Deutscher in US-Haft "Man kann mich doch nicht einfach so wegschmeißen"

Jens Söring
Foto: DPA/ FarbfilmDreißig Jahre hat Jens Söring durchgehalten. Hat gekämpft, gehofft und gebetet, nicht in Vergessenheit zu geraten. Doch nun schwindet seine Kraft.
Es sei extrem schwer geworden, nicht den Mut zu verlieren, sagt er: "Momentan ringe ich mit der Frage, wie ich denn jetzt noch weitermachen kann."
Sörings Worte knarzen durch eine miserable, analoge Telefonleitung. Immer wieder schneidet eine automatisierte Frauenstimme das Gespräch abrupt ab: Häftlinge dürfen nur zehn Minuten am Stück mit der Außenwelt kommunizieren.
Der deutsche Diplomatensohn Jens Söring sitzt seit 1986 wegen Doppelmordes im Gefängnis. Die ersten Jahre verbrachte er in U-Haft, dann sprach ihn ein Gericht im US-Bundesstaat Virginia schuldig, die Eltern seiner Freundin Elizabeth Haysom erstochen zu haben. Das Urteil: zweimal lebenslänglich.
Söring hatte zwar gestanden, später aber widerrufen - er habe Haysom schützen wollen, sagte er. Bis heute sind seine Unschuldsbeteuerungen weitgehend verhallt. Alle Versuche, das Verfahren neu aufrollen zu lassen, scheiterten.
"Ich fühle mich vollkommen im Stich gelassen", sagt der 50-Jährige im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Man kann mich doch nicht einfach so wegschmeißen."
Jetzt gibt es einen vielleicht letzten Hoffnungsschimmer. Der Dokumentarfilm "Das Versprechen" , der am Donnerstag in die deutschen Kinos kommt, wartet mit neuen Ungereimtheiten und Informationen über den Fall auf: So soll keine der DNA-Proben vom Tatort mit Sörings DNA übereinstimmen; sein Anwalt schickte auf dieser Grundlage eine neue Petition an den Gouverneur von Virginia, um seinen Mandanten freizubekommen.
Außerdem gibt es ein FBI-Täterprofil, das nie in den Prozess eingebracht wurde und auf eine Frau hindeutet, die eine enge Beziehung zu den Opfern gehabt habe - mutmaßlich Haysom selbst, die ihrerseits wegen Anstiftung zu 90 Jahren Haft verurteilt wurde. Sie hält an ihrer Darstellung fest, dass es Söring war, der ihre Eltern ermordete .

Elizabeth Haysom 1987 vor Gericht
Foto: Dan Doughtie/ APNeue Zweifel
"Ich bin generell hoffnungsvoll, da die DNA-Beweise sehr, sehr stark sind", sagt Söring müde. Einen "juristischen Durchbruch" könne der Film aber kaum bringen.
In der Tat ist das Urteil unanfechtbar. Es wurde von allen US-Instanzen für rechtmäßig erklärt. Auch alle darüber hinausgehenden Gnadengesuche und Anträge, Söring wenigstens an die Justiz in Deutschland zu überstellen, wo er eine Schuld längst abgesessen hätte, blieben erfolglos. Sörings Freilassung würde der harten "Law-and-Order"-Linie widersprechen, die zum Pflichtprogramm für US-Politiker gehört.
"Das Versprechen" kann aber zumindest Zweifel streuen. Beklemmende Gefängnisinterviews mit einem gealterten Söring, Originalaufnahmen aus dem Prozess und nachgestellte Szenen, in denen Schauspieler Daniel Brühl Söring seine Stimme leiht, zeichnen das surreale Bild einer "College-Liebe, die fatal endete", wie der "New Yorker" in einem wenig schmeichelhaften Porträt über Söring schrieb.
Die deutschen Filmemacher Marcus Vetter und Karin Steinberger stellen Söring nicht gerade freundlicher dar: Mal wirkt er bitter, mal trotzig-arrogant. Überzeugender sind die Indizien, die "Das Versprechen" zutage fördert. Das "Täterprofil" zum Beispiel, das der FBI-Spezialist Ed Sulzbach erstellte. Vetter und Steinberger spürten ihn auf, doch er verstarb im April.
"Nichts kann die verlorenen Jahre wiederherstellen"

Jens Söring 1990 nach seiner Verurteilung
Foto: STEVE HELBER/ ASSOCIATED PRESSAuch andere widersprechen einer Schuld Sörings. Ein Automechaniker, der Elizabeth Haysom nach der Tat mit einem anderen Mann gesehen haben will - und einem blutigen Messer. Ein Privatdetektiv, der neue Ermittlungen anstellte. Virginias ehemalige Vizejustizministerin. Ein Ex-Sheriff. Sörings Gefängniskaplan.
Doch im aktuellen politischen Klima wird sich nichts ändern. Virginias Gouverneur Terry McAuliffe, ein Demokrat, kann sich keine juristische Milde leisten, da er gegen ein Parlament regiert, das in mehrheitlich republikanischer Hand ist. Ende 2015 wurde eine Entlassung auf Bewährung zum elften Mal abgelehnt. McAuliffe wies außerdem einen weiteren Haftüberstellungsantrag ab.
Söring lebt im Buckingham Correctional Center im tiefsten Virginia. Dort sitzen rund 1100 Insassen, obwohl der Bau nur für 600 ausgelegt ist. "Es gibt immer mehr Kämpfe und Gewalt", berichtet Söring. "Die Gangs sind überall."
Ob er sich von dem neuen Film auch eine neue Chance erhoffe? "Nichts kann die verlorenen 30 Jahre meines Lebens wiederherstellen", antwortet Söring. Dann klickt es wieder, und die automatisierte Frauenstimme beendet das Gespräch.