
Missbrauch in Portugal: Der Fall Casa Pia
Kinderschänder-Urteil in Portugal Leiden ohne Ende
Hamburg - Dies ist kein freudiger Tag, nicht nach all dem, was passiert ist. Aber Pedro Namora ist erleichtert. Endlich wird Recht gesprochen. Auch ihn hat seine Mutter einst in einem Kinderheim der staatlichen Wohlfahrtsorganisation Casa Pia untergebracht. In einer Institution, die mittellose, verwaiste und taubstumme Kinder schützen sollte und in der sie missbraucht wurden. Namora hat es miterlebt.
Seine Stimme zittert, als er am Freitag vor Fernsehkameras über das Leid der Opfer spricht. "Heute hat sich gezeigt, dass sie die Wahrheit gesagt haben, all die Jahre." Namora steht vor dem Gerichtsgebäude in Lissabon, eine glatte, moderne Fassade, hinter der einer der schwierigsten Prozesse Portugals stattfand. Und der viele zweifeln ließ, ob Gerechtigkeit möglich ist in diesem Land mit seiner langsamen und schwerfälligen Justiz. Nun ist das Urteil gefallen: Sechs der sieben Angeklagten sollen demnach für lange Zeit ins Gefängnis - zwischen knapp sechs und 18 Jahren.
Sechs Jahre dauerte das Verfahren, das auf 66.000 Seiten Akten festgehalten wurde. 460 Sitzungen wurden der Zeitung "Expresso" zufolge abgehalten, 920 Zeugen gehört, darunter die 32 Opfer. Für sie, die Opfer, war der Prozess "ein Kampf". Einige versuchten, sich das Leben zu nehmen, sagte der leitende Staatsanwalt.
In dem quälend langen Prozess berichteten sie, wie sie in dunklen Kellern vergewaltigt wurden, wie sie nachts zu abgelegenen Häusern gefahren wurden. Und wie sich die Mächtigen an ihnen, den Schwachen, vergingen.
Die Angeklagten waren Teil der portugiesischen Elite, unter ihnen der einst beliebteste Fernseh-Showmaster Portugals, Carlos Cruz, außerdem ein prominenter Arzt, ein Unternehmer, ein hochdekorierter Diplomat und früherer Unesco-Botschafter. Den Angeklagten wurden insgesamt mehr als 800 Straftaten zur Last gelegt.
"Diese Dinge sind in meinem Kopf, in meinen Alpträumen"
"Als die Tatverdächtigen bekannt wurden, wurden aus den Opfern die Bösen", erinnert sich Namora. Aber es könne doch nicht sein, "dass jahrelang Kinder vergewaltigt werden, dass ihnen Dinge angetan werden, die Sie sich nicht vorstellen können, und dann gesagt wird, die Angeklagten sind angesehene Persönlichkeiten, wir lassen sie in Ruhe".
Einzig der ehemalige Gärtner und Fahrer des Heimes, Carlos Silvino, genannt "Bibi", hat im Laufe des Verfahrens gestanden. Er wurde nun zu 18 Jahren Haft verurteilt. "Bibi" soll den Prominenten die Kinder zugeführt haben. Er sagte aus, dass Nacktfotos von den Minderjährigen gemacht worden seien, dass die "Kunden" ihm Briefumschläge mit Geld gegeben hätten. Einmal sei ein Amerikaner gekommen, um Kinder für einen Film in die USA zu bringen.
All das hinter den Mauern der Casa-Pia-Häuser, in denen heute rund 4500 Minderjährige untergebracht sind. Der Hauptsitz des staatlichen Hilfswerks für sozial gefährdete Kinder und Jugendliche ist im noblen Lissabonner Viertel Belém. Der Präsidentenpalast und das berühmte Jerónimos-Kloster sind nicht weit.
Über Jahrzehnte sollen Kinder missbraucht worden sein, die Behörden sollen weggeschaut und weggehört haben. 2002 veröffentlichte der "Expresso" einen Bericht über die Taten, kurz darauf erschien ein Fernsehbeitrag. Der Skandal erschütterte das ganze Land.
Acht Jahre später haben die Opfer Entschädigungen vom Staat erhalten, aber sie leiden noch immer. "Diese Dinge sind in meinem Kopf, in meinen Alpträumen", sagt ein 23-Jähriger, der sich Miguel nennt in der Zeitung "Público". Er bezeichnet sich als "Überlebender" der Casa Pia. Miguel wurde von seinem Vater misshandelt, bis er sechs Jahre alt war. Um ihn zu schützen, wurde er in eines der Heime gebracht.