Islamistenprozess in Dresden »Seine Homophobie hat ihn dazu bewogen, sich gerade diese beiden Menschen auszusuchen«

Vor dem Oberlandesgericht Dresden wird seit heute der erste islamistische Mordanschlag auf Homosexuelle in Deutschland verhandelt. Einem Psychiater gegenüber hat sich der Angeklagte bereits offenbart.
Von Wiebke Ramm, Dresden
Angeklagter Abdullah al H. H. beim Prozessauftakt in Dresden: »Eigentlich war es seine Absicht, als Märtyrer zu sterben«

Angeklagter Abdullah al H. H. beim Prozessauftakt in Dresden: »Eigentlich war es seine Absicht, als Märtyrer zu sterben«

Foto: Matthias Rietschel / POOL / EPA

Die Hand- und Fußfesseln werden Abdullah al H. H. nicht abgenommen. Dass der 21-Jährige nach wie vor gefährlich ist, daran gibt es nach dem ersten Verhandlungstag vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden kaum einen Zweifel. Daran, dass er es war, der am 4. Oktober 2020 einen Mann getötet und dessen Lebensgefährten schwer verletzt hat, auch nicht. Es ist der erste islamistische Anschlag auf Homosexuelle in Deutschland.

Thomas L. und sein Lebensgefährte Oliver L. waren als Touristen aus Nordrhein-Westfalen nach Dresden gekommen. Am Abend des 4. Oktober 2020 laufen sie durch die Innenstadt. Gegen 21.30 Uhr wollen sie zurück ins Hotel, als der Angriff passiert.

Abdullah al H. H. sticht laut Anklage hinterrücks, heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen mit zwei Küchenmessern zu. Er rammt Thomas L. das Messer in den Rücken. Die 21 Zentimeter lange Klinge durchdringt seinen Körper fast vollständig. Die Klinge bricht ab und bleibt in seinem Körper stecken. Mit dem zweiten Messer sticht al H. H. auf Oliver L. ein. Die Männer brechen zusammen, schreien um Hilfe, versuchen sich zu wehren. Abdullah al H. H. flieht. Oliver L., 53, wird schwer verletzt. Sein Lebenspartner, Thomas L., 55, überlebt die Tat nicht.

In Dresden begann sich der Angeklagte zu radikalisieren

Abdullah al H. H. hört aufmerksam zu, als der Vertreter der Bundesanwaltschaft am Montag die Anklage verliest. Ein Dolmetscher übersetzt die Worte für ihn ins Arabische. Abdullah al H. H. muss sich wegen Mordes, Mordversuchs und gefährlicher Körperverletzung vor Gericht verantworten. Da er zur Tatzeit 20 Jahre alt war und damit juristisch als Heranwachsender gilt, muss das Gericht prüfen, ob er nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt wird.

Der Angeklagte habe die beiden Tatopfer ausgewählt, um sie »als Repräsentanten einer vom ihm als ungläubig abgelehnten freiheitlichen und offenen Gesellschaftsordnung anzugreifen« und sie für ihre Homosexualität, »die er als schwere Sünde empfand«, mit dem Tode zu bestrafen, heißt es in der Anklage.

Nach der Tat herrschte aufseiten der Ermittlungsbehörden zunächst Schweigen über die sexuelle Identität der Opfer und damit über das Tatmotiv. »Zur sexuellen Orientierung von Tatopfern« würden keine Angaben gemacht, erklärte ein Dresdner Oberstaatsanwalt noch zweieinhalb Wochen nach der Tat. Ist das tatsächlich so? Würde nicht jedes heterosexuelle Ehepaar, das einem solchen Anschlag zum Opfer fiele, ganz selbstverständlich als Ehepaar benannt? Als hätte es nichts mit der Tat zu tun, dass Oliver L. und Thomas L. sich liebten.

Er wirkte »auf eine ausgesprochen irritierende Weise selbstkritisch«

Vor Gericht will sich Abdullah al H. H. nicht äußern. Doch gegenüber dem forensischen Psychiater, Professor Norbert Leygraf, tat er es in der Untersuchungshaft ausführlich. Zwei Tage lang sprachen sie miteinander, insgesamt sechseinhalb Stunden. Vor Gericht gibt Leygraf die Worte des Angeklagten wieder.

»Herr al H. H. wirkte sehr ernst, sehr nachdenklich und auf eine ausgesprochen irritierende Weise selbstkritisch.« Selbstkritisch nicht in dem Sinne, dass er seine Tat bereut. Selbstkritisch in dem Sinne, dass er die Tat nicht so vollendet hat, wie er es wollte.

