Gerichtssaal in Düsseldorf
Foto: DPAIm Love Parade-Prozess hat die erste Zeugin berichtet, wie sie vor mehr als sieben Jahren in Duisburg in das tödliche Gedränge geriet. Ihre Schwester habe sich auf dem Gelände an einer Glasscherbe die Hand verletzt, berichtete die 31-jährige Auszubildende stockend und schwer atmend vor dem Landgericht.
Auf der Suche nach medizinischer Hilfe sei sie dann mit ihrer Schwester in das Gedränge geraten. Eine Kette aus Polizisten habe sie am Verlassen des Geländes gehindert. Die Kette sei dann auseinandergerissen worden und das Gedränge habe zugenommen.
Ihre Schwester habe noch gefleht: "Halt meine Hand fest, lass ja nicht los." Doch dann sei sie weggerissen worden. "Der Druck war so stark", sie habe ihre Schwester aus den Augen verloren. Sie habe keine Luft bekommen, sich nicht bewegen können.
Ein junger Mann habe ihr noch geholfen, ihren Kopf und die Haare hoch gehalten und gesagt: "Ich helfe dir." Beim Versuch, eine Treppe an der Zugangsrampe zu erreichen, sei sie dann aber gestürzt. Menschen hätten auf ihr gelegen. "Links von mir lag ein junges Mädchen und rief: 'Hilf mir, hilf mir!'", sagte die Zeugin. Aber das sei nicht möglich gewesen. "Ich konnte mich selbst nicht befreien." Sie sei dann auf der Intensivstation eines Krankenhauses wach geworden, sagte die Duisburgerin.
Ab und zu verspüre sie heute noch "diesen ungeheuren Druck", sagte die Zeugin. "Wenn ich etwas Bestimmtes rieche oder viele Menschen sehe, kommt das wieder." Ein Jahr nach der Katastrophe sei sie sieben Wochen lang in einer psychosomatischen Klinik gewesen. Sie habe immer noch Schuldgefühle, weil sie der jungen Frau neben ihr nicht habe helfen können. Was aus ihr wurde, ist nicht bekannt. Die Schwester der Zeugin überlebte.
SPIEGEL TV Magazin: Chronik einer Katastrophe (2011)
Mit der Aussage der Zeugin stieg das Gericht nun in die Beweisaufnahme ein. Beim Love-Parade-Unglück am 24. Juli 2010 waren im dichten Gedränge am einzigen Zu- und Abgang 21 Menschen erdrückt und mindestens 652 verletzt worden. Wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung sind sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent angeklagt.
Der Prozess hatte im Dezember begonnen (die wichtigsten Fragen und Antworten dazu können Sie hier nachlesen). Aus Platzgründen findet das Verfahren des Duisburger Landgerichts in der Düsseldorfer Messe statt.
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24. Juli 2010: Zehntausende Menschen sind nach Duisburg gekommen, um die Loveparade zu feiern.
Dann kommt es zur Katastrophe: Tausende Raver drängen sich in und vor einem Tunnel - dem einzigen Ein- und Ausgang des Festivalgeländes auf einem ehemaligen Güterbahnhof.
An dieser engen Rampe sind zu viele Menschen gleichzeitig - ebenso wie in dem Tunnel. Sie werden erdrückt und niedergetrampelt. 21 Menschen kommen ums Leben, mehr als 650 werden verletzt.
Blumen und Kerzen: Trauernde gedenken am Unglücksort eine Woche nach dem Unglück der Opfer. Der Vorfall löst bundesweit Entsetzen aus.
28. Juli 2010: Fans des Fußball-Vereins MSV Duisburg bei einem Trauermarsch in der Stadt.
31. Juli 2010: Bei einer Gedenkfeier nehmen Tausende Menschen in Duisburg Abschied von den Opfern. Hannelore Kraft (SPD), damals Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens, hält eine bewegende Trauerrede.
Wie bei diesem Mann richtet sich die Wut vieler Menschen vor allem gegen zwei Männer.
Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller und Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland. Sie gelten als Vordenker des Techno-Events in der Stadt. Wenige Tage nach der Katastrophe nennt Sauerland Rücktrittsforderungen gegen ihn nachvollziehbar, bleibt aber im Amt. Am 18. Januar 2011 nimmt die Staatsanwaltschaft Duisburg Ermittlungen gegen den damaligen Polizei-Einsatzleiter sowie gegen Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters Lopavent auf. Sauerland und Schaller gehören nicht zu den Beschuldigten.
24. Juli 2013: Am Unglücksort wird eine Gedenkstätte eröffnet. 21 Holzkreuze und eine Gedenktafel erinnern an die Opfer.
12. Februar 2012: Die Duisburger stimmen in einem Bürgerbegehren mit großer Mehrheit für die Abwahl des Oberbürgermeisters. Hier zählen Wahlhelfer in einem Wahllokal die Stimmzettel aus.
Wenige Tage später scheidet Sauerland aus seinem Amt aus - und zieht sich weitgehend aus der Politik zurück.
23. Juli 2015: Kerzen brennen an der Unglücksstelle. Betroffene rufen eine Stiftung ins Leben.
Blumen für die Opfer: Die Stiftung unter dem Namen "Duisburg 24.7.2010" vermittelt Therapieplätze, organisiert die Gedenktage und hilft bei der Einrichtung von Selbsthilfegruppen.
5. April 2016: Das Duisburger Landgericht gibt seine Entscheidung bekannt, wonach es keinen Strafprozess geben soll. Die Anklage wird nicht zur Hauptverhandlung zugelassen. Begründung: Das wesentliche Beweismittel, das Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still, sei nicht verwertbar. Es leide "an gravierenden inhaltlichen und methodischen Mängeln". Die Staatsanwaltschaft Duisburg und mehrere Nebenkläger legen Beschwerde gegen den Beschluss ein.
24. April 2017: Das Oberlandesgericht Düsseldorf gibt bekannt, dass es die Anklage nun doch zulässt. Die Bedenken der 5. Strafkammer des Duisburger Landgerichts werden zurückgewiesen. Das OLG bestimmt, dass die Hauptverhandlung nun vor der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts durchgeführt werden muss.
Jahr für Jahr erinnern Menschen bis heute an das Unglück in der Stadt - wie hier bei einem Trauermarsch durch den Katastrophen-Tunnel am 24. Juli 2017.
Gedenkveranstaltung zum Loveparade-Unglück - sieben Jahre später. Nun beginnt die juristische Aufarbeitung der Ereignisse vom 24. Juli 2010.
Die Verhandlung findet aus Platzgründen in einem Saal des Kongresszentrums Düsseldorf statt, in den 500 Menschen passen.
Eingang zum Verhandlungssaal: Angeklagt sind vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent und sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg. Sie müssen sich wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verantworten.
Das Loveparade-Verfahren könnte einer der umfangreichsten Prozesse der Nachkriegszeit werden. Die zehn Angeklagten werden von rund 30 Verteidigern vertreten. Der Anklage haben sich rund 60 Nebenkläger angeschlossen. Für sie setzen sich weitere 35 Anwälte ein. Zudem werden zahlreiche Pressevertreter erwartet.