Studie zur Strafverfolgung von Sexualverbrechen Alle Fragen offen
Der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, ist für Schlagzeilen immer gut. Der Gefahr, Ergebnisse vorschnell zu verbreiten, geht er nicht immer aus dem Weg. Dadurch ist schon mancher Schatten auf sein Institut gefallen, das gewiss ordentliche Arbeit leistet.
Nun also dies: Anzeigen wegen Vergewaltigung führen immer seltener zu einer Verurteilung, nur 8,4 Prozent Frauen erlebten 2012, dass ihr Peiniger zur Verantwortung gezogen wurde. Vor 20 Jahren waren es noch 21,6 Prozent. Das ist so interessant wie nichtssagend zugleich. Denn was bedeuten die Zahlen?
Eine Binsenwahrheit
Pfeiffer nennt einen möglichen Grund für die Entwicklung: Polizei und Staatsanwaltschaften seien mancherorts überlastet. Das ist eine Binsenwahrheit und hat mannigfache Gründe. Man könnte vermutlich ebenso eine Studie darüber anfertigen, wie viele Anzeigen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, der Körperverletzung oder des Drogenhandels aus Gründen der Arbeitsüberlastung der Strafverfolger nicht zügig bearbeitet werden. Oder, weil die Sache nur mangelhaft ermittelt wurde, nicht zu einer Verurteilung des Beschuldigten führen. Oder dass Fahrraddiebstähle und Wohnungseinbrüche so gut wie gar nicht mehr verfolgt werden.
Selbst des Mordes höchst verdächtige Personen sind schon freigesprochen worden, weil die Ermittlungsbehörden versagt haben. Jetzt sollen es also laut Pfeiffer die vergewaltigten Frauen sein, die nicht nur ihrem Peiniger, sondern zu allem Überfluss auch noch einer Justiz zum Opfer fallen, die sich ihrer nicht angemessen annimmt.
Eine weitere Binsenwahrheit ist, dass Anzeigen im Bereich des Sexualstrafrechts, vor allem, wenn Aussage gegen Aussage steht, von Ermittlern und Richtern besondere Sorgfalt bei der Aufklärung erfordern, da derlei Vorwürfe gegen den beschuldigten Mann in der Regel existenzgefährdend sind. Er kommt in U-Haft, verliert Haus und Hof und seinen guten Ruf obendrein, selbst wenn sich die Anzeige am Ende als haltlos herausstellen sollte. Die Folgen von Falschbeschuldigungen sind erfahrungsgemäß nicht wieder gutzumachen.
Eine leere Schlagzeile
Pfeiffer beklagt einerseits, die Zahl der Verurteilungen wegen Vergewaltigung seien zurückgegangen; andererseits sei die Anzeigebereitschaft gestiegen. Da möchte man schon genauer erfahren, wie das zusammenhängt. Werden Anzeigeerstatterinnen inzwischen etwa weniger ernst genommen, was kaum glaubhaft erscheint angesichts allgemein gestiegener Sensibilität für übergriffiges Verhalten auch in der Ehe?
Oder sind die Ermittler vorsichtiger geworden? Im Kampf um das Sorgerecht, im Streit um Unterhalt, aus Rache oder Enttäuschung werden immer wieder Falschanzeigen erstattet. Strafprozesse wie der gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann haben wohl dem letzten gutgläubigen Kripobeamten oder Richter die Augen geöffnet. Pfeiffer spricht von zehn Prozent Falschanzeigen, eine Untersuchung aus Bayern kommt zu noch höheren Zahlen.
Es reicht heute nicht mehr, wenn eine vergewaltigte Frau einfach nur Anzeige erstattet. Die Untat muss sauber nachgewiesen werden, soll den Täter die gerechte - und in der Regel empfindlich hohe - Strafe ereilen. Vergewaltigung ist ein schweres Verbrechen, für das nicht, nur weil es häufig schwerer aufzuklären ist, weniger strenge Regeln gelten dürfen als für andere Delikte gegen Leib und Leben. Mehr Anzeigen, weniger Verurteilungen - was besagt das? Vielleicht ist die Justiz überlastet. Vielleicht aber arbeitet sie auch nur gründlicher.
Unterschiede zwischen den Bundesländern, angeblich um das Sechsfache, was die Erfolgschancen einer Anzeige angeht? Liegt es an den Richtern, an den Frauen? Oder gar an den Männern? Pfeiffer schreibt selbst, es sei "dringend geboten", all dies "im Wege einer empirischen Untersuchung aufzuklären". Recht hat er: Ohne Erklärung ist das nicht mehr als eine leere Schlagzeile aus einer Vorstudie.