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Spektakulärer Prozess: Der Fall Kachelmann

Foto: Ronald Wittek/ dpa

Kachelmann-Urteil Die Angst der Richter vor dem klaren Wort

Das Mannheimer Landgericht hat Jörg Kachelmann freigesprochen - aber seine Ex-Freundin nicht der Lüge bezichtigt. Die Richter versuchten einen Spagat, der nicht gelingen konnte. So haben sie allen Beteiligten geschadet.

Jörg Kachelmann ist erwartungsgemäß freigesprochen worden. Das Gesetz kennt keinen Freispruch erster oder zweiter Klasse, auch wenn es für den Laien bisweilen so aussieht. Wem eine Tat nicht nachzuweisen ist, wie Kachelmann, gleich aus welchen Gründen, der kann dafür auch nicht verurteilt werden. Er hat als unschuldig zu gelten. Nein, er ist es. So weit, so gut.

Die Begründung dieses Urteils allerdings: wie befürchtet. Viele Gerichte pflegen in solch unklaren Fällen den Mann zwar freizusprechen, die Frau aber, die den Prozess angestrengt hat, unbeschadet zu lassen, selbst wenn sie der Lüge überführt ist. Das ist eine unerträgliche Situation, wie der Fall Kachelmann exemplarisch belegt.

Einem Unschuldigen mitzugeben, dass man keineswegs von seiner Unschuld überzeugt sei und dass er zeitlebens als potentieller Vergewaltiger gelten werde - was soll das? Einer Frau hinterherzurufen, den Verdacht, sie sei eine rachsüchtige Lügnerin, werde sie nie mehr los - den Beweis dafür trat das Gericht selbst an. Nach der Urteilsverkündung soll sie getobt, gegen Möbel getreten und ihren Anwalt beschimpft haben.

Das Gericht versuchte einen Spagat, der nicht gelingen konnte. Es hätte genügend Anhaltspunkte gegeben zu sagen: Dieser Mann ist in eine lange vorbereitete Falle getappt. Das hätte aber zur Folge gehabt, dass man der Nebenklägerin möglicherweise strafbares Handeln hätte bescheinigen müssen, wie es die Verteidigung wünschte. Davor scheuten die Richter zurück.

Also sprachen sie von den "Grenzen menschlicher Erkenntnismöglichkeiten", was grundsätzlich Respekt verdient, vor allem, wenn Aussage gegen Aussage steht. Doch der Königsweg heraus aus der Furcht vor dem klaren Wort ist eine solche Entscheidung nicht.

Sachverständiger kann Richter nicht die Entscheidung abnehmen

Die Richter sprachen von einem "Wechselbad", das sie im Lauf der Hauptverhandlung durchgemacht hätten. Dies sollte offenbar heißen: Wir glaubten mal ihm, mal ihr. Wir zweifelten mal an ihm, mal an ihr - und verzweifelten vor allem an uns selbst. Die vielen Sachverständigen, zehn an der Zahl, seien außerdem "nur bedingt hilfreich" gewesen. Doch die Entscheidung kann kein Sachverständiger dem Richter abnehmen.

Hat man diese vielen Sachverständigen überhaupt gebraucht? Eine Aussagepsychologin untersuchte die Glaubhaftigkeit der Angaben aus dem Mund der Nebenklägerin - eine Aufgabe eigentlich des Gerichts. Doch hätte der erste Verteidiger Kachelmanns, der Kölner Rechtsanwalt Reinhard Birkenstock, die Entlassung seines Mandanten aus der Untersuchungshaft ohne diese Gutachterin erreicht? Und ohne die Expertisen mehrerer Rechtsmediziner, die die Befunde des Mannheimer Hausgutachters Rainer Mattern in Frage stellten?

