Mai-Krawalle Randalierer attackierten Polizisten mit Gas

Fast 500 verletzte Beamte und 350 festgenommene Personen - die jüngsten Berliner Mai-Demonstrationen arteten zu einem Gewaltexzess aus. Inzwischen ist klar: Erstmals wurden die Polizisten dabei auch mit chemischen Waffen angegriffen.

Hamburg - Es geschah am Abend des 1. Mai, irgendwann zwischen 23 und 1 Uhr nachts. In der Kreuzberger Adalbertstraße, unweit des in Berlin "Kotti" genannten Platzes am Kottbusser Tor, richteten Unbekannte eine neuartige Waffe gegen die Beamten der 14. Einsatzhundertschaft. Eine Granate zündete auf dem Pflaster, gelblicher Rauch entwich und 47 Polizisten wurden verletzt.

Mai-Krawalle in Kreuzberg: Erster Angriff mit Gasgranate

Mai-Krawalle in Kreuzberg: Erster Angriff mit Gasgranate

Foto: Carsten Koall/ Getty Images

Eine "Erkenntnisanfrage" des Berliner Landeskriminalamts ergab inzwischen, dass eine derartige Chemiekeule zum ersten Mal gegen Polizisten eingesetzt wurde.

Nach vorläufigen Ermittlungen des Staatsschutzes habe es sich bei der Granate um einen vermutlich mit Reizgas befüllten "Nebelwurfkörper" gehandelt, sagte Thomas Neuendorf, Sprecher der Berliner Polizei, SPIEGEL ONLINE.

Um die verwendete Substanz genau bestimmen zu können, sollen Kriminaltechniker nun die Overalls der betroffenen Beamten untersuchen. Die Polizisten hätten Reizungen der Augen und Gesichtsschleimhäute erlitten sowie über Übelkeit und Schwindelgefühle geklagt, sagte Neuendorf. Sie hätten jedoch den Einsatz nicht abgebrochen. Auch habe keiner von ihnen die angebotene ärztliche Nachsorge in Anspruch genommen.

"Neue Qualität der Aggression"

Polizeigewerkschafter erkennen in der Attacke dennoch eine "neue Qualität der Aggression", wie der Berliner GdP-Bezirksvorsitzende Eberhard Schönberg sagte: "Die Störer haben deutlich aufgerüstet." Auch der DPolG-Bundesvorsitzende Rainer Wendt empörte sich: "In Berlin traute man sich nicht, Wasserwerfer einzusetzen und die Vandalen auf Abstand zu halten. Unsere Leute wurden verheizt."

Bei den Ausschreitungen am 1. Mai waren 479 Polizisten verletzt und 350 Personen festgenommen worden. Beteiligte Beamte erhoben hinterher schwere Vorwürfe gegen die Polizeiführung. Zwei Hamburger Bereitschaftspolizisten klagten in der "Welt": "Die Nacht (…) gehört zu den schlimmsten Einsätzen unserer Laufbahn. Es gab keine Strategie, keine Kommunikation und viele Verletzte." Und einer ihrer Berliner Kollegen sagte: "Wir wurden bespuckt, beleidigt, beworfen, bedroht. (…) Doch wir durften nicht reagieren."

Dieter Glietsch, Polizeipräsident der Hauptstadt, hatte das Vorgehen hingegen verteidigt. Es werde eine "politisch motivierte Kampagne gegen die Polizei gefahren", sagte er dem "Tagesspiegel", und "eine bewährte Einsatzkonzeption diskreditiert". Wasserwerfer hätten in ausreichender Anzahl bereit gestanden, sie seien jedoch nicht angefordert worden.

Gewalt gegen Polizisten

Die Berliner Ausschreitungen waren in ihrer Exzessivität vielleicht extrem, doch sie scheinen beispielhaft für ein generelles Problem: In Deutschland gibt es immer mehr Gewalttaten gegen Polizisten. Die aktuelle Kriminalstatistik, die am Montag in Berlin vorgestellt wird, verzeichnet eine deutliche Häufung von Widerstandshandlungen gegen Beamte, wie SPIEGEL ONLINE an diesem Freitag erfuhr.

In Hamburg und Bremen stieg die Zahl der Angriffe demnach sogar um jeweils etwa 20 Prozent. Bundesweit registrierten die Behörden im vergangenen Jahr rund 28.300 Fälle von "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte", wie die Rangeleien, Schlägereien und körperlichen Auseinandersetzungen im Strafgesetzbuch heißen.

Die Brutalität gegenüber Amtspersonen wird inzwischen erstmals wissenschaftlich untersucht. Das beschlossen die Innenminister der Länder in der vergangenen Woche und reagierten damit auf Forderungen der Polizeigewerkschaften.

"Die Ursachen des Phänomens sind bekannt: gescheiterte Integration, vernachlässigte Erziehung, berufliche Perspektivlosigkeit. Wir müssen endlich handeln", hatte der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg bereits im Januar SPIEGEL ONLINE gesagt.

Auch DPolG-Chef Wendt forderte seinerzeit Konsequenzen. Der Staat habe eine besondere Verantwortung für diejenigen, die sich seinem Schutz verschrieben hätten. "Es muss eine Mindesthaftstrafe für Gewalt gegen Polizisten geben", so Wendt. Noch stünden auf "Widerstand gegen Polizeibeamte" lediglich bis zu zwei Jahre Haft, ebenso viel wie beispielsweise auf Fischwilderei. "Das ist ein unhaltbarer Zustand."

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