Debatte über Kennzeichnungspflicht Die Angst vorm unbekannten Polizisten
Portland, im US-Bundesstaat Oregon: Hoch ausgerüstete Polizisten verhaften Black-Lives-Matter-Demonstranten - und zerren sie in ungekennzeichnete Vans. Anhand ihrer Kleidung ließ sich weder die Identität der Beamten feststellen noch zu welcher Behörde sie gehören. Mittlerweile ist bekannt, dass die Truppen der Bundespolizei direkt von Donald Trump entsendet worden waren. Der Einsatz löste harsche Kritik bei Demonstrierenden und Behörden in Portland aus. Die Generalstaatsanwaltschaft von Oregon reichte sogar Klage gegen die Trump-Regierung ein und warf ihr vor, ihre Befugnisse zu überschreiten und friedliche Demonstranten zu verletzen oder zu bedrohen.
Wie verhält es sich hier in Deutschland? Wäre ein ähnliches Szenario auch bei uns vorstellbar?
Daniela Winkler, Juristin, Universität Stuttgart
"In den Fällen, in denen es für die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung erforderlich ist oder bei Naturkatastrophen oder schweren Unglücksfällen, können die Länder Bundespolizei anfordern. Das Wichtige ist aber in dem Fall zunächst einmal: anfordern. Das heißt, da kann nicht gegen den Willen der Länder Bundespolizei entsendet werden, sondern es geht auf Initiative der Bundesländer. Einzige Ausnahme davon ist wiederum der Artikel 35 Absatz 3, und der legt fest, dass bei sogenannten überregionalen Katastrophen auch die Bundesregierung, wäre das in dem Fall, Bundespolizei entsenden kann. Das wäre aber nur in den Fällen, in denen wir tatsächlich eine Naturkatastrophe haben, also Erdbeben, Überflutungen oder besonders schwere Unglücksfälle. Als solche würde man dann zum Beispiel verstehen: Flugzeugabstürze, schwere Eisenbahnunglücke, ein Unglück in einem AKW oder in einer Chemiefabrik. Und dieser Unglücksfall in diesen Naturkatastrophen müsste dann zudem mindestens zwei Bundesländer betreffen.
Im Video aus Portland werden die Polizisten von einer Demonstrantin aufgefordert ihre Identität anzugeben. Zu welcher Auskunft sind Polizisten und Polizistinnen hierzulande verpflichtet?
Daniela Winkler, Juristin, Universität Stuttgart
"Legitimationspflicht meint, dass der Polizeibeamte, wenn er danach gefragt wird, sich mit einem Ausweis legitimieren muss. Dann würde man natürlich auch sehen, wie der jeweilige Beamte heißt und dass er eben auch als Polizeibeamter tätig werden darf. Kennzeichnungspflicht meint tatsächlich das nach außen erkennbare Tragen eines entweder Namensschilds oder eben eines Schildes, auf dem eine klar zuordenbare Nummer genannt ist, mit der man dann wiederum feststellen könnte, wer sich dahinter verbirgt."
In Deutschland entscheidet jedes Bundesland selbst, ob die Landespolizisten gekennzeichnet werden oder nicht. In Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, dem Saarland und Sachsen gilt keine Kennzeichnungspflicht, in Nordrhein-Westfalen wurde sie kurz nach ihrer Einführung 2017 wieder abgeschafft. In Hamburg wurde eine individuelle, anonymisierte Kennzeichnung für die Landesbereitschaftspolizei bei geschlossenen Einsätzen 2019 beschlossen und wird zunächst bis 2021 erprobt.
Über eine Kennzeichnung der Bundespolizei kann nur auf Bundesebene entschieden werden. Hier müsste der Bundestag entscheiden. Einen Gesetzentwurf dazu hat 2011 die Linksfraktion eingebracht, er wurde jedoch abgelehnt.
Auch Polizeigewerkschaften lehnen die Kennzeichnungspflicht meist ab und begründen dies unter anderem mit den Persönlichkeitsrechten der Einsatzkräfte:
Daniela Winkler, Juristin, Universität Stuttgart
"Andererseits wird Ihnen entgegengehalten, dass wir eine sehr stark deeskalierende Wirkung feststellen können. Immer dann, wenn ein Polizeibeamter gerade mit seinem Namen dem Bürger gegenüber auftritt, weil er dann eben nicht mehr nur Teil einer anonymisierten Staatsgewalt ist, sondern auch eine Person ist, als solche wahrgenommen wird. Und das knüpft dann eben auch gleichzeitig an Ziele einer weitgehenden Transparenz und Offenheit der Staatsgewalt. Wir sprechen ja auch ganz allgemein über das Verhältnis von Staat und Bürger. Wie möchte der Staat vom Bürger wahrgenommen werden?
Es wird natürlich auch immer wieder vorgebracht, dass die Gefahr besteht, dass die Polizeibeamten dann auch in ihrem Privatleben verfolgt werden. Dem kann man vielleicht entgegenhalten, dass die Bundesländer, in denen bisher eine Kennzeichnungspflicht besteht, dieses Problem eigentlich nicht beobachten können. Das gibt es in der Art und Weise nicht".
2019 hatten eine Polizeioberkommissarin und ein Polizeihauptmeister aus Brandenburg gegen das Tragen von Namensschildern im Dienst geklagt. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wies die Klage jedoch ab, mit der Begründung, die Beamten wären im Dienst keine größeren Gefährdung ausgesetzt als beispielsweise MitarbeiterInnen von Sozial- und Jugendämtern.
Das Thema Polizeigewalt und der Ruf nach einer Kennzeichnungspflicht sind vor allem seit 2017, nach dem G20-Gipfel in Hamburg, wieder ins Bewusstsein gerückt.
Andrea Daniela Winkler, Juristin, Universität Stuttgart
"Wir können gerade nicht davon ausgehen, dass Polizeibeamte immer rechtstreu sind, sondern es kommt noch dazu zu Rechtsverstößen. Und dementsprechend muss es natürlich eine Möglichkeit geben für den Bürger, diese Rechtsverstöße geltend zu machen. Und das kann er eben nur dann erfolgreich, wenn er auch wirklich weiß, um wen es geht, wer dort gehandelt hat. Und gerade in den Zeiten, in denen wir das Gefühl haben, dass das Vertrauen in den Polizeiapparat schwindet. An der ganzen aktuellen Diskussion denke ich, dass solche vertrauensbildenden Maßnahmen durchaus hilfreich sind."
Obwohl die Frage nach der Kennzeichnungspflicht nicht für alle Situationen und Bundesländer in Deutschland geklärt ist: Die Befugnisse der Bundespolizei sind vom Gesetzgeber klar formuliert, sodass Vorgänge, wie sie gerade in den USA zu beobachten sind, hierzulande gesetzlich unmöglich wären.