

Charles Hynes ist ein vielbeschäftigter Mann. Allein in den vergangenen Tagen taufte Brooklyns Bezirksstaatsanwalt einen Boulevard um, gab eine Open-Air-Pressekonferenz zum Thema Gewalt in der Ehe, stellte ein Resozialisierungsprogramm für Jugendliche vor und schloss, nebenbei, einen Mordfall ab, der mit lebenslang endete.
Für den übervollen Terminkalender gibt es vor allem einen Grund: Hynes steckt im Wahlkampf. Denn Bezirkstaatsanwälte werden in den USA per Stimmzettel bestellt, in diesem Fall bei der Bürgermeisterwahl im November. Und obwohl Hynes seit 1990 unangefochten amtiert, muss er um seinen Job fürchten. Plötzlich sieht sich der 78-jährige Demokrat sogar genötigt, um seine Kandidatur kämpfen zu müssen - gegen einen prominenten Parteirivalen, dessen Chancen derzeit ständig steigen: Rechtsanwalt Ken Thompson vertrat voriges Jahr das Zimmermädchen Nafissatou Diallo im Vergewaltigungsprozess gegen Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn.
Denn ausgerechnet jetzt findet Hynes sich in einen Justizskandal verstrickt, wie ihn selbst New York City noch nie erlebt hat. In Brooklyn werden gerade sage und schreibe 40 alte Mordfälle neu aufgerollt. Betroffen sind 50 Verurteilte, deren Schuldsprüche wackeln. Nicht alle stammen aus Hynes' Zeiten, einige gehen zurück bis in die achtziger Jahre. Doch die Schlagzeilen wecken bei vielen New Yorkern Entsetzen über ein Justizsystem, dem sie sowieso misstrauen.
Die "unkonventionellen" Methoden des Cops
Alles begann mit David Ranta. Als einer der ersten Angeklagten der Hynes-Ära war der Drucker 1991 schuldig gesprochen worden, den Rabbi und Auschwitz-Überlebenden Chaskel Werzberger bei einem Überfall erschossen zu haben. Das Gericht verurteilte Ranta zu 37,5 Jahren im Hochsicherheitstrakt.
Doch im März, nach fast 23 Jahren, kam Ranta frei. Recherchen der "New York Times" und neue Zeugeneinlassungen enthüllten, dass die Polizei belastende Aussagen manipuliert hatte. Ranta, 58, erlitt am Tag nach seiner Entlassung einen Herzinfarkt und hat die Stadt auf 150 Millionen Dollar Schmerzensgeld verklagt: "Sie haben mein Leben zerstört."
Hynes beschloss daraufhin, insgesamt 50 weitere Verurteilungen prüfen zu lassen - obwohl er in den Jahren zuvor alle Appelle abgelehnt hatte. Auch die "New York Times" legte nach und fand bei einem Dutzend alter Fälle Ungereimtheiten. Etwa wortgleiche "Geständnisse" und immer wieder dieselbe "Zeugin", eine cracksüchtige Prostituierte.
Die inkriminierten Fälle haben aber noch einen anderen gemeinsamen Nenner: Der verantwortliche Cop war stets Louis Scarcella, ein Mordkommissar im Revier Brooklyn North.
Der knallharte Ex-Soldat führte nach eigener Schätzung bis zur Pensionierung 1999 bei 175 Mordermittlungen die Feder und wirkte bei ebenso vielen mit. Schon immer war bekannt, dass er "unkonventionell" arbeitete. Dass diese Formulierung eine hoffnungslose Untertreibung ist, scheint aber erst jetzt herauszukommen.
Scarcella, 61, feierte seine Erfolge gerne mit Zigarren. Jetzt wird er von Reportern belagert, teure Zivilprozesse drohen, wenn nicht Schlimmeres. Schon beschützen Ex-Kollegen vom New York Police Department sein Haus. In Interviews beteuert er seine Unschuld: "Ich erwarte, dass sie nichts finden."
Bezirksstaatsanwalt Hynes versuchte den ihm selbst drohenden Schaden einstweilen an anderer Front zu begrenzen: Er segnete eine umstrittene Doku-Soap über sein Büro ab. "Brooklyn DA" (kurz für District Attorney, Bezirksstaatsanwalt) lief seit Mai zur Primetime im TV-Sender CBS und zeigte die Arbeit der Staatsanwälte in heroischem Licht. Kostenlose Wahlkampfwerbung, schimpfte die Konkurrenz.
Die letzte Folge Anfang Juli widmete sich aber weitgehend nur einem alten Fall: David Ranta.
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Der ehemalige Polizeiermittler Louis Scarcella steht im Mittelpunkt eines Justizskandals in Brooklyn: Unter seiner Führung sollen in Mordfällen Aussagen gefälscht worden sein. Es geht um 40 Fälle.
David Ranta war für den Mord an Rabbi Chasel Werzberger von 1990 verurteilt worden. Nach 21 Jahren hinter Gittern wurde er freigelassen, eine Untersuchung hatte große Zweifel an den Beweisen gegen ihn hervorgebracht.
Der Fall David Ranta wurde auch in der Doku-Soap "Brooklyn DA" thematisiert. Die Serie zeigte die Arbeit der Staatsanwälte in heroischem Licht.
Der Skandal wird allerdings zum Problem für Charles Hynes: Der Bezirksstaatsanwalt von Brooklyn will bald wiedergewählt werden, der Wirbel in seinem Haus kommt da ungelegen.
Er wird es ohnehin schwer haben, denn sein Konkurrent, Anwalt Ken Thompson, machte sich als Verteidiger des Zimmermädchens Nafissatou Diallo im Prozess gegen Dominique Strauss-Kahn einen Namen.
In dieser Polizeiwache arbeitete Louis Scarcella, ein Ermittler, der für seine unkonventionelle Arbeit bekannt war. Nun müssen einige seiner Mordfälle neu aufgerollt werden.
Tatort in Brooklyn: Hier war 1990 der Rabbi Chaskel Werzberger ermordet worden.
Park nahe des Tatorts: Für die Tat war David Ranta für 37,5 Jahre Haft verurteilt worden. Doch im März kam Ranta frei, die Polizei hatte belastende Aussagen manipuliert.
Damit war der Anfang gemacht: Immer mehr Urteile wurden in Zweifel gezogen, auch dasjenige zum Mord an Harry Kaufman. Das Foto zeigt eine Treppe an der U-Bahn-Station, wo Kaufman 1995 ermordet wurde.
Der Fotograf Spencer Platt hat die Tatorte der betroffenen Fälle dokumentiert, wie die Station "Kingston-Throop Avenues", an der Kaufman umgebracht worden war. Ein Paar umarmt sich am Zugang zur Station.
Aufnahme der Straße, in der 1989 zwei Menschen ermordet wurden. Shabaka Shakur landetelebenslang hinter Gittern, vernommen hatte ihn Scarcella. Auch hier sollen Aussagen gefälscht worden sein.
Ex-Wache von Scarcella in Williamsburg: Dem Ermittler in Rente, heute 61 Jahre alt, drohen Zivilprozesse.
Blick auf Brooklyn: Der Skandal kommt für Bezirksstaatsanwalt Charles Hynes zur Unzeit. Er will bald wiedergewählt werden, doch die Enthüllungen fallen auch auf ihn zurück.
Hier wurde 1991 Nathaniel Cash 1991 umgebracht, ein Mann names Derrick Hamilton wurde dafür verurteilt. Nach 21 Jahren im Gefängnis war er freigelassen worden, auch hier hatte Scarcella bei den Ermittlungen seine Finger im Spiel.
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