Wie fragwürdig Matterns erste Stellungnahmen waren, stellte sich erst heraus, als sich Kapazitäten wie Bernd Brinkmann äußerten. Vor allem ihn versuchte die Staatsanwaltschaft mit dem Vorwurf, er sei befangen, rasch mundtot zu machen. Das Gericht folgte dem Antrag. Wären nicht noch die Rechtsmediziner Markus Rothschild und Klaus Püschel gewesen, die Verteidiger Birkenstock vorsichtshalber ins Verfahren gebracht hatte und die Mattern widersprachen - es hätte nicht gut ausgesehen für Kachelmann.

Der Weg zum Freispruch war steinig

Denn von Beginn des Ermittlungsverfahrens an war die Kripo von Kachelmanns Schuld fest überzeugt. Auch der Haftrichter war überzeugt und vor allem die Staatsanwaltschaft, die sich nicht einmal von den zu Tage getretenen Lügen der Nebenklägerin irritieren ließ. Die drastischen Worte, mit denen das Oberlandesgericht Karlsruhe die Mannheimer Kammer schließlich an die dürftige Beweissituation erinnerte und Kachelmann nach mehr als vier Monaten U-Haft auf freien Fuß setzte, zeigen, wie verhärtet die Fronten vor Beginn der Hauptverhandlung waren.

Der Weg von dort bis zum Freispruch war steinig und dauerte. Die Mannheimer Richter wiesen Vorwürfe, sie hätten in der Hoffnung verhandelt, irgendwann doch noch etwas Belastendes gegen Kachelmann zu finden, als "abwegig" zurück und verschanzten sich hinter ihrer "richterlichen Sorgfaltspflicht".

Brauchte man wirklich all die "Lausemädchen" mit den dazugehörigen Folgeerscheinungen in den Medien? Brauchte man langwierige Handy-Auswertungen? Die Reise in die Schweiz? Das Gericht sagt: Ja, man sei schließlich "der Wahrheitsfindung verpflichtet" gewesen.

Doch hinter welche "Wahrheit" wollte man denn kommen? Beweise für die Anschuldigung der Nebenklägerin gab es von Beginn an nicht. Die Erkundung von Kachelmanns Sexualleben half diesem Mangel nicht ab.

Unkenrufe sind fehl am Platz

Das Gericht begann die Urteilsbegründung mit einer ungewöhnlich harschen Schelte des seit 1. Dezember tätigen Verteidigers Johann Schwenn. Er habe Respekt und Anstand vermissen lassen. Und überdies hätten sich die Verdachtsmomente gegen den Angeklagten ganz ohne sein Zutun "zwar nicht verflüchtigt, aber doch vermindert". Mit anderen Worten: Auf einen Verteidiger wie Schwenn könne man in Mannheim gut und gern verzichten.

Abgesehen von der Frage, ob solche Kritik in einer Urteilsverkündung am rechten Platz ist, und auch unabhängig davon, ob sich die Richter tatsächlich bisweilen verletzt fühlten, "weil der neue Verteidiger mit dem Anspruch auftrat, uns wie Schuljungen auf die Finger klopfen zu müssen": Schwenn kam zu einem Zeitpunkt, als der Angeklagte den Eindruck hatte, gegen den Verurteilungswillen der Kammer nicht mehr anzukommen. Der richterliche Schulterschluss mit einer Staatsanwaltschaft, die sich um jeden Preis durchsetzen wollte, schien unüberwindlich. Ein solcher Eindruck müsste einem Gericht zumindest im Nachhinein zu denken geben.

So endete das Verfahren, wie es begonnen hat: mit unklaren Aussagen, mit Folgen, die noch gar nicht abzusehen sind und der Beschädigung aller Beteiligten.

Unkenrufe allerdings, der Fall werde künftig vergewaltigte Frauen abhalten, die Straftat anzuzeigen, sind fehl am Platz. Wer als Opfer bei der Wahrheit bleibt, dem kann die Justiz in der Regel auch zu seinem Recht verhelfen. Anders als im Fall Kachelmann.

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