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Kindesmissbrauch: Ritualisierter Inzest

Foto: AP Photo / John Sleezer, The Kansas City Star

Kindesmissbrauch Die Monster von Missouri

Der Fall erschüttert Amerika. Über Jahrzehnte sollen sechs erwachsene Mitglieder der Familie M. in Bates City, Missouri, ihre eigenen Enkelinnen, Töchter und Nichten sexuell missbraucht haben. Erst jetzt flog das Verbrechen auf.

Bates City/Hamburg - Im August 2009 fand eine heute 26-jährige Frau aus der Familie M. aus Missouri endlich den Weg zur Polizei. Die Geschichte, die sie zu erzählen hatte, wollten die Beamten zunächst nicht glauben. Seit sie fünf Jahre alt war, erzählte sie, sei sie regelmäßig von ihrem Großvater, ihrem Vater und mehreren Onkeln missbraucht worden. Sie und ihre vier Geschwister, drei Schwestern und ein Bruder, und auch andere Kinder. Bevor sie zwölf geworden sei, habe sie nicht nur vielfache Vergewaltigungen erlitten, sondern auch eine Abtreibung vornehmen müssen.

Die Männer, von denen die Rede war, waren in ihrer damaligen Heimatgemeinde Bates City, Missouri, keine Unbekannten. Drei der Männer waren Laienprediger in ihrer örtlichen Kirche. Auch die steht nun unter Druck: Die Community of Christ Church ist die größte protestantische Kirchenorganisation außerhalb der Church of Jesus Christ of Latter Day Saints (Mormonen), die sich auf die Lehren von Joseph Smith beruft. Opferorganisationen drängen nun die Kirche, in ihren Kreisen nach weiteren Opfern zu suchen.

Denn nach der Aussage einer der Enkelinnen von Burrell M., 77, der als Kopf des mutmaßlichen Familien-Sex-Rings gilt, gab es die: In der vorigen Woche begann die Polizei damit, das ehemalige Grundstück der Familie umzugraben. Sie suchen Einmachgläser, in denen die vergewaltigten Kinder schriftliche Aufzeichnungen vergraben sollten, um ihre Seelen von den schlimmen Erinnerungen zu befreien. Und sie suchen nach einem oder mehreren Körpern, denn mindestens ein Opfer soll die Torturen nicht überlebt haben.

Ritualisierter Inzest: Die Polizei spricht von "Sex-Kult"

Inzwischen nehmen die Strafverfolgungsbehörden die Aussagen der jungen Frau sehr ernst und sprechen von einer Art "Sex-Kult": Zuerst wurden sie von einer ihrer älteren Schwestern, heute 29 Jahre, bestätigt, dann von allen anderen Kindern der Familie.

Und das hatten sie zu erzählen: In der Zeit vom Ende der Achtziger bis zur Mitte der neunziger Jahre seien sie und andere fortlaufend Opfer von Serienvergewaltigungen durch ihre Blutsverwandten geworden. Diese, sagen die Opfer heute, seien zum Teil in ritualisierter Form geschehen: Die Mädchen wurden geschmückt und gekleidet und in einer Zeremonie für die Nacht mit ihrem Großvater, Vater oder Onkeln "verheiratet". Die Vergewaltigungen fanden in einem Trailer hinter dem Haus statt. Mindestens zu einer Gelegenheit soll es zu einem Akt erzwungener Sodomie mit einem Deutschen Schäferhund gekommen sein, der bei den sexuellen Übergriffen mehrere Male eine Rolle gespielt haben soll.

Im Laufe der vorigen Woche wurden zunächst fünf der beschuldigten Männer, die inzwischen weit über die USA verteilt leben, schließlich am Freitag ein sechster verhaftet. Sie sind alle in gestandenem Alter: 77 der Großvater, 72 sein Bruder. Der Vater der Opfer ist 53, seine Brüder 52, 48 und 47. Einer arbeitete über zwei Jahrzehnte an einer Universität, galt dort als nett und unauffällig.

Freunde, Arbeitskollegen und ehemalige Nachbarn der Männer reagieren nun mit Fassungslosigkeit - wie auch die Medien: Sie erkennen, dass der Fall M. sich auswachsen könnte zu einem amerikanischen Fall F. - der spektakuläre Inzest-Fall aus Österreich, der weltweit Schlagzeilen machte.

Warum erst jetzt?

Zwar behauptet eine ehemalige Ehefrau eines der Angeklagten, das alles sei eine Intrige, die von einer anderen Ex-Frau eingeleitet worden sei und die Behauptungen der angeblichen Opfer also falsche Beschuldigungen. Ein Racheakt also? Die Polizei aber sieht das anders. Die Fahnder sind davon überzeugt, dass es auch noch andere Opfer gibt, und drängen diese, ebenfalls auszusagen. Mehrere weitere Opfer hätten sich inzwischen gemeldet, gab die Polizei am Sonntag bekannt, eines aus Kanada. Wie viele davon wirklich Betroffene sind und wie viele Trittbrettfahrer, wird zu klären sein.

In den Medien hat nun die Diskussion über die moralischen und menschlichen Abgründe begonnen. Warum kommt das alles erst nach Jahrzehnten ans Licht, fragen manche. Warum jetzt?

Der Missbrauch der Kinder geschah in einer Gemeinde, in der jeder jeden kennt: 245 Einwohner hatte das Heimatdorf der Familie M. Geheimnisse funktionieren unter solchen Umständen entweder ganz oder gar nicht. Wenn nicht einer redet, redet keiner. Die Kinder hätten unter enormem psychischen Druck gestanden, wenn ihre Geschichte stimmt: Drohungen waren Teil des Kults, das Gläservergraben selbst ein stellvertretendes Erleichterungs-Ritual, das sie schweigen lassen sollte. Und sie wurden ausgerechnet von den Personen missbraucht, denen sie hätten am meisten vertrauen sollen. Ist das plausibel? Kommt jetzt nur ans Licht, was mindestens fünf Opfer jahrelang verschüttet hielten?

Wie konkret die Beweislage inzwischen ist, welche Beweise auf dem ehemaligen Grundstück der Familie M. gefunden wurden, wird man in der nächsten Woche erfahren. Gegen alle sechs Männer liegen Anklagen vor, Anfang der Woche sollen weitere folgen. Die Polizei sucht offenbar auch außerhalb der Familie nach Missbrauchstätern, die in den Fall involviert sind: In Kansas wurde ein Mann vorübergehend festgenommen, eine Anklage aber nicht erhoben.

Die sechs Männer der Familie M., die in der Presse längst die Monster von Missouri heißen, sitzen in U-Haft, könnten nur gegen Kaution freikommen. Auf die Anklagen reagierten zwei der Beschuldigten bei der Vorführung vor dem Haftrichter mit Tränen in den Augen, berichteten Nachrichtenagenturen, hatten aber bisher offenbar auf Anwälte verzichtet. Das dürfte sich in den nächsten Tagen ändern.

Viele in den USA hoffen nun, dass sie nicht mehr allzu viel von dem Fall hören werden. Wahrscheinlich ist das aber wohl nicht.

pat/AFP
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