London-Bekennervideo "Wir sind im Krieg und ich bin Soldat"

Das gestern veröffentlichte Video-Vermächtnis des London-Attentäters Mohammed Sidique Khan zeigt das verstörende Ausmaß der Entfremdung des gebürtigen Briten von der westlichen Gesellschaft. "Mein Volk" sind für ihn die Muslime, Osama Bin Laden "der geliebte Scheich".
Von Yassin Musharbash

Berlin - Schon der Anfang der Videoaufzeichnung dokumentiert in aller Klarheit: Für Mohammed Sidique Khan, den 30-jährigen mutmaßlichen Anführer der Selbstmordattentäter von London, lohnt nicht einmal mehr der Dialog mit der westlichen Gesellschaft, in der er selbst aufwuchs: "Worte richten bei euch nichts aus", sagt der junge Mann darin, auf dem Boden hockend vor einer mit Teppichen verhängten Wand. "Darum werde ich mit euch in einer Sprache sprechen, die ihr versteht. Unsere Worte sind tot, bis wir ihnen mit Blut Leben einhauchen."

Mit dieser Einleitung spielt Sidique Khan offensichtlich auf jene Tat an, die am 7. Juli Großbritannien und die gesamte Welt erschütterte: Über 50 Menschen mussten sterben, als sich vier pakistanischstämmige, in Nordengland aufgewachsene junge Männer im Nahverkehrssystem Londons in die Luft sprengten. "Zum jetzigen Zeitpunkt", sagt der junge Vater einer Tochter, der als Anführer der Attentäter gilt, "werden die Medien sicherlich schon ein passendes Bild von mir gezimmert haben, das der Regierung entgegen kommt und die Massen dazu bringt, sich aus Furcht konform zu verhalten."

Solche und andere Äußerungen auf dem Videoband, das gestern von dem arabischen Satellitensender al-Dschasira ausgestrahlt wurde, deuten darauf hin, dass Sadiq Khan die Aufzeichnung als eine Art Testament gemacht hat und zu diesem Zeitpunkt bereits entschlossen war, seinen Plan auszuführen. Zusammen mit Khans Botschaft ging al-Dschasira auch eine Videobotschaft von Aiman al-Sawahiri zu, der Nummer Zwei des Terrornetzwerks al-Qaida. Darin preist der Ägypter den Anschlag von London und kündigt weitere Terrorakte im Westen an. Es handelt sich um das erste direkte Bekenntnis al-Qaidas zu den Londoner Bomben.

Erklärung in einwandfreien Englisch

Die britische Gesellschaft hatte nach dem Anschlag besonders verstört, dass die jungen Selbstmörder allesamt britische Staatsbürger waren, die auf den ersten Blick integriert schienen. Sadiq Khan beispielsweise war Assistenzlehrer. Doch in seiner Abschiedsbotschaft lässt er keinen Zweifel daran, dass er sich in Wahrheit als Fremdkörper empfand, als Feind im Feindesland: "Wir sind im Krieg", sagt er an einer Stelle, "und ich bin ein Soldat." Dass er seine Botschaft in deutlich regional gefärbtem, britischen Akzent verliest, macht dieses Dokument einer hasserfüllten Entfremdung besonders eindringlich.

"Eure demokratisch gewählte Regierung begeht Akte der Grausamkeit gegen mein Volk", erklärt der junge Mann weiter. Die Wähler dieser Regierung seien dafür genauso verantwortlich "wie ich es dafür bin, meine muslimischen Brüder zu verteidigen." Zu ausführlicheren Erklärungen sieht er sich nicht veranlasst: "Hiermit lasse ich Euch zurück, damit ihr euch selbst eure Gedanken macht", sagt er - und bittet anschließend um Gebete, damit er "bei Gott angenommen wird".

Wie genau die Radikalisierung der London-Attentäter um Khan ablief, ist noch immer unklar. Das Video aber zeigt einen in ruhiger Stimme vortragenden Khan, der mit sich selbst im Reinen und sich seiner Entscheidung sicher scheint. Den "geliebten" Qaida-Chef Osama Bin Laden, dessen Stellvertreter Aiman al-Sawahiri und den Qaida-Statthalter im Irak, Abu Musab al-Sarkawi, nennt Sidique Khan ausdrücklich, offenbar um auf Quellen seiner Inspiration hinzuweisen. Das Video liefert damit weitere Indizien dafür, dass sich die Attentäter von London aus eigenem Antrieb al-Qaida angeschlossen haben könnten und nicht unbedingt rekrutiert wurden.

Die geistige Urheheberschaft al-Qaidas an der Anschlagsserie vom 7. Juli ist schon frühzeitig angenommen worden. Zwei Bekennerschreiben, deren Glaubwürdigkeit allerdings bis heute unklar ist, deuteten in diese Richtung. Mohammed Sidique Khan und einer der mutmaßlichen Mitattentäter waren kurz vor dem Anschlag für längere Zeit nach Pakistan gereist; es wird angenommen, dass sie dort letzte Planungen und Vorbereitungen durchführten, nachdem sie zuvor Kontakt mit Verbindungsleuten militanter Islamisten im Dunstkreis al-Qaidas aufgenommen haben könnten.

"Sie sind unsere Ziele"

Mit dem Doppel-Video hat al-Qaida nun offiziell den Anschlag adoptiert - allerdings ohne explizit auf eine organisatorische Verknüpfung oder eine Ausbildung der Attentäter durch das Terrornetzwerk hinzuweisen, wie etwa im Fall der Attentäter vom 11. September 2001.

Interessant ist, dass das bei al-Dschasira eingegangene Band dem Bildschirmlogos zufolge von der "Al-Sahab"-Stiftung produziert wurde. Diese dubiose Unternehmung hat schon mehrfach Bin-Laden-Videos hergestellt. Sowohl das Statement al-Sawahiris als auch das Khans tragen das Emblem von "al-Sahab" - ein Hinweis, dass das Selbstmordattentäter-Vermächtnis schon seit längerer Zeit in den Händen dieser Qaida-nahen Firma liegt.

Die beiden Videos sind offenbar an verschiedenen Orten aufgenommen worden: Al-Sawahiri wird, mit einem Maschinengewehr an seiner Seite, vor einer braunen Wand gezeigt; Khan dagegen sitzt dem Anschein nach im Inneren eines Gebäudes. Beide Aussagen laufen indes auf dasselbe hinaus: Solange die "Kreuzfahrerstaaten" Kriege gegen muslimische Länder führten, werde der Terror weitergehen. "Ich und Tausende wie ich haben alles aufgegeben für das, was wir glauben", erklärt Mohammad Sadiq Khan, während al-Sawahiri erneute Anschläge in den Staaten ankündigt, die an den Kriegen in Tschetschenien, Afghanistan und dem Irak beteiligt sind: "Sie sind unsere Ziele."

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