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Randale in London: Ein Schnellgericht als zweite Chance

Foto: Dan Kitwood/ Getty Images

London Mit Krawall in ein neues Leben

Ein Teil der Geschichte zu sein, das war der Gedanke, der Peter Brinkley vor einem Jahr nahe London auf die Straße trieb. Er gehörte nicht zu den Anführern der Jugendkrawalle, doch er machte sich schuldig, landete im Gefängnis. Heute sieht er seine Verurteilung durch ein Schnellgericht als zweite Chance.
Von Veronika Kormaier

Plötzlich musste alles ganz schnell gehen. Peter zog sich seine schwarze Kapuze tief ins Gesicht, mehr hatte er zur Tarnung nicht dabei. Seine Freunde, die ihm mit ihrer Beute entgegen kamen, trugen immerhin schwarze Overalls. Nur schemenhaft konnte er ihre Gesichter erkennen. Aber sie grinsten, das weiß er noch.

Sie hatten gute Vorarbeit geleistet. Ein Möbelhaus war in Brand gesetzt worden, der schwere Rauch verdunkelte die Straßen von Croydon. Die Polizei war beschäftigt und die Fenster des großen Elektronikladens waren bereits eingeschlagen. Peter musste nur noch mit einem weiten Schritt hinein steigen ins Schlaraffenland.

Natürlich schlug ihm in diesem Moment der Puls bis zum Hals, so erzählt er es ein Jahr später. Gedanken blitzten auf an mögliche Konsequenzen. Aber eine freie Auswahl an MP3-Playern und Smartphones? Das war für einen Jungen, der seit zwei Jahren auf der Straße lebt, der auf einer Isomatte in Hauseingängen schläft und sich aus Mülleimern ernährt, schon eine große Sache. Nach dem Schulabschluss hatte ihm der Antrieb für die Suche nach einer Ausbildungsstelle gefehlt. Er verließ das Elternhaus, weil er den ständigen Querelen aus dem Weg gehen wollte. Und nun packte er an Elektronikgeräten ein, so viel er tragen konnte.

Aufstehen gegen das Establishment

Dabei war es gar nicht so sehr der Gedanke an die Beute gewesen, der Peter Brinkley dazu trieb, am helllichten Tag auf den Straßen seines Heimatorts Croydon im Süden Londons zu rebellieren.

Als er am Morgen des 8. August 2011 eine Textnachricht auf seinem Handy erhält, ob er bei den Riots denn auch dabei sei, denkt er an Größeres: Er möchte ein Teil der Geschichte werden, seinem Leben eine Bedeutung geben. Aufstehen gegen das Establishment so wie Jeanne d'Arc oder die Menschen, die damals die Berliner Mauer stürmten. Die Riots aus dem Fernsehen, zufällig in seiner Stadt? Was für eine Gelegenheit.

Seine Eltern hatten ihm schon viel erzählt über Krawalle. Von dem Wind der Freiheit, der an solchen Tagen weht. Zu Beginn der Achtziger brannten in Brixton Hunderte Autos aus, 350 Menschen wurden damals verletzt, als gegen die Polizei rebelliert wurde. Die Brixton Riots sind in die Geschichte eingegangen, und jetzt war eben Croydon dran.

Kleinere Delikte hatte der 18-jährige Engländer schon öfter begangen, sie halfen ihm gegen Langeweile und um sich über Wasser zu halten. Mal stahl er Lebensmittel in einem Kiosk, mal ein Fahrrad. Die Sozialhilfe habe nicht immer ausgereicht, um sich bei Bekannten oder in einem Heim einen Schlafplatz zu erkaufen. Gedanken an mögliche Konsequenzen verdrängte er, auch an jenem Tag im August, an dem in Croydon ein Mann starb und ein Schaden von bis zu zehn Millionen Pfund entstand.

"Das war ein Fehler, ich werde so etwas nie wieder machen." Immer wieder sagt der junge Mann mit dem blassen Gesicht diesen Satz. Es klingt wie auswendig gelernt, und doch glaubt man ihm. Er sitzt in einem Café im Zentrum von Croydon, nur wenige Meter entfernt von dem Ort, an dem alles geschah. Die müden Augen blicken auf den Boden, jetzt kommt die Stelle, über die er nicht gerne spricht. Nervös knetet Peter seine Finger im Schoß.

Ein Gerichtsprozess im Schnelldurchlauf

Am Morgen nach den Krawallen fand sich Peter Brinkley in der englischen "Sun" wieder. Ein großer Junge im Trainingsanzug, trotz der schwarzen Kapuze im Gesicht konnte ihn jeder erkennen. Er musste sich stellen, er hatte keine andere Wahl. Erfahrung mit der Polizei hatte er bereits, aber wie schnell dann alles kam, damit hatte er nicht gerechnet. Noch immer klingt er bestürzt: "Die haben mich für alles verantwortlich gemacht." Er will, dass man ihn versteht. Er sei doch nur einer von vielen gewesen, kein Aufrührer oder Anstachler. Die Gelegenheit sich zu erklären, bekam er aber nie. Seine damaligen Freunde, die den Laden aufbrachen, sind bis heute nicht gefasst.

Ein Gerichtsprozess im Schnelldurchlauf. Ganze 20 Minuten. Kein Richter, nur ein Pflichtverteidiger, ein ehrgeiziger Staatsanwalt und ein eingeschüchterter Teenager, der verängstigt in einer Ecke sitzt und nicht zu Wort kommt, so erinnert sich Peter an die Verhandlung. Ein Blitzurteil, genau so wie Premierminister David Cameron es angeordnet hatte und wie es über 2000 andere Beteiligte auch erlebten. "Ich kann verstehen, dass ich verurteilt wurde, aber so schlimm war das doch alles auch nicht." Er zuckt mit den Achseln.

Drei Monate verbrachte Peter im Gefängnis. "Da gibt es Typen, denen will ich nie wieder begegnen", sagt er. Er erwähnt Schlägereien zwischen verfeindeten Gangs. Aus dem etwas schüchternen jungen Mann wird ein nervöser Zappelphilipp, der verkrampft lächelt und sich kaum mehr traut aufzusehen. "Es war die schlimmste Zeit meines Lebens", sagt er.

Dann will er über sein heutiges Leben sprechen. "Ich habe jetzt einen Job und eine Wohnung", erzählt er stolz. Eine Jugendhilfsorganisation aus dem Ort wurde durch die Verhaftung auf Peter aufmerksam. Sie besorgte ihm ein Zimmer in einem Heim für obdachlose Teenager. Er muss sich dort selbst versorgen und darf dreimal die Woche in einem Raum an der Universität von Croydon seinem ersten Job nachgehen. Eigentlich ist es nur ein Praktikum bei einer Jugendzeitschrift, aber zum ersten Mal macht Peter Brinkley eine Arbeit Spaß.

Journalist zu sein, das kann er sich gut vorstellen. "Auch Journalisten können was verändern, oder?" Durch die Riots habe er eine zweite Chance bekommen, die Zeit im Gefängnis habe ihn geprägt: Er will alles dafür tun, nie wieder dorthin zu müssen. "Eine Chance, die ich ansonsten nie gehabt hätte."

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