Homosexuelle seien Feinde Gottes, die bekämpft, geschlagen und getötet werden müssten. So habe er es dem Psychiater gesagt. Der Vorsitzende Richter, Hans Schlüter-Staats, formuliert es später am Tag so: »Seine Homophobie hat ihn dazu bewogen, sich gerade diese beiden Menschen auszusuchen.«

Abdullah al H. H. ist im syrischen Aleppo geboren. 2015 schlug er sich über die Türkei, Griechenland und die Balkanroute bis nach München durch. 2017 kam er nach Dresden. Dort begann er sich zu radikalisieren. Er habe sich zahlreiche radikal islamistische Videos angesehen und Kontakt zu Anhängern der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) aufgenommen, sagte er Psychiater Leygraf.

Im August 2017 wurde al H. H. verhaftet und 2018 verurteilt, weil er unter anderem für den IS geworben hatte. Da er in der Haft Justizwachtmeister angriff, kam eine weitere Strafe hinzu. Erst am 29. September 2020 kam al H. H. nach mehr als drei Jahren aus dem Gefängnis. Den Behörden galt er weiterhin als radikaler Islamist. Er wurde überwacht, allerdings nicht rund um die Uhr.

Noch im Gefängnis habe er sich bei Mitgefangenen erkundigt, wie er an Waffen gelange. »Mit diesen Waffen habe er nach seiner Haftentlassung ›Ungläubige‹ töten wollen«, gibt Leygraf die Worte des Angeklagten wieder. Sein Entschluss, zu töten, stand fest. »Er wusste nur noch nicht, wie und wann.«

Zwei Messersets gekauft

Nach Erkenntnis der Ermittler kaufte er am 2. Oktober 2020 mehrere Küchenmesser. Er habe gleich zwei Messersets gekauft, um möglichst viele »Ungläubige« zu töten, sagte er Leygraf.

Am 4. Oktober verließ er mit zwei Messern am späten Nachmittag seine Wohnung. Er ging erst zum Gebet in eine Moschee und fuhr dann mit der Straßenbahn ins Dresdner Stadtzentrum. Dort hielt er nach Opfern Ausschau. Irgendwann entdeckte er Oliver L. und Thomas L. Sie hielten Händchen, lachten miteinander. Abdullah al H. H. registrierte es genau. Er verfolgte und beobachtete sie. »Er habe sie als Ziel ausgewählt, weil sie homosexuell seien«, gibt der Psychiater dessen Worte wieder.

Der Angeklagte rammte Thomas L. das Messer in den Rücken. Dann verletzte er Oliver L. und floh. »Eigentlich war es seine Absicht, als Märtyrer zu sterben«, so sagte es der Angeklagte dem Psychiater. Er habe es als Zeichen Gottes gedeutet, dass er entkommen habe können. »Nun könne er sich auf größere Sachen vorbereiten. Entweder zum IS nach Syrien reisen oder hier noch mehr ›Ungläubige‹ töten.« Gut zwei Wochen später, am 20. Oktober, wurde er verhaftet.

Die Tat sei kein Fehler gewesen. »Er habe nichts Falsches getan, aber es nicht klug angestellt«, sagte er Leygraf. Er hätte vor der Tat den IS informieren und den Treueschwur ablegen müssen. Wenn er wieder in Freiheit käme, würde er sich erst vom IS »beraten lassen« und dann wieder töten. »Wenn ich aus der Haft komme, werde ich hier in diesem Land Leute töten.« Leygraf: »An dieser klaren Zielsetzung hat er nie einen einzigen Zweifel gelassen.« Abdullah al H. H. habe dabei ganz ruhig gewirkt – »als ob er vom Normalsten der Welt reden würde«.

Ein Polizist, der wenige Minuten nach der Tat am Tatort war, bricht vor Gericht in Tränen aus. Er sah Thomas L. sterbend am Boden liegen. Er selbst kümmerte sich um den schwer verletzten Oliver L. Dass Oliver L. überlebt hat, »das war einfach nur Glück«, sagt später ein Rechtsmediziner.

Oliver L. sagte dem Mediziner, dass er und sein Partner »unvermittelt von hinten« attackiert wurden. »Ihm war vollkommen unklar, warum sie angegriffen wurden.« Der Mediziner sagt auch: »Er hat sich sehr nach dem Zustand seines Lebensgefährten erkundigt, den ich ihm aber zu dem Zeitpunkt vorenthalten wollte, ehrlich gesagt.« Denn Oliver L.s Lebensgefährte lebte nicht mehr.

Thomas L. starb eine Stunde nach dem Angriff im Krankenhaus. Er ist verblutet.

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