Justizopfer Harry Wörz klagt auf weitere Entschädigung

Harry Wörz saß viereinhalb Jahre lang unschuldig hinter Gittern. Er war wegen versuchten Totschlags an seiner Frau verurteilt worden. Das Land Baden-Württemberg zahlte ihm erst spät eine Entschädigung, nun fordert Wörz weitere Zahlungen.
Justizopfer Harry Wörz (2013): Berufsunfähig und freigesprochen

Justizopfer Harry Wörz (2013): Berufsunfähig und freigesprochen

Foto: Uli Deck/ dpa

Hamburg - Harry Wörz ist zwar ein gebrochener Mann, ruiniert durch die Erfahrungen, die er seit 1997 mit der Justiz hatte machen müssen. Aber trotzdem hat er noch nicht alle Hoffnung fahren lassen, wenigstens eine einigermaßen akzeptable Kompensation des Schadens zu erreichen, der ihm durch das Versagen der Justiz entstanden ist. Die verlorenen Jahre und seine Gesundheit und Lebensfreude gibt ihm ohnehin niemand zurück.

Wörz verklage das Land Baden-Württemberg auf weitere Entschädigung, meldete am Freitag das Landgericht Karlsruhe, bei dem die Klage bereits am 14. Juli eingegangen ist. Wörz verfolge damit Ansprüche weiter, die er zuvor bei der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe als Vertreterin des Landes außergerichtlich geltend gemacht hatte. Dort aber seien sie nur zum Teil anerkannt worden.

Der Fall zählt zu den besonders tragischen Irrtümern, die der Justiz in den vergangenen Jahren unterliefen. Er ähnelt dem des zu Unrecht der Vergewaltigung einer Kollegin bezichtigten und verurteilten Lehrers Horst Arnold . Beide Männer, Wörz wie Arnold, wurden zwar nach jahrelangem Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit schließlich nach umfangreichen Wiederaufnahmeprozessen freigesprochen. Doch erledigt war die Sache damit noch längst nicht.

Täter nicht gefasst

Arnold erreichte wegen des hartnäckigen, zögerlichen Verhaltens der hessischen Ministerialbürokratie seine berufliche Rehabilitation nicht mehr; er erlag ein Jahr nach seinem Freispruch einem Herzversagen - erschöpft, resigniert, körperlich wie seelisch am Ende.

Harry Wörz hat die Auseinandersetzungen mit der Justiz überlebt. Der gelernte Installateur war am 29. April 1997 unter dem Verdacht festgenommen worden, seine damals von ihm getrennt lebende Ehefrau, eine Polizistin in Pforzheim, nachts so schwer attackiert zu haben, dass sie beinahe zu Tode gekommen wäre. Seither ist sie ein Schwerstpflegefall und wird lebenslang auf die Hilfe anderer angewiesen sein.

1998 wurde Wörz vom Landgericht Karlsruhe wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt, nachdem die Pforzheimer Polizei, die in dem Fall ermittelte, den Verdacht allein auf ihn gelenkt hatte. Ein verheirateter Kollege aus den eigenen Reihen, der mit der Frau ein Verhältnis unterhalten und sich weit mehr verdächtig gemacht hatte als Wörz, blieb dagegen unbehelligt. Es gab einen auffallenden Beweismittelschwund. Der Täter ist bis heute nicht gefasst.

Vier Jahre nach dem Verbrechen wurde Wörz aus der Haft entlassen, nachdem ein Karlsruher Zivilgericht die Schmerzensgeldklage der durch ihre Eltern vertretenen Frau gegen Wörz abgewiesen hatte. Das damalige Gericht war auf zahlreiche Ungereimtheiten im Strafurteil gestoßen, die nach einem schier endlosen Prozessmarathon schließlich ausreichten, die Wiederaufnahme des Falls vor dem Landgericht Mannheim durchzusetzen. Erst am 15. Oktober 2010, zwölfeinhalb Jahre nach der Festnahme Wörz', bestätigte der Bundesgerichtshof den Mannheimer Freispruch aus dem Jahr 2009.

Wörz muss erst einmal selbst zahlen

Das Land Baden-Württemberg hatte Wörz danach einen Verdienstausfall von brutto 155.886,81 Euro zugestanden. Nun macht er, vertreten durch die Karlsruher Rechtsanwältin Sandra Forkert-Hosser, weitere 86.251,52 Euro als Entschädigung für weiteren Verdienstausfall geltend. Außerdem verlangt er den Ersatz von Rechtsanwaltskosten und Schäden durch den haftbedingten Verlust von Einrichtungsgegenständen in Höhe von rund 26.000 Euro sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht des Landes für künftige materielle Vermögensschäden.

Mittlerweile ist Wörz berufsunfähig und bezieht Rente. Als skandalös dürfen die Anstrengungen der Generalstaatsanwaltschaft bezeichnet werden, sich vor Zahlungen von der Haftentlassung an bis zur durch Gutachter bestätigten Berufsunfähigkeit im Jahr 2010 zu drücken. Ihr Argument: Der Installateur hätte ja in seinem erlernten Beruf arbeiten können.

Dabei bedurfte es zweier weiterer Strafprozesse im Anschluss an das Zivilverfahren - in einem ersten war Wörz 2005 freigesprochen worden, wogegen die Staatsanwaltschaft erfolgreich Revision einlegte - bis es zum endgültigen Freispruch kam. Mit welchen nervlichen Belastungen ein Unschuldiger zu kämpfen hat, solange er nicht weiß, wie die nächste Instanz urteilen und was noch alles auf ihn zukommen wird, kann man sich offensichtlich vor allem in jenen Ämtern und Behörden, die Zahlungen zu leisten haben, nicht vorstellen.

Der Anwalt des verstorbenen Lehrers Arnold, Hartmut Lierow, überlegte, ob nicht endlich einmal auch eine höhere Entschädigung für zu Unrecht erlittene Untersuchungs- und Strafhaft erkämpft werden sollte. Zur Zeit wird ein Tag in Haft mit 25 Euro abzüglich Kost und Logis erstattet. Lierow sah schließlich davon wegen der immensen Kosten ab, für die die Familie des Justizopfers in Vorlage hätte treten müssen, ohne sich eines Erfolgs sicher sein zu können. Auch Harry Wörz muss erst einmal zahlen, wenn er jetzt klagt: 3800 Euro Gerichtskosten entsprechend dem Streitwert dürften da schon mal vorzuschießen sein, von Anwaltshonoraren ganz abgesehen.

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