WhatsApp-Nachrichten an Mädchen Warum im Polizeiskandal von Mecklenburg niemand angeklagt wird

Drei Polizisten schrieben Minderjährige auf WhatsApp an: Eine Behördenaffäre in Mecklenburg löste Empörung aus, doch die Konsequenzen sind bislang überschaubar. Nun wird klar, woran das liegt.
Polizeieinsatz in Schwerin (Archivbild): Nachrichten mit "teilweise sexuellen Bezügen"

Polizeieinsatz in Schwerin (Archivbild): Nachrichten mit "teilweise sexuellen Bezügen"

Foto: Stefan Sauer/ DPA

Die Generalstaatsanwaltschaft sprach von "unerfreulichen Vorgängen", der Linken-Abgeordnete Peter Ritter zeigte sich "fassungslos": In Mecklenburg-Vorpommern haben mehrere Polizeibeamte ihre dienstliche Position missbraucht, um minderjährige Mädchen zu kontaktieren.

Fragwürdig an den Fällen ist nicht nur die Art der Kontaktaufnahme über WhatsApp, sondern auch der Inhalt der verschickten Nachrichten: Im Bericht des Landesdatenschutzbeauftragten, der den Fall publik gemacht hatte, ist unter anderem von "sexuellen Avancen" