzt war, geschrieben: "Wenn du den Märtyrer-Tod gestorben bist, bitte ich Allah, dich anzunehmen. Mit dir will ich das Paradies betreten. Ich liebe dich." Die Kommunikation mit ihrem Ehemann zeige, so der Senatsvorsitzende, dass A. keine Gefangene im IS war, die unter Lebensgefahr gezwungen war, mit ihren Kindern im Kalifat zu bleiben. "Sondern, dass hier zwei Vertraute mit derselben Einstellung kommunizieren."
Nach dem Tod ihres Ehemannes heiratete Omaima A. 2015 Denis Cuspert, einen unter dem Namen Deso Dogg mäßig erfolgreichen Gangsta-Rapper aus Berlin. Sakuth bezeichnet ihn als "bekannte Persönlichkeit innerhalb des IS", er habe deutschsprachige Propaganda produziert. A. habe den gemeinsamen Haushalt geführt, sich um die Erziehung der Kinder gekümmert und in einer Mail geschrieben: "Es ist wunderbar, in einem Land zu leben, in dem Allahs Wort das Größte ist." Auch diese "Werbebotschaften", wie es Sakuth nennt, passten nicht zu der Person, die A. vorgibt, gewesen zu sein: eine Frau, die gegen ihren Willen im IS lebte.
Auch Cuspert starb als IS-Kämpfer, zuvor aber war Omaima A. im September 2016 zurück nach Hamburg gereist, schwanger mit dem vierten Kind. Sie fand zurück zu ihrem Leben vor ihrer Radikalisierung - und sie fand Gefallen daran. "Sie genoss das Leben in Freiheit und den Lifestyle", stellt Sakuth fest. Dennoch sagte A. noch 2018 in einem abgehörten Telefonat zu einer Freundin: "Alter, mein Leben in Syrien war geil!" Selbst ein Gespräch im März 2019 widerlege die Theorie der Abtrünnigen, als die sich A. im Verfahren gerierte. "Das Leben vor Ort war ein normales", sagte A. zu einer Freundin.
Mit erhobenem rechten Zeigefinger
Drei Jahre lang lebte Omaima A. nach ihrer Rückkehr aus Syrien unbehelligt südlich der Elbe, im Hamburger Stadtteil Neugraben. Sie feilte an ihrer Karriere als Kosmetikerin, bis Jenan Moussa, Reporterin des arabischen Fernsehsenders Al Aan TV, sie enttarnte. Moussa war im Besitz des Mobiltelefons, das Omaima A. in Syrien benutzt hatte. Fotos davon, die Omaima A. mit Kalaschnikow und ihren Kindern in IS-Uniformen zeigen, waren Teil der Beweisaufnahme in dem Hamburger Verfahren. Bei ihrer Festnahme im September 2019 streckte sie den rechten Zeigefinger aus, das Bekennerzeichen der Dschihadisten. "Das mag man als Trotzreaktion verstehen", sagt der Richter, "aber auch als Signal der weiteren Zugehörigkeit".
Omaima A. hat nach Überzeugung des Gerichts zudem ihre Erziehungs- und Fürsorgepflicht für ihre Kinder verletzt, durch den Besitz eines Kalaschnikow-Sturmgewehrs AK-47 gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen und Beihilfe zur Versklavung eines jesidischen Mädchens geleistet.
Sie war die erste Frau, die in Hamburg wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der Terrormiliz vor Gericht stand. Ganz am Ende wendet sich der Senatsvorsitzende Sakuth noch einmal direkt an A.: "Sie haben mehrfach angesprochen, dass Sie hier nur sitzen, weil Sie die Witwe von Deso Dogg seien. Was das Interesse der Medien angeht, gebe ich Ihnen recht. Aber, ob Sie die Witwe von Herrn Cuspert sind oder nicht, hat für uns keine Rolle gespielt. Für uns waren allein Ihre Tatbeiträge relevant."
Omaima A. steht nach diesen Worten auf, dreht sich zu den Zuschauerplätzen, winkt und wirft ihren Verwandten und Freunden Luftküsse zu. Sie wirkt nicht mehr kleinlaut.