Affäre um Geheimnisverrat in Schleswig-Holstein Staatsanwaltschaft klagt Ex-Vize von Polizeigewerkschaft an

Aus Frust über seinen Arbeitgeber soll ein ranghoher Gewerkschafter in Schleswig-Holstein Dienstgeheimnisse verraten haben. Die Vorwürfe wiegen schwer - und sind politisch brisant.
Ex-Gewerkschafts-Vize Nommensen: Angeklagt wegen Geheimnisverrats

Ex-Gewerkschafts-Vize Nommensen: Angeklagt wegen Geheimnisverrats

Foto: Carsten Rehder/ picture alliance/dpa

Die Kieler Staatsanwaltschaft will den früheren Vizechef der Deutschen Polizeigewerkschaft in Schleswig-Holstein, Thomas Nommensen, vor Gericht bringen. Ein Sprecher der Behörde teilte mit, man habe den "Lübecker Polizeibeamten" Ende August angeklagt, weil er in zehn Fällen "in strafbarer Weise Informationen an den Polizeireporter einer Regionalzeitung" weitergegeben haben soll. Es ist bekannt, dass es sich bei der Regionalzeitung um die "Kieler Nachrichten" handelt.

Nommensen soll die Taten zwischen Mai 2018 und Juli 2019 begangen haben. Die Ermittler stützen die Vorwürfe nach SPIEGEL-Informationen überwiegend auf WhatsApp-Chats. Im vorigen Jahr war das Handy von Nommensen im Rahmen einer Razzia beschlagnahmt worden. Kriminaltechnikern gelang es, zahlreiche gelöschte Daten zu rekonstruieren.

Der Anwalt von Nommensen teilte mit, man werde die Anklage erst sorgfältig lesen, bevor man sie kommentiere. Man nehme den Vorgang aber "mit Unverständnis" zur Kenntnis.

Innenminister stürzt

Der Fall ist politisch brisant. Im Mai stürzte der frühere Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) über seine Kontakte zu Nommensen und dem Journalisten . Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) erklärte, ihm fehle das Vertrauen für eine weitere Zusammenarbeit.

Nommensen und der Journalist sind als scharfe Kritiker der Polizeiführung im Land bekannt. In der sogenannten Rocker-Affäre, zu der im Landtag seit Längerem ein Untersuchungsausschuss läuft , machten sich beide für zwei angeblich gemobbte Ermittler stark - und sahen in Grote offenbar einen Verbündeten. Das legen Chats nahe, die bereits im Frühjahr bekannt geworden waren.

In der Anklage werfen die Ermittler Nommensen vor, er habe mit seinen Geheimnisbrüchen der von ihm verachteten Polizeiführung und auch der Justiz einen Imageschaden zufügen wollen. Außerdem habe er durch seine engen Kontakte zu den "Kieler Nachrichten" die größere Konkurrenzgewerkschaft GdP medial übertrumpfen können. Nommensen sei in der Zeitung häufig als Zitatgeber aufgetreten.

Nommensen ist wegen des Verfahrens vom Dienst suspendiert. Zuvor war er als Polizeioberkommissar bei der Bezirkskriminalinspektion Lübeck tätig. Als Vertreter der Gewerkschaft saß er auch im Hauptpersonalrat der Landespolizei. Die angeklagten Fälle legen laut Staatsanwaltschaft den Verdacht nahe, dass Nommensen Informationen aus jeder seiner beruflichen Funktionen durchstach.

Vorwürfe der Staatsanwaltschaft

  • Im Juli 2018 fielen drei Polizeikommissaranwärter betrunken mit Entgleisungen auf. Einer aus dem Trio erhielt als Mitglied der DPolG Rechtsschutz von seiner Gewerkschaft, die daher Details aus dem Verfahren erfuhr. Als der Fall im April 2019 angeklagt wurde, so die Kieler Ermittler, habe Nommensen die Anklage an den Journalisten weitergereicht. Weil die Zeitung daraus berichtete, hätten die Polizeianwärter psychisch darunter gelitten. Nommensen sei es allein darum gegangen, die Führung der Polizeischule in ein schlechtes Licht zu rücken.

  • Im September 2018 attackierte ein ehemaliger Bewohner der Flüchtlingsunterkunft Boostedt seine dort noch lebende Ex-Freundin mit einem Messer. Nommensen lieferte laut Anklage interne Informationen über Täter und Motive an den Journalisten, der in seinen Berichten kritisierte, die Politik habe den Vorfall verschweigen wollen. Die Ermittler sind überzeugt davon, dass es Nommensen darum ging, dass den Verantwortlichen öffentlich Fehlverhalten vorgeworfen werden konnte.

  • Im Mai 2019 erfuhr Nommensen aus dem Hauptpersonalrat, dass ein Polizeikommissaranwärter wegen des Verdachts auf Rechtsextremismus aus dem Dienst entlassen werden sollte. Darüber habe Nommensen den Journalisten prompt informiert, auch über die anschließende Zustimmung des Personalrats. Sein Motiv sei auch hier gewesen, der Polizeiführung insgesamt zu schaden.

Derbe Ausdrücke im Chat

Die Anklage führt zahlreiche Chats auf, die zeigen, dass Nommensen sich gegenüber dem Journalisten mit derben Worten über seinen Arbeitgeber äußert. Über die Sprecherin einer Staatsanwaltschaft schreibt Nommensen, er plane, ihr "ans Bein zu pinkeln". Einmal heißt es: "LKA??? Find ich scheiße." Die Führung der Landespolizei nennt er laut Chat "Drecksäcke", der "Laden" "kotze ihn zunehmend an".

Ob es zum Prozess kommt, muss das Landgericht Lübeck entscheiden. In Lübeck haben die Kieler Ermittler die Sache angeklagt, weil Nommensen dort wohnt und sich die Taten dort ereignet haben sollen. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, sie ermittle weiterhin in dem Komplex. Insgesamt gebe es weitere 46 Fälle, bei denen der Verdacht auf Indiskretionen bestehe.

Im Fall einer Verurteilung drohen Nommensen bis zu fünf Jahre Haft. Der Polizist hatte erst jüngst vergeblich versucht, seine Suspendierung rückgängig zu machen. Diese sei angemessen, entschied das Oberverwaltungsgericht Schleswig. Es sei "überwiegend wahrscheinlich", dass Nommensen allein wegen zweier Fälle von Indiskretionen seinen Beamtenstatus verliere und aus dem Dienst entfernt werde. Als Gewerkschafts-Vize war er Ende 2019 zurückgetreten.

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