München - Vor dem Landgericht München II ist am Dienstag der Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk fortgesetzt worden. Die eigentlich vorgesehene Verlesung der Anklage gegen den 89-Jährigen verzögerte sich dabei erneut.
Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch stellte zu Beginn des zweiten Prozesstags den Antrag, das Verfahren einzustellen. Sein Mandant sei trotz einer tödlichen Erkrankung zwangsweise nach Deutschland gebracht worden, sagte Verteidiger Ulrich Busch am zweiten Prozesstag. Mit dieser "Zwangsdeportation aus den USA" habe sich die deutsche Justiz auf illegale Weise des Angeklagten bemächtigt.
Demjanjuk muss sich in dem Prozess wegen Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden im Vernichtungslager Sobibor verantworten. Dort soll er im Sommer 1943 Tausende Juden aus Deportationszügen in die Gaskammern getrieben haben.
Busch sagte, es gebe eine Reihe von Rechtshindernissen. So sei Demjanjuk "von einer tödlichen Krankheit befallen" im Mai aus den USA nach Deutschland gebracht worden. Er sei außerdem wegen derselben Vorwürfe wie nun in München "unzweifelhaft" bereits in den achtziger Jahren in Israel angeklagt gewesen. Die neue Anklage verletze damit den Grundsatz, dass ein Verdächtiger nicht zweimal wegen desselben Vergehens angeklagt werden dürfe. Außerdem bestehe keine deutsche Staatszuständigkeit für den Prozess.
Bereits zum Prozessauftakt am Montag hatte Busch einen Befangenheitsantrag gegen das Landgericht gestellt. Er begründete dies damit, dass in früheren Verfahren Vorgesetzte und Ausbilder Demjanjuks freigesprochen worden seien. Über den Antrag muss das Gericht noch entscheiden.
Busch stellte seinen Mandanten in dem Verfahren als Opfer dar. Demjanjuk sei "ein Überlebender des Holocaust, nicht aber Täter", sagte der Verteidiger. Demjanjuk habe als Aufseher im Auftrag der SS-Lagerleitung "auf gleicher Stufe" wie damalige jüdische Häftlinge mit Hilfsaufgaben gestanden.
Zum Auftakt des weltweit beachteten Prozesses hatten Gutachter am Montag festgestellt, dass Demjanjuk trotz einiger altersbedingter Erkrankungen wie Gicht, Herzschwäche und Bluthochdruck verhandlungsfähig ist. Nach Aussagen eines Mediziners handelt es sich bei der Knochenmarkserkrankung von Demjanjuk noch nicht um eine Krebserkrankung, sondern allenfalls um eine Vorstufe dazu. Allerdings haben die Ärzte festgelegt, dass wegen der angeschlagenen Gesundheit des Angeklagten pro Tag nicht länger als zweimal 90 Minuten verhandelt werden darf.
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Es ist der vermutlich letzte große Prozess wegen NS-Kriegsverbrechen: Vor dem Landgericht München muss sich der 89-jährige John Demjanjuk verantworten.
Die Staatsanwaltschaft wirft Demjanjuk Beihilfe zum Mord an 27.900 Menschen im Lager Sobibór vor.
Der Verteidiger des mutmaßlichen KZ-Wachmanns hat zu Beginn des Verfahrens versucht, den Prozess mit Befangenheitsanträgen weiter hinauszuzögern.
In einem Krankenwagen wurde Demjanjuk zum Prozessauftakt am 20. November 2009 zum Landgericht gebracht.
Anwalt Ulrich Busch erklärte damals, er halte Richter und Staatsanwaltschaft in dem Fall für befangen. Demjanjuk sei wie alle Kriegsgefangenen, die auf Geheiß der Nazis als Wächter im Vernichtungslager Sobibór arbeiten mussten, Opfer und kein Täter gewesen.
Nebenkläger Thomas Blatt mit Vertreter Stefan Schünemann: Die Aussage von Verteidiger Busch, Demjanjuk stehe "auf gleicher Stufe" wie die KZ-Überlebenden, sorgte im Saal für Empörung.
Der KZ-Überlebende Robert Cohen zeigt vor Beginn des Prozesses seine Tätowierung aus dem KZ Auschwitz-Birkenau: Rund 20 Nebenkläger werden im Verfahren auftreten.