Mammutprozess
Drahtzieher aus Kinderporno-Szene will aussagen
In einem der bundesweit größten Prozesse um Kinderpornografie stehen neun Männer in Darmstadt vor Gericht. Jahrelang sollen sie "unvorstellbar harte" Porno-Bilder und -Videos von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen im Internet ausgetauscht haben. Einer der Drahtzieher will gestehen.
Angeklagt: Neun Männer müssen sich in Darmstadt wegen Kinderpornografie verantworten
Foto: ALEX DOMANSKI/ REUTERS
Darmstadt - In Kinderporno-Foren trugen sie Tarnnamen wie "Lumpi" und "Waldmeister" und schotteten sich ab. Sie fühlten sich in der anonymen Welt des Web sicher. In den "Chats" und "Boards" genannten Netzwerken sollen massenweise Bilder und Videos ausgetauscht worden sein, die auch Vergewaltigungen sowie Fesselungs- und Folterszenen zeigen.
Mehrere Stunden lang verlasen zwei Staatsanwälte zum Prozessauftakt in Darmstadt die 162 Seiten umfassende Anklageschrift. Die Beschuldigten sollen zwischen 2006 und 2009 streng geheime Treffpunkte im Internet organisiert haben, sagte Oberstaatsanwalt Rainer Franosch vor dem Landgericht. Es ist einer der bundesweit größten Prozesse um Kinderpornografie.
"Das waren keine harmlosen Nacktbildchen", sagte Franosch. Die sichergestellten Dateien seien "unvorstellbar hart". Die Opfer: Säuglinge, Kinder und Jugendliche. Die sexuellen Handlungen reichten bis hin zu Masturbation und Geschlechtsverkehr. Ein Teil des Materials stamme aus Deutschland, so der Jurist.
Sechs Angeklagte sitzen in Untersuchungshaft
Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft verschafften sich rund 500 Pädophile Zugang zu den Links, die auf den von den Angeklagten betriebenen Servern lagen. Etwa 140 von ihnen wurden ermittelt. Gegen sie liefen gesonderte Verfahren, hieß es. Die neun Angeklagten im Alter zwischen 30 und 58 Jahren kommen aus mehreren Bundesländern. Sechs von ihnen sitzen wegen Verdunklungsgefahr in Untersuchungshaft.
Einer der Hauptangeklagten muss sich zudem wegen des mehr als 20fachen mitunter schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verantworten. Eines seiner früheren Opfer, eine junge Frau, saß mit im Gerichtssaal. Sie tritt gegen ihren Peiniger als Nebenklägerin auf. Der 57-jährige Angeklagte reagierte geschockt auf die Anwesenheit der Frau. Mit einem umfangreichen Geständnis werde er der Nebenklägerin eine Aussage ersparen, sagte sein Verteidiger.
Im Internet habe sich die Bande vollkommen von der Polizei abgeschottet, erklärte Oberstaatsanwalt Franosch. Sie nutzten Chatrooms und einen Server aus Ungarn. "Die Treffpunkte konnten selbst mit Suchmaschinen wie Google nicht gefunden werden." Für die streng hierarchisch aufgebauten Treffs seien Bezeichnungen wie "Zauberwald" und "Sonneninsel" gewählt worden.
Anonymer Hinweis lässt Bande auffliegen
Web-Administratoren erteilten stufenweise Zugriffsrechte, die für die Nutzer nur durch die Lieferung weiterer, neuer Links zu erlangen waren. Die Server-Adressen waren nur durch direkte Eingabe zu erreichen. Die in Darmstadt Angeklagten sollen ausnahmslos Administratoren gewesen sein.
Das Material war weltweit verfügbar. Wer dazugehören wollte, habe erst einmal eine Art Aufnahmeprüfung bestehen müssen - "eine Keuschheitsprobe ablegen", nannte dies ein Ermittler. Je mehr pornografisches Material herbeigeschafft wurde, umso höher sei ein Nutzer in der Hierarchie geklettert. Um Geld sei es allerdings nicht gegangen.
Die Bande war nach einem anonymen Hinweis vor einem Jahr aufgeflogen. Die Ermittler schlugen mit 160 zeitgleichen Razzien in ganz Deutschland zu und stellten allein bei einem der Angeklagten über 66.000 Dateien mit kinderpornografischem Inhalt sicher.
Einer der Hauptangeklagten kommt aus Wald-Michelbach, daher wird in Darmstadt verhandelt. Bis Mitte Dezember sind fast zwei Dutzend Verhandlungstage geplant.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, die Richter hätten die Anklageschrift verlesen. Es waren jedoch zwei Staatsanwälte. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.