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Fotostrecke: Wie Anders Behring Breivik im Internet posiert

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Massenmord in Norwegen Attentäter begründet Bluttat mit krudem Menschenhass

Kaltblütig tötete Anders Breivik seine Opfer auf der Insel Utøya und in Oslo. Jetzt rechtfertigt der Attentäter seine Gräueltaten mit wirren Begründungen: Er habe Europa vor "Marxismus und Islamisierung" retten wollen. Kurz vor den Anschlägen verschickte er per E-Mail eine 1516 Seiten starke Schrift.

Oslo/Hamburg - Anders Behring Breivik hat seine Gräueltaten in Oslo und auf der Ferieninsel Utøya teilweise gestanden. Das berichtete der Anwalt Geir Lippestad am Sonntagmorgen im Fernsehsender TV2. Er war als Breiviks Verteidiger bestellt worden.

Breivik war in der Nacht zum Sonntag verhört worden. Stundenlang habe man ihm "das unglaubliche Ausmaß des Schadens und die Zahl der Toten erklärt", sagte Lippestad. Die Reaktion des vielfachen Mörders war nach Angaben des Anwalts enorm kaltblütig. Er habe die Tötungen "als grausam, aber notwendig erachtet", sagte Lippestad.

Breivik hatte am Freitag auf der norwegischen Ferieninsel Utøya mindestens 85 junge Menschen regelrecht hingerichtet. Er hatte sich als Polizist ausgegeben und plötzlich das Feuer auf die zahlreichen Jugendlichen eröffnet, die sich wegen eines Sommerlagers der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF auf der Insel befanden. Anderthalb Stunden lang massakrierte er seine Opfer, dann stellte er sich freiwillig den Anti-Terror-Spezialisten der Polizei. Kurz zuvor hatte Breivik im Regierungsviertel in Oslo eine Autobombe gezündet; die Explosion riss mindestens sieben Menschen in den Tod.

Breivik sagte, er habe die Anschläge allein ausgeführt, auch die norwegische Polizei teilte mit, es gebe keine weiteren Verdächtigen. Breiviks genaue Begründung für die Taten wollte der Anwalt nicht wiedergeben, ehe er sie nicht noch einmal genau durchdacht habe. Die Ausführungen des Attentäters seien zum Teil unverständlich gewesen. "Es ist ausgesprochen schwer für mich, eine vernünftige Zusammenfassung von dem zu geben, was er in dem Verhör gesagt hat."

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Doppelanschlag in Norwegen: Schießerei in Jugendcamp, Bombe in Oslo

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Dem norwegischen Geheimdienst PST soll der nach dem Massaker auf der Insel Utøya festgenommene Anders Breivik bis zu den Anschlägen völlig unbekannt gewesen sein, berichteten die Zeitungen "VG" und "Dagbladet" unter Berufung auf mehrere Quellen. Seine Anschläge hatte der Attentäter aber offenbar angekündigt - und auf wahnhafte Weise begründet.

Die Welt "vor Kulturmarxismus und Islamisierung retten"

Wenige Stunden vor dem ersten Anschlag habe Breivik eine E-Mail an mehrere Adressaten verschickt, berichtet der TV-Sender NRK in Oslo. In dieser befand sich eine Schrift. Titel: "2083. A European Declaration of Indepence". Zu Deutsch: "2083. Eine europäische Unabhängigkeitserklärung". Der Text ist mit dem Pseudonym Andrew Berwick unterschrieben.

Die Schrift, auf deren Deckblatt das Kreuz des Templerordens  zu sehen ist, kursiert inzwischen im Internet. Auf 1516 Seiten, in 778.242 Wörtern wird dort eine krude Theorie ausgebreitet. Er habe Europa "vor Kulturmarxismus und Islamisierung retten" wollen, schreibt Breivik darin.

Das Dokument ist teilweise als Tagebuch geführt, teils umfasst es Anleitungen zum Bombenbau, teils beschreibt es die Islamfeindlichkeit des Autors. Es enthält ein Interview, in dem Breivik sich selbst befragt, unter anderen zu seiner eigenen Kindheit und seiner Familie. Er beschimpft seinen Stiefvater als "primitives sexuelles Biest", das die meiste Zeit "mit Prostituierten in Thailand" verbringe, der aber gleichzeitig ein "guter, liebenswerter Mensch" sei.

