Lebenslang für Meiwes Wie man einen Menschenfresser los wird
Frankfurt am Main - Es ist das Urteil, das zu erwarten war: Der "Kannibale von Rotenburg", Armin Meiwes, 44, der im März 2001 einen Berliner Diplomingenieur erstochen, ausgeweidet und teilweise aufgegessen hat, ist am Nachmittag vom Frankfurter Landgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes verurteilt worden.
Eine erste Verurteilung durch das Landgericht Kassel im Januar 2004 - acht Jahre und sechs Monate wegen Totschlags - hatte der Bundesgerichtshof aufgehoben, weil die Kasseler Richter nicht genügend geprüft hätten, ob die Tötung nicht doch den Tatbestand des Mordes zur Befriedigung des Geschlechtstriebes und zur Begehung einer weiteren Straftat erfülle, nämlich der Störung der Totenruhe (in der Variante des "beschimpfenden Unfugs mit einer Leiche").
So sehr der Vorsitzende Richter der 21. Frankfurter Strafkammer, Klaus Drescher, auch bemüht war, die Besorgnis der Öffentlichkeit wegen der fortdauernden und nach heutigem Wissensstand unabänderlichen Gefährlichkeit des Angeklagten zu beschwichtigen, etwa mit dem Hinweis, dass eine vorzeitige Entlassung Meiwes' aus der Strafhaft nur dann in Frage kommen werde, wenn ein Sachverständiger dereinst eine positive Prognose abgeben sollte, so bleibt doch ein Unbehagen.
Gewiss, die Kammer hat sich bemüht, den Vorgaben der Karlsruher Bundesrichter nachzukommen: Meiwes hat getötet, wenn auch nicht lustvoll, doch um sich seinen sehnlichsten Wunsch, die Schlachtung und Einverleibung eines Menschen, zu erfüllen. Die Tötung war dabei ein notweniges Übel, das er aber in Kauf nahm. Seine gesamte Sexualität war darauf ausgerichtet. Sexuelle Erregung und Befriedigung erreicht er nur auf diese Weise.
"Man muss das Wort 'schlachten' mal dekodieren"
Die Sachverständigen, der Berliner Sexualwissenschaftler Klaus Beier und der Göttinger Psychiater Georg Stolpmann, hatten schon in Kassel Meiwes für voll verantwortlich für seine Tat erklärt. Auch die Frankfurter Kammer ist ihnen gefolgt. Dass bei Meiwes eine "schwere seelische Abartigkeit" vorliegt, ist unstrittig. Die Entscheidung, ob die Schuld eines Angeklagten deswegen geringer wiegt oder ob möglicherweise gar nicht bestraft werden kann, sondern als gefährlicher Kranker in die Psychiatrie eingewiesen wird, müssen Richter treffen - nicht Sachverständige. Doch wann hat sich je ein Richter über das Votum von Psychiatern und Psychologen hinweggesetzt, die in vielen Verfahren längst die eigentlichen Richter sind? Höchst selten.
Das Urteil der Frankfurter Richter ist ein taktisches, wie auch ihre Entscheidung, auf die Meinung anderer Sachverständiger zu verzichten. In dem außergewöhnlichen Fall wäre es angebracht gewesen, nicht nur aus dem "Urgrund richterlicher Erfahrung" zu schöpfen oder sich zu begnügen mit dem, was Beier und Stolpmann schon einmal vorgetragen hatten. Dass diese Gutachter in Frankfurt ihre Meinung nicht ändern würden, war vorauszusehen. Beier: "Man muss das Wort 'schlachten' mal dekodieren in 'eine Bindung eingehen' - dann klingt das alles anders." Die Frankfurter Richter haben nicht protestiert.
Das Gericht hat die von Meiwes subjektiv empfundene Zustimmung seines Opfers aufgerechnet gegen die Forderung der Staatsanwaltschaft, über das Lebenslang hinaus auch noch auf eine besondere Schwere der Schuld zu erkennen. Man hat sich Meiwes, den bizarren Menschenfresser, ergebnisorientiert vom Hals geschafft.
Die Richter die Vorgaben aus Karlsruhe pflichtschuldigst abgearbeitet: Mag er doch im Gefängnis seinen abnormen Phantasien nachhängen, mögen sie sich steigern, verändern - Hauptsache, er ist hinter Gittern. "Es kann nicht sein", so der Vorsitzende Drescher, "dass der Staat die Bürger vor illegalen Verträgen schützt, seinen schwächsten Mitgliedern wie psychisch gestörten Menschen diesen Schutz aber versagt." Wer will hier widersprechen? Doch auch Meiwes ist ein Mensch und kein Unmensch, allerdings ein kranker. Im Gefängnis wird er nicht gesund, sondern möglicherweise noch gefährlicher werden. Wer garantiert, dass er, sich selbst überlassen, seine abnorme Innenwelt nicht noch ausweitet? Kannibalistische Phantasien verflüchtigen sich schließlich nicht von alleine.
Meiwes attackiert Bundesgerichtshof
Die volle Verantwortlichkeit Meiwes' ergibt sich zur Überzeugung der Richter daraus, dass er von seinem Tun jeweils ablassen konnte, wenn das potentielle Schlachtopfer - und Meiwes hat sich an mehreren jungen Männern versucht, ehe er an den Berliner Diplomingenieur geriet - mit einer Fortsetzung des brisanten Spiels nicht mehr einverstanden war. Die Zustimmung des Schlachtopfers gehört für Meiwes unabdingbar dazu.
Doch hätte der Angeklagte auch ablassen können, unabhängig vom "ja" oder "egal" oder "nein" des Opfers? Kann er wirklich aus eigener Kraft mit seiner inneren Welt umgehen - oder ist er ihr in bestimmter Konstellation nicht doch ausgeliefert? Diese Frage ist nicht gestellt und daher auch nicht beantwortet worden. Dass die Zustimmung des Opfers Teil der seelischen Abnormität sein könnte, war in keiner der Hauptverhandlungen Thema.
Wie krank Meiwes ist, zeigte das letzte Wort, das er vor dem Urteil an das Gericht richtete. Er griff den Bundesgerichtshof an, der seiner Auffassung nach die Menschenwürde des von ihm Getöteten verletzt habe. Der Berliner Ingenieur habe sterben und sich aufessen lassen wollen - und der Bundesgerichtshof habe diesen letzten Wunsch missachtet. Gefährlich sei er, Meiwes, längst nicht mehr. Künftig werde er sich nur noch Menschen einverleiben, wenn er sich dabei nicht strafbar mache. "Wenn er nicht selbst töten muss", erklärte der Richter.