Prozess am Landgericht Düsseldorf Erzieher sollen autistische Kinder gequält haben
Ganz besonders perfide waren die "Teppichrunden", wenn man der Anklage folgt: Demnach musste sich das Kind auf einen Stuhl setzen, den die Erzieher abwechselnd umstießen. Es schlug immer wieder mit dem Hinterkopf auf den Boden, musste aufstehen, den Stuhl wieder aufstellen und sich setzen. Dann, so der Vorwurf, stießen die Erzieher den Stuhl wieder um. Über Stunden soll das manchmal so gegangen sein, bis zur völligen Erschöpfung des Kindes.
Die "Teppichrunde" war laut Staatsanwaltschaft Düsseldorf eine von vielen Methoden, mit denen Erzieher einer Kinder- und Jugendeinrichtung in Hilden über einen Zeitraum von zwei Jahren autistische Mädchen und Jungen im Alter von 9 bis 15 Jahren misshandelt haben sollen. Die ehemalige Leiterin der evangelischen Einrichtungsowie vier Erzieherinnen und Erzieher müssen sich nun vor dem Düsseldorfer Landgericht verantworten.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten Misshandlung von Schutzbefohlenen, schwere Körperverletzung und Freiheitsberaubung in insgesamt 67 Fällen vor. Betroffen waren vor allem fünf Kinder. Die Taten liegen lange zurück, im Juli 2006 sollen die Erzieher damit angefangen haben, die Kinder zu quälen und zu vernachlässigen.
Die Betroffenen lebten in zwei Wohngruppen des Unternehmens Educon, einer Tochter der evangelischen Graf-Recke-Stiftung. Das Unternehmen war 2010 nach Bekanntwerden der Misshandlungsvorwürfe aufgelöst worden; seine Aufgaben wurden in die Stiftung integriert . Drei damals bei der Graf-Recke-Stiftung tätige Pädagoginnen hatten laut einer Gerichtssprecherin bereits Ende Mai 2008 auf die Missstände hingewiesen und Anzeige erstattet.
Stundenlange Quälereien
Manche der Kinder bekamen laut Anklage oft tagelang kaum etwas zu essen. Ein Junge verlor demnach innerhalb von sieben Wochen zehn Kilogramm Gewicht. Die Wohngruppen hatten Namen wie "Räuberhöhle" oder "Lernfenster". Einige der Kinder konnten kaum sprechen und sich nur über Laute verständigen.
Auch Melanie* war in der Gruppe "Lernfenster". Die damals 15-Jährige soll besonders häufig "gemaßregelt" worden sein. Die Erzieher sollen sie regelmäßig stundenlang fixiert haben, indem sie sie auf den Boden drückten und sich auf sie setzten. Sie sollen dem Mädchen Handtücher fest um den Kopf gewickelt oder es angeschrien haben, bis es in völlige Panik geriet.
Auch eine Wasserpistole soll immer wieder eingesetzt worden sein: Ein Erzieher soll Melanies Kopf nach hinten überstreckt, eine Kollegin dann Wasser in Mund und Nase des Mädchens gespritzt haben. An einem Tag soll Melanie viereinhalb Stunden lang der "Teppichrunde" ausgeliefert gewesen sein.
Gezwungen, Erbrochenes zu essen
Ein 14-jähriger Junge soll immer wieder beschimpft und beleidigt worden sein. Die Erzieher sollen ihn gezwungen haben, sein Erbrochenes zu essen. Die mutmaßlichen Täter sollen sich während der Misshandlungen oft über Musik und Filme unterhalten und die Kinder verhöhnt und ausgelacht haben. "Sie amüsierten sich, während ihre Opfer litten", heißt es in der Anklageschrift.
Eigentlich sollten die Erzieher eine besondere Therapie durchführen, die laut Staatsanwaltschaft "die positive Zuwendung zum Wohle des Kindes" als Kern hat, zu erreichen "mit Geduld, viel Anerkennung und Zuwendung".
Die heute 43-jährige Leiterin der Wohngruppen hatte diese Therapieform ausgewählt. Allerdings soll die Umsetzung in Hilden konkret so ausgesehen haben, dass Erzieher die autistischen Kinder, die körperliche Kontakte nicht gut ertragen konnten, oft stundenlang umklammertem oder sich eng neben sie legten.
Die Angeklagten filmten die Misshandlungen. Quälereien als Machtspielchen und grausamer Zeitvertreib? Das Motiv der Angeklagten ist bislang unklar; keiner von ihnen wollte sich am ersten Prozesstag zu den Vorwürfen äußern.
Beim nächsten Termin am 21. Juli wird die Kammer Ausschnitte aus den Videos zeigen, die die Misshandlungen dokumentieren. Keines der schwerstgeschädigten Opfer wird als Zeuge aussagen können.
Die Ermittlungen in dem Fall hatten drei Jahre gedauert. Unter anderem mussten die Ermittler mehr als 200 Stunden Videomaterial sichten und auswerten. Dazu kam nach Angaben des Gerichts eine Überlastung der zuständigen Kammer. Jetzt sind 30 Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil soll im Januar 2017 verkündet werden.
* Name geändert