Überlebender der Love-Parade-Katastrophe "Ich bin wahnsinnig enttäuscht"

Manfred Bauknecht überlebte die Love Parade von Duisburg. Dass der Strafprozess nun nicht eröffnet wird, ist für den 33-jährigen Nebenkläger völlig unverständlich.
Manfred Bauknecht

Manfred Bauknecht

Foto: Privat

Duisburg war nicht seine erste Love Parade. Manfred Bauknecht war immer wieder zu großen Techno-Events gefahren, jedenfalls bis zu jenem 24. Juli 2010: Mit einer Mitfahrgelegenheit kam der damals 27-jährige Lehramtsstudent aus Stuttgart ins Ruhrgebiet, um zu feiern, zu tanzen, zu genießen. Es wurde die schlimmste Party seines Lebens.

"Ich stand mitten im Gedränge im Tunnel vor einer Treppe, als die Massenpanik ausbrach", sagt er heute über die tödliche Katastrophe vor sechs Jahren. "Ich war eine Stunde lang eingequetscht in der Masse, verdrehte mir mein Knie und hatte später Probleme mit den Zähnen - aber ich lebe noch." 21 andere überlebten die Techno-Party nicht, mindestens 652 wurden verletzt. Wie konnte es dazu kommen, hätten die Planer die Katastrophe verhindern können?

Ein Gerichtsverfahren sollte diese Fragen beantworten, doch der Prozess ist vorerst geplatzt: Das Landgericht Duisburg lehnt die Eröffnung des Hauptverfahrens ab, vor allem wegen eines umstrittenen Gutachtens.

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Selbst die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen äußerte Unverständnis darüber - wenn auch als Privatperson: "Als Mensch Hannelore Kraft, die seit Jahren Kontakt hält, Verbindung hat - zum Teil sehr enge Verbindungen - zu den Familien der Opfer und zu den Betroffenen muss ich sagen, fällt mir das außerordentlich schwer, diesen Beschluss zu begreifen." Kraft hatte 2010 selbst stundenlang um ihren damals 17-jährigen Sohn und dessen Freunde gebangt, die auf der Loveparade feierten.

Für Lehramts-Referendar Bauknecht ist die Entscheidung ein schwerer Rückschlag: "Ich bin wahnsinnig enttäuscht, dass diese Tragödie nun wohl nicht aufgearbeitet wird", sagt er.

Was Bauknecht im Juli 2010 in Duisburg erlebte, wird er wohl nie vergessen: "Als sich das Gedränge endlich auflöste und ich aus dem Tunnel rauskam, lagen da die Leichen vor mir", sagt er. "Ich habe noch versucht, einige zu reanimieren, aber es ging nicht mehr. Gerade hatten sie noch gefeiert, nun lagen sie tot vor mir. Sie haben wegen einer Fehlplanung ihr Leben verloren - das kann doch nicht sein!"

Er ärgere sich vor allem darüber, dass gegen die in seinen Augen Hauptverantwortlichen gar nicht ermittelt werde: der damalige Bürgermeister Adolf Sauerland, die Landesregierung, der Veranstaltungsorganisator Rainer Schaller - niemand von ihnen war nach dem Unglück angeklagt worden. Die juristische Aufarbeitung sei lediglich eine Fortsetzung der eigentliche Katastrophe, sagt Bauknecht.

Die jetzt gefällte Entscheidung, sagt Bauknecht, sende ein fatales Signal: "Wenn etwas schief geht und Menschen sterben, gibt's einen öffentlichen Aufschrei - aber dann wächst Gras darüber und niemand muss sich dafür verantworten." Zukünftige Politiker und Verwaltungschefs könnten sich nun sagen: "Ach, damals bei der Love Parade haben sie doch auch niemanden für schlechte Planung bestraft."

Zumindest auf zivilrechtlichem Wege können einige Betroffene noch auf Erfolge vor Gericht hoffen: Im Mai beginnen vor dem Landgericht Duisburg die nächsten Verfahren, bei denen Opfer Schmerzensgeld von den Verantwortlichen verlangen. Geklagt haben dem Gericht zufolge eine 48-Jährige aus Essen und eine 30-Jährige aus Melle bei Osnabrück. Beide waren in dem Gedränge auf der Love Parade verletzt worden.

Bauknecht ist nur als Nebenkläger im Strafverfahren beteiligt, die Hoffnung auf eine strafrechtliche Aufarbeitung der Katastrophe hat er nicht ganz verloren: "Die Richter müssen sich doch die Geschichten der Täter und Opfer anhören."

Die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde gegen die Gerichtsentscheidung eingelegt. Nun muss das Oberlandesgericht Düsseldorf entscheiden.

Sollte es tatsächlich noch zum Prozess kommen, würde Bauknecht sich wieder ins Auto setzen und nach Duisburg fahren - so wie im Juli 2010.

Mit Material von dpa
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