Kampf gegen Kinderpornografie Ein Starermittler verzweifelt

Er gilt als einer der besten Kinderporno-Ermittler Deutschlands - immer wieder führte der Hallesche Oberstaatsanwalt Peter Vogt Mammutverfahren gegen Tausende Verdächtige. Doch oft scheiterte seine Arbeit an der Überlastung der Behörden - der Jurist hat daher nun um seine Versetzung gebeten.

Hamburg - Etwas mehr als zwei Jahre ist es her, dass Peter Vogt öffentlich aussprach, was manche seiner Kollegen bis dahin noch nicht einmal zu denken gewagt hatten: "Kinderpornografie im Internet", sagte der Oberstaatsanwalt aus Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt), "ist wie eine Hydra. Schlägt man ihr einen Kopf ab, wachsen zwei neue nach." Und er fügte hinzu: "Wir haben den Kampf gegen die Kinderpornografie verloren."

Dennoch tat Vogt weiter seine Sisyphusarbeit. Er überführte unter anderem einen Bürgermeister, einen Domkantor, einen seiner Kollegen von der Staatsanwaltschaft, Polizisten und Lehrer. Das ist nun vorbei.

Der Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Kinderpornografie hat um seine Versetzung gebeten, wie jetzt bekannt wurde. Ab 1. Januar 2010 stehe er für die bisherige Aufgabe nicht mehr zur Verfügung, sagte Vogt. Der Jurist begründete seinen Schritt mit den "unhaltbaren Zuständen" in den Polizeidirektionen, die zu einem massiven Ermittlungsstau geführt hätten.

So müssten Hunderte Strafverfahren eingestellt werden, weil Beweise wegen Personalmangels bei der Polizei nicht fristgerecht ausgewertet würden. Erst kürzlich hatte ein Verdächtiger vor dem Landgericht Magdeburg erfolgreich auf die Herausgabe von Datenträgern nach eineinhalb Jahren geklagt. Der Polizei war es in dieser Zeit nicht gelungen, sich die Gegenstände genau anzusehen. Gegen den Mann war wegen des Besitzes von Kinderpornografie ermittelt worden.

"Ein Riesenskandal"

"Es ist ein Riesenskandal, was sich die Finanzminister bei den Polizeibehörden zusammensparen", empörte sich der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Klaus Jansen, auf SPIEGEL ONLINE. "Das ist verantwortungslos und höchst gefährlich. Dass ein so hervorragender Ermittler wie Vogt erst seinen Hut nehmen muss, damit etwas geschieht, ist unfassbar."

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, gab sich etwas zurückhaltender: "Wir müssen mit dem strukturellen Problem leben, dass die Staatsanwaltschaften keinen direkten Einfluss auf die Prioritäten der Polizeiarbeit nehmen können. Deshalb kommt es immer wieder zu Konflikten", sagte der Freiburger Oberstaatsanwalt SPIEGEL ONLINE. Am effizientesten arbeiteten die Ermittlungsbehörden in eingespielten Teams von Staatsanwälten und Polizisten.

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann hatte in einer ersten Reaktion auf Vogts Rücktritt eingeräumt, dass tatsächlich zahlreiche Kinderporno-Strafverfahren zu platzen drohen. Die Generalstaatsanwaltschaft habe sein Ministerium bereits im vergangenen Jahr auf das Problem zu langer Bearbeitungszeiten hingewiesen. Daraus habe man Schlussfolgerungen gezogen und gemeinsame Arbeitsgruppen von Justiz und Polizei gebildet, um die Zusammenarbeit zu verbessern.

Innenminister zieht Konsequenzen

Wenig später machte der SPD-Politiker weitere Zugeständnisse: Zeitweilig solle die Polizei nun verstärkt werden, um elektronische Beweise wie Festplatten schneller auswerten zu können. "Oberste Priorität hat für mich, dass kein Strafverfahren an der Rückgabe ungeprüfter Beweismittel scheitern darf", so Hövelmann.

Die Polizei müsse detailliert darstellen, ob und in welchem Umfang die Prüfung beschlagnahmter Datenträger dringend notwendig oder gar überfällig sei, sagte der Minister. Je nach Umfang werde die notwendige Zahl von Beamten kurzfristig erhöht, um den Bearbeitungsstau schnell aufzulösen. Geprüft werde ferner, ob eine personelle Verstärkung der IT-Auswertung auf Dauer notwendig sei.

"Auf einmal herrscht hektische Betriebsamkeit", monierte BDK-Chef Jansen. Jahrelang habe die für Kinderpornografie zuständige Abteilung beim Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt faktisch nur aus zwei kontinuierlich ermittelnden Beamten bestanden. "Eine erfolgreiche kriminalistische Arbeit ist unter diesen Umständen nahezu unmöglich", so Jansen. Zahlreiche Polizisten seien jahrelang hin- und hergeschoben worden, je nachdem, welches Problem gerade politisch brisant erschien. "Und das geschieht nun wieder."

Bis zu 270 Fälle sind älter als neun Monate

Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad räumte inzwischen ein, dass allein bei einem von drei zuständigen Staatsanwälten im Land 137 Kinderpornografieverfahren nicht abgeschlossen seien, weil elektronische Beweismittel noch ausgewertet werden müssten. Die ältesten Fälle stammen demnach aus dem Jahr 2005. Einer vorsichtigen Hochrechnung zu Folge seien landesweit bis zu 270 Kinderporno-Fälle älter als neun Monate.

Dieser Zeitraum wird jedoch von den dortigen Gerichten für eine Beweismittelauswertung als angemessen gesehen. Danach müssten die Computer, CDs, Festplatten und USB-Sticks an ihre Besitzer zurückgegeben werden, so Konrad.

Das Problem betreffe aber ebenso Bereiche wie Wirtschafts-, Drogen- und Organisierte Kriminalität sowie den Extremismus - und sei nicht allein ein sachsen-anhaltinisches. "Auch in anderen Ländern gibt es mehr oder weniger große Staus. Das hängt einfach damit zusammen, dass die Datenmengen immer größer und die technischen Möglichkeiten immer ausgefeilter werden", sagte er. Die Personalentwicklung der Polizei halte damit offenbar nicht Schritt.

Auch die Leiter der drei Polizeidirektionen und des Landeskriminalamtes räumten ein, ja, es gebe offene Fälle. Allerdings wiesen sie die Kritik zurück, dass bei der Polizei unhaltbare Zustände herrschten.

Oberstaatsanwalt Vogt hatte gemeinsam mit Fahndern des Landeskriminalamts in den zurückliegenden Jahren mehrere große Ermittlungserfolge im Bereich Kinderpornografie erzielt. Dazu zählte auch die Operation "Marcy", bei der gegen 25.000 Verdächtige aus 166 Ländern vorgegangen wurde.

Mit Material von AP
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