Das Dokument enthält außerdem einen Lebenslauf, in dem Breivik unter anderem Firmen aufzählt, die er nach eigenen Angaben zur Finanzierung seines politischen Wirkens gegründet hat - und deren Einnahmen "auf unkonventionellem Weg" nach Norwegen geleitet wurden: über eine Firma mit Sitz in Antigua.

"Ich werde als das größte (Nazi-)Monster beschrieben werden, das es seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat", schreibt Breivik auf Seite 1436. "Nicht nur werden all meine Freunde und Familienangehörige mich verabscheuen, die vereinigten globalen multikulturalistischen Medien werden alle Hände voll zu tun haben, einen Weg zu finden, um mich zu dämonisieren." Er habe "eine extrem starke Psyche", schreibt Breivik, "stärker als irgendjemand, den ich je gekannt habe". Dennoch sei es "biologisch möglicherweise unmöglich", die Konsequenzen seiner Taten zu überleben. "Ich denke, ich werde warten müssen und es herausfinden."

Spuren, überall im Netz

Bereits zuvor waren Spuren im Internet aufgetaucht. Breivik hatte sie offenbar gezielt im Netz hinterlassen. Auf seiner Facebook-Seite, die er erst am 17. Juli 2011 angelegt hatte, bezeichnete er sich selbst als konservativ, christlich, Jäger, Video-Spieler und Freimaurer. Seine Lieblingsbücher seien unter anderem John Stuart Mills "On Liberty", Richard Rortys "Consequences of Pragmatism" sowie Kafkas "Der Prozess", heißt es in dem Profil.

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Anders Behring B.: Das Web und der Massenmörder

Foto: Getty Images/ Facebook

Seine erste und einzige Twitter-Nachricht, die Anders Breivik ebenfalls am 17. Juli absetzte, knüpft all das an ein Bekenntnis: "One person with a belief is equal to the force of 100.000 who have only interests." Zu Deutsch in etwa: Ein Mensch mit starkem Glauben ist so stark wie 100.000 Menschen, die nur Interessen haben.

Norwegische Medien schrieben dem Verdächtigen auch ein Video auf der Internetplattform YouTube zu. In dem zwölf Minuten langen Film seien mehrere Bilder von Breivik zu sehen gewesen, darunter eins, auf dem er mit einem Sturmgewehr posiert.

"Bevor wir unseren Kreuzzug beginnen können, müssen wir unsere Pflicht tun, indem wir den kulturellen Marxismus dezimieren", hieß es in einem Text zu dem Film, der am Freitag veröffentlicht worden sei. YouTube habe den Film am Samstag gelöscht. Die Zeitung "Dagbladet" berichtete, das Video sei eine Zusammenfassung des Breivik zugeschriebenen Manifests.

Kritik an Polizei nimmt zu

Breivik soll am Montag angeklagt werden. Dann wird ein Gericht darüber entscheiden, ob er während der Dauer der Ermittlungen in Untersuchungshaft bleiben muss.

Bereits jetzt aber muss sich die norwegische Polizei wegen ihres Einsatzes verantworten. Fast 90 Minuten hatte Breivik Zeit, auf Utøya seine Gräueltaten zu verrichten. Erst dann stoppte ihn ein Sondereinsatzkommando. Die Einsatzkräfte waren per Auto in die Nähe der Insel gefahren - was 20 Minuten dauerte - und mussten dann noch per Boot auf die Insel übersetzen - was noch einmal 20 Minuten dauerte. Auf die Frage, warum die Polizei nicht per Helikopter auf die Insel geflogen sei, antwortete Polizeichef Sveinung Sponheim, der Hubschrauber sei nicht einsatzbereit gewesen.

Die Polizei war zudem offenbar auf Unregelmäßigkeiten hingewiesen worden. Bis zu 5000 Kilogramm Düngemittel soll Breivik erworben haben, zumindest einen Teil verwendete er, um Sprengstoff herzustellen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AP hatte ein Geschäft die Polizei wegen des Großeinkaufs von Düngemitteln alarmiert.

ssu/AP/AFP/dpa/dapd/Reuters
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