Stutthof-Prozess Gericht spricht frühere KZ-Sekretärin schuldig

Angeklagte Furchner im Gerichtssaal in Itzehoe (an einem früheren Prozesstag)
Foto: Christian Charisius / APDas Landgericht im schleswig-holsteinischen Itzehoe hat eine frühere Sekretärin des NS-Konzentrationslagers (KZ) Stutthof zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Das Gericht sprach die inzwischen 97-jährige Irmgard Furchner am Dienstag der Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen schuldig.
Nach Feststellung der Strafkammer war die Angeklagte von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur von Stutthof bei Danzig tätig. Damit habe sie den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet.
Weil sie zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt war, fand der Prozess vor einer Jugendkammer statt. Diese folgte mit ihrem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die 15 Nebenklagevertreter schlossen sich zum großen Teil der Strafforderung der Staatsanwaltschaft an. Einer von ihnen hat sich jedoch gegen eine Bewährungsstrafe ausgesprochen.
Die beiden Verteidiger hatten hingegen einen Freispruch für ihre Mandantin gefordert. Sie begründeten dies damit, dass nicht zweifelsfrei habe nachgewiesen werden können, dass die Angeklagte von den systematischen Tötungen im Lager gewusst habe.
Die 97-Jährige hatte in ihrem sogenannten letzten Wort erklärt: »Es tut mir leid, was alles geschehen ist und ich bereue, dass ich zu der Zeit in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen.«
40 Verhandlungstage
Im Lager Stutthof bei Danzig hatte die SS während des Zweiten Weltkriegs mehr als hunderttausend Menschen unter erbärmlichen Bedingungen gefangen gehalten, darunter viele Juden. Etwa 65.000 starben nach Erkenntnissen von Historikern. Das Lager war berüchtigt für die absichtlich völlig unzureichende Versorgung der Gefangenen. Die meisten Menschen starben an Seuchen, Entkräftung und Misshandlung. Es gab jedoch auch eine Gaskammer und eine Genickschussanlage.
Der Prozess hatte am 30. September 2021 begonnen. An den 40 Verhandlungstagen hörte das Gericht acht der zeitweise 31 Nebenkläger als Zeugen. Die Überlebenden des Lagers berichteten vom Leiden und massenhaften Sterben in Stutthof. Wichtigster Zeuge war jedoch der historische Sachverständige Stefan Hördler, der sein Gutachten in 14 Sitzungen vorstellte. Die Verteidigung hatte einen Befangenheitsantrag gegen ihn gestellt, den das Gericht aber ablehnte.
Die Angeklagte hatte sich anfangs dem Verfahren nicht stellen wollen. Am ersten Verhandlungstag verschwand sie frühmorgens aus ihrem Seniorenheim in Quickborn (Kreis Pinneberg). Die Polizei griff sie Stunden später auf einer Straße in Hamburg auf. Das Gericht erließ einen Haftbefehl. Die damals 96-Jährige verbrachte fünf Tage in Untersuchungshaft. Erst ganz zum Schluss des Prozesses brach sie ihr Schweigen.
Es ist möglicherweise der letzte Prozess in Deutschland wegen NS-Verbrechen gewesen. Ende Juni 2022 hatte das Landgericht Neuruppin einen ehemaligen Wachmann des KZ Sachsenhausen wegen Beihilfe zum Mord an Tausenden Häftlingen zu fünf Jahren Haft verurteilt. Fünf weitere Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche NS-Täter sind nach Angaben der Zentralstelle in Ludwigsburg (Baden-Württemberg) bei den Staatsanwaltschaften anhängig, davon jeweils eins bei den Behörden in Erfurt, Coburg und Hamburg sowie zwei in Neuruppin.
Die Justiz muss in diesen Fällen ermitteln, weil es um Beihilfe zum Mord geht. 1979 hatte der Bundestag die Verjährung von Mord und Beihilfe zum Mord endgültig aufgehoben. Das bedeutet, dass sich Tatverdächtige bei Verhandlungsfähigkeit bis ins hohe Alter einem Verfahren stellen müssen.