Kampf gegen Crystal Meth Giftküchen an der Grenze

Kampf gegen Crystal Meth: Giftküchen an der Grenze
Foto: SPIEGEL TVWenn Polizeihauptkommissar Christian Pongratz zu Dienstbeginn seine Waffe durchlädt, dann weiß er schon, was ihn in seiner Schicht erwartet: Ein Katz-und- Maus-Spiel, bei dem es keinen Gewinner geben wird. Eigentlich sucht der Fahnder nach allem, was verboten ist. Doch seit knapp drei Jahren spürt er nur noch Drogen nach. Denn nur wenige hundert Meter hinter seiner Dienststelle im nordostbayerischen Furth im Wald liegt die tschechische Grenze mit ihren unzähligen sogenannten Vietnamesen-Märkten. Und dort gibt es einen gefährlichen Powerseller: Methyl-Amphetamin - besser bekannt als Crystal Meth.
Die kristallinen Stücke, die dem Stoff den Namen gaben, schwemmen auf den deutschen Rauschgiftmarkt. Die Konsumenten sind oft durch Gewichtsverlust, Zahnausfall und Hauterkrankungen schwer von der Droge gezeichnet. Weil der Besitz im liberalen Tschechien aber kaum verfolgt wird, liegt die Last der Fahndung zumeist bei den deutschen Behörden. Das Bundeskriminalamt geht von einer Zunahme von Betäubungsmittelverfahren mit Amphetaminen von rund 20 Prozent aus - allein im vergangenen Jahr.
Christian Pongratz sitzt mit seinem Kollegen in einem Zivilfahrzeug an der Bundesstraße und schaut auf die Gesichter der vorbeifahrenden Autofahrer. Plötzlich gibt er Gas. Ein schwarzer VW kommt dem 37-Jährigen verdächtig vor. "Da schau'n wir mal rein", sagt er in breitem Oberpfälzisch.
Die Polizisten stoppen den ominösen Wagen. Es folgt die übliche Begrüßung: "Guten Tag. Haben Sie etwas dabei, was Sie nicht dabei haben sollten?" Zwei Vietnamesen sitzen in dem Auto, angeblich wollen sie einen Kühlschrank für ihr Restaurant kaufen. 5000 Euro Bargeld entdeckt Pongratz in ihrem Fahrzeug. Drogen findet er nicht. Die beiden dürfen weiterfahren.
"Voll der Euphorie-Flash"
Etwas später weckt ein Großraumtaxi die Aufmerksamkeit von Pongratz. "Taxis sind immer interessant" sagt er - und liegt richtig. Acht Jugendliche sitzen in dem Wagen, sie befinden sich auf der Rückreise von den Vietnamesen-Märkten. Pongratz kennt sie alle. "Die sind Stammkunden bei uns." Bei der Durchsuchung findet er Spritzbesteck bei ihnen.
Nun geht es zur Wache. Dort sitzen die Jugendlichen, alle zwischen 17 und 20 Jahren alt, in einer Reihe nebeneinander. Nach und nach wird jeder in einen Nebenraum gerufen. In dem Zimmer müssen sie sich entkleiden und werden gründlich durchsucht.
Jeder von den Jungs hat seine eigene Geschichte, wie er mit Crystal in Berührung kam. Fast alle nehmen das Nervengift schon seit Jahren. "Es ist traurig, unsere Jugend in so einem Zustand zu sehen. Wenn die nicht aufhören, dann wird keiner von denen seinen 30. Geburtstag erleben", glaubt Christian Pongratz.
Doch davon will Matthias* nichts wissen. Er ist schon durchsucht worden und wartet im Vorraum auf seine Freunde. Wenn er Crystal nehme, dann sei das "voll der Euphorie-Flash". Als abhängig möchte er sich nicht bezeichnen. Bis vor wenigen Wochen war er auf Entzug in einer Klinik. Dort blieb er nach eigenen Angaben abstinent. Als er dann seine Freunde wieder traf, habe er sich für die überstandene Tortur mit einem Schuss Crystal belohnen wollen - deshalb der Ausflug nach Tschechien.
Zwischen 30 und 50 Euro kostet dort ein Gramm. In Deutschland ist es deutlich teurer. "Dass geschmuggelt wird, können wir nicht verhindern. Durch den Fahndungsdruck können wir nur die Preise auf unserer Seite der Grenze hochhalten", sagt Pongratz, als er die acht Jugendlichen aus dem Taxi ziehen lässt. Heute hatten Matthias und seine Freunde nichts dabei. Aber es wird wohl nicht die letzte Begegnung zwischen ihnen und der Polizei gewesen sein.
Rauschgiftherstellung mit Nudelholz und Benzin
In Tschechien scheinen die Behörden den Kampf gegen die Droge bereits aufgegeben zu haben. Nur die großen Fische werden verfolgt. "Wir haben 2011 etwa 400 Drogenküchen ausheben können", sagt Tschechiens oberster Drogenfahnder Jakub Frydrych. Doch die tatsächliche Zahl illegaler Labore liegt weit darüber.
Eins davon befindet sich in der 50.000-Einwohner-Stadt Chomutov, etwa eine Autostunde von Chemnitz entfernt. Dort hausen Šimi und Ludvig auf 20 Quadratmetern. Seit über 15 Jahren kochen die beiden sich ihren eigenen Stoff. Zwar saßen beide schon häufig wegen Drogendelikten im Gefängnis, aber Angst, erwischt zu werden, haben sie dennoch nicht. Trotzdem schließt Šimi die Vorhänge, als sie beginnen, sich einen neuen Schuss zu kochen - sicher ist sicher.
Als Grundstoff für Crystal dient Ephedrin, das in einigen freiverkäuflichen Grippemitteln vorkommt. Aus einer Packung Schnupfenlöser kann der 36-jährige Ludvig rund 0,75 Gramm Crystal kochen. In der Küche stehen leere Einweckgläser, diverse Chemikalien und Benzin. Letzteres wird dazu benutzt, um das Ephedrin aus den mit einem Nudelholz zerkleinerten Tabletten zu lösen.
Knapp dreieinhalb Stunden dauert die Prozedur. "Die Temperatur ist sehr wichtig. Wird es zu heiß gekocht, dann wirkt das Crystal schnell halluzinogen. Und das möchte ich nicht", erklärt Ludvig, während er ein Röhrchen mit dem Feuerzeug erhitzt.
Schließlich ist es geschafft. Er klemmt den Arm zwischen die Beine und drückt sich den Stoff in die Vene. Šimi setzt sich den Schuss im Stehen. Er zieht den Hosenbund etwas nach unten und sticht sich in die Leiste. Die Stelle ist blutig und vernarbt. "Very good", sagt er und grinst.