Rechtsstreit um Kreuzworträtsel-Kunst "So toll ist die Kunstrichtung auch nicht"

Bitte nicht ausfüllen: Arthur Køpckes "Reading/Work-Piece"
Foto: VG Bild-Kunst/ Neues Museum Annette KradischVor zwei Wochen besuchte eine 90-jährige Rentnerin das Neue Museum in Nürnberg. Vor "Reading/Work-Piece", einem Werk des Künstlers Arthur Køpcke, fühlte Hannelore K. sich ermutigt, fehlende Worte in einem Kreuzworträtsel auszufüllen.
Køpcke gehörte Fluxus an, einer künstlerischen Bewegung, die das herkömmliche Kunstwerk zum bürgerlichen Fetisch erklärte, und proklamierte, dass es nicht auf das Werk ankäme, sondern auf die schöpferische Idee. So wurden Dinge des Alltags - wie beim Kreuzworträtsel in Køpckes Collage - zu Kunst erhoben.
Das Museum fand die schöpferische Idee der 90-Jährigen nicht so toll und stellte Strafanzeige. Nun meldet sich ihr Anwalt zu Wort. Mit seiner siebenseitigen Einlassung bei der Nürnberger Kriminalpolizei lieferte der Nürnberger Jurist Heinz-Harro Salloch eine interessante Interpretation der Aktion am Werk.
SPIEGEL ONLINE: Wer ist Ihr Lieblingskünstler?
Salloch: Na, als Nürnberger natürlich Dürer.
SPIEGEL ONLINE: Nehmen wir mal an, jemand würde dem Dürer-Hasen eine grüne Wiese unter die Pfoten malen.

Heinz-Harro Salloch, geboren 1944, ist Rechtsanwalt, Notar a. D. und Gründer der Nürnberger Kanzlei HoltkampBongardSalloch. Sallochs Mandantin im Kreuzworträtsel-Fall ist eine Freundin seiner Schwiegermutter.
Salloch: Dann hätten wir nach meiner Wertung eine völlig andere Situation als in diesem Fall.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Salloch: So wie ich den Begriff Fluxus verstanden habe, geht es da nicht um die Abschottung eines Kunstwerkes. Der Künstler selbst will den interessierten, aber im Grunde laienhaften Betrachter seines Bildes anregen, die Kunst fortzusetzen. Und so hat es die Mandantin auch verstanden.
SPIEGEL ONLINE: Und damit, so argumentieren Sie, sei eigentlich gar kein Schaden entstanden.
Salloch: Ich bin kein großer Kunstkenner. Ich habe mir das Werk angesehen, so wie es in der Zeitung veröffentlicht ist. Und da ist das Kreuzworträtsel einer von vielen, nennen wir es mal: Ausrissen. Ich behaupte, dass wir, wenn Sie und ich an dem Bild vorbeigegangen wären, überhaupt nicht gemerkt hätten, dass die Frau da etwas eingesetzt hat. Insofern kann man über den Tatbestand streiten.
SPIEGEL ONLINE: Hat sie aber.
Salloch: Selbst wenn der Tatbestand gegeben wäre, müsste man bei so einer Kunstrichtung mal darüber nachdenken, ob sie sich hier nicht in einem sogenannten nicht-vermeidbaren Verbotsirrtum befunden hat. Wenn die Verantwortlichen des Museums Fluxus nach meiner Auffassung richtig interpretiert hätten, hätten sie mit so einer Reaktion auf die Kunst rechnen müssen. Es wäre doch wirklich nicht schwer gewesen, da ein Schild dranzumachen: "Nicht ausfüllen".
SPIEGEL ONLINE: Der Eigentümer René Block sagte kürzlich dem Kunstmagazin "Monopol", Fluxus sei von ihrer Klientin missverstanden worden: Man sei kein "Künstler, wenn man das Kreuzworträtsel ausfüllt, da man nichts weiterentwickelt". Was meinen Sie?
Salloch: Ich denke, dass es durchaus sein kann, dass meine Mandantin Fluxus fehlinterpretiert hat. Aber ich denke nicht, dass eine genaue Kenntnis des Begriffes Fluxus zum Allgemeinwissen gehört. So toll ist die Kunstrichtung nun auch nicht. Mir persönlich würde es auch schwerfallen, für dieses Objekt 80.000 Euro zu investieren. Da würde ich mir was anderes kaufen. Aber ich gestehe natürlich jedem zu, dass er ganz begeistert von dieser Kunstrichtung ist. Meine Mandantin war es offenbar.
SPIEGEL ONLINE: Aber deshalb muss man ja nicht gleich darauf herummalen.
Salloch: Eigentlich hat sie Künstler und Werk damit sogar geholfen. Ich kannte zwar den Namen Køpcke schon vorher. Aber nur den Fernsehsprecher Karl-Heinz Köpcke. Von der Existenz des Künstlers wusste ich nicht. Und da Kunst auch nach dem Bekanntheitsgrad gehandelt wird, denke ich, dass das Werk in seinem Wert nicht beschädigt wurde. Ganz im Gegenteil: Diese Meldung ist um die ganze Welt gegangen. Ich habe Kinder in Australien, die haben das in der Zeitung gelesen und sich kaputtgelacht.
SPIEGEL ONLINE: Ist die Klientin eigentlich auf Sie zugekommen und hat um ihre Verteidigung gebeten?
Salloch: Sie ist auf mich zugekommen, weil sie eine Freundin meiner Schwiegermutter ist. Die beiden gehören zu einem Kreis geistig extrem reger Damen. Die Mandantin selbst ist im deutsch-amerikanischen Klub, sie ist im deutsch-türkischen Frauenklub, sie ist in einem Literatur- und einem Kunstklub. Und sie legt großen Wert darauf, dass sie nicht senil ist.
SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Schreiben meinen Sie zudem, dass Ihre Klientin durch ihre "belebende Weiterverarbeitung" möglicherweise sogar ein eigenes Urheberrecht an dem Bild erworben habe. Für wie groß halten Sie die Chance, dass Ihrer Mandantin ein solches Urheberrecht eingeräumt wird?
Salloch: Richtung null. Anwälte schreiben manchmal auch zu ihrem Vergnügen.
SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Sinne des Fluxus-Begriffes wird doch eigentlich auch Ihre Verteidigungsstrategie zum Teil des Kunstwerks, oder?
Salloch: (lacht) Ich bedanke mich, aber das würde ich mir nicht anmaßen. Wie schon gesagt, ich habe keine besonderen Kenntnisse in dieser Kunstrichtung.