Kampf gegen Missbrauchsplattform Die Gratwanderung der Ermittler

Screenshot eines Chat-Protokolls der Missbrauchs-Plattform "Elysium"
Foto: DPABeinahe wäre die Aktion aufgeflogen: Australische Ermittler betrieben fast ein Jahr lang eine große Kinderporno-Plattform im Darknet. Auf "Childs Play" teilten Tausende Nutzer Bilder und Videos von Kindern, die sexuell missbraucht wurden.
Journalisten der norwegischen Zeitung "VG" stießen auf die Betreiber der Website, konfrontierten sie mit ihren Ergebnissen, drohten mit Veröffentlichung. Erst zu dem Zeitpunkt wurde den Reportern klar, dass ihre Recherche mitten hinein in eine streng geheime Polizeiaktion zielte.
Die australische Polizei sammelte in dem Forum Identitäten der Nutzer. Um keinen Verdacht auf sich zu ziehen, stellten die Ermittler auch Bilder ein, die Missbrauch zeigen. So gelang es, die Identitäten Hunderter Verdächtiger zu ermitteln.
Auch dem Bundeskriminalamt gelang jüngst in einem Fall von Kindesmissbrauch ein Fahndungserfolg. Ermittler hatten im Darknet Fotos des Kindes gefunden. Weil es keinerlei Hinweise auf den Täter gab und die Polizei befürchtete, das Kind könnte weiterhin seinem Peiniger ausgesetzt sein, veröffentlichte das Bundeskriminalamt mehrere Fotos des Mädchens. Es war das letzte Mittel, das den Fahndern blieb. Wenige Stunden später war das Kind identifiziert und der Lebensgefährte seiner Mutter festgenommen.
Beide Fälle sind unterschiedlich gelagert, werfen aber grundsätzliche Fragen auf: Was dürfen Ermittler, um Täter zu finden? Wie ermittelt man im Darknet, in dem eigentlich jeder anonym ist? Wäre ein Vorgehen wie in Australien auch in Deutschland denkbar? Und welche Folgen können solche Ermittlungen für die Opfer haben?
"Viele Verdächtige haben Redebedarf"
In Deutschland ist eine Operation wie die der australischen Behörden undenkbar. "Es ist nicht zulässig, dass Ermittler kinderpornografisches Material verbreiten", sagt Georg Ungefuk. Er ist Sprecher der Zentralstelle für die Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT), eine Einheit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, die in Fällen von Kinderpornografie ermittelt. Eine Plattform im Darknet aufzubauen und zu betreiben sei auch dann nicht erlaubt, wenn die Ermittler selbst keine Kinderpornos veröffentlichten.
In vielen Darknet-Foren gelten Nutzer, die kein Material anbieten, als Polizisten - und bekommen keinen Zugang. Deswegen wünschen sich Ermittler seit Jahren mehr Befugnisse. "Wenn wir selbst Material hochladen dürften, würde uns das die Arbeit extrem erleichtern", sagt ein Insider dem SPIEGEL. Die Erfolge seien unbestreitbar. Kindesmissbrauch könne verhindert werden, da sich die Nutzer in den Foren auch zum Missbrauch verabredeten.
Tatsächlich wurde der Gründer von "Childs Play" gefasst, als er sich in den USA mit einem anderen Nutzer traf, um ein kleines Mädchen zu missbrauchen. US-Ermittler gaben die Online-Identität des Mannes an die australischen Kollegen weiter, die danach unter seinem Screennamen WarHead die Plattform betrieben.
Im Darknet sammeln die Polizisten Hinweise auf die Identitäten anonymer Nutzer, versuchen, mit ihnen in Kontakt zu treten. "Viele Verdächtige haben Redebedarf", sagt Staatsanwalt Ungefuk. Wenn es den Ermittlern gelingt, Kontaktdaten eines Nutzers herauszufinden, etwa eine E-Mail-Adresse, dürfen sie diese überwachen. Geregelt ist das in Paragraf 100a der Strafprozessordnung.
Dass deutsche Ermittler Nutzerdaten an die Ermittler in Australien weitergeben, ist laut Ungefuk nur im Rahmen eines internationalen Rechtshilfeersuchens möglich. Australien müsste Deutschland also um die Nutzerdaten bitten. Dass dies im Rahmen einer Absprache erfolgt, sei denkbar, sagt Ungefuk. Allerdings sei ihm kein solcher Fall bekannt.
"Für Betroffene extrem verletzend, wenn mit ihren Bildern gehandelt wird"
Ob Ermittler kinderpornografisches Material hochladen dürfen, wenn es ihren Ermittlungen hilft, ist nicht nur eine juristische Frage, sondern auch eine moralische: Heiligt der Zweck die Mittel?
"Das ist eine ethische Gratwanderung", sagt Rebecca Oettinger vom Verein Dunkelziffer, der sich für missbrauchte Kinder einsetzt. Die australischen Ermittler hätten Bilder von Kindern und dem, was ihnen angetan worden sei, instrumentalisiert - wenn auch aus guter Absicht. "Die gängigen Ermittlungsmethoden in Deutschland haben sich bislang bewährt." Kinderfotos würden zum Beispiel nur Schulleitern gezeigt oder Ausschnitte von Tatorten veröffentlicht, um Opfer zu finden. "Die Intimsphäre von Kindern wird gewahrt, und die Methoden haben trotzdem Erfolg."
Auch Ursula Enders, Leiterin von Zartbitter e.V., einer Kölner Beratungsstelle für missbrauchte Kinder und Jugendliche, hat ihre Zweifel. "Ich bin da absolut ambivalent", sagt sie. "Einerseits ist es aus Sicht der Betroffenen extrem verletzend, wenn da mit ihren Bildern gehandelt wird, andererseits stößt die Polizei bei ihren Ermittlungen immer wieder an rechtliche Grenzen."
"Das ganze Umfeld weiß jetzt darüber Bescheid"
In jedem Fall bedeutet das Hochladen eines Bildes einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Kindes. Das gilt nicht nur, wenn die Polizei in Foren wie "Childs Play" aktiv ist. Sondern auch bei öffentlichen Fahndungen wie jüngst im Fall des Mädchens aus Niedersachsen.
Oettinger hält die Veröffentlichung in diesem Fall für gerechtfertigt. "Es gab in dem konkreten Fall keine andere Möglichkeit, das Kind aus der aktuellen Missbrauchssituation zu befreien." Es habe Vorrang gehabt, das Mädchen vor weiteren Übergriffen zu schützen.
Aber natürlich gebe es den berechtigten Einwand, dass mit solch einer öffentlichen Fahndung massiv in die Privatsphäre des Opfers eingegriffen werde. "Das ganze Umfeld weiß jetzt darüber Bescheid, was dem Mädchen passiert ist", sagt Oettinger. Das könne unter anderem dazu führen, dass die Mutter mit Fragen oder Vorwürfen konfrontiert werde. "Das ist für ein Kind schwer auszuhalten, wenn nun auch noch die Mutter angegriffen und infrage gestellt wird."
Die Polizei müsse bei Ermittlungen deshalb immer genau abwägen. Immerhin sei das Kind in diesem Fall noch so klein, dass es sich im Laufe der Zeit äußerlich noch deutlich verändern werde und in einigen Jahren nicht mehr einfach wiederzuerkennen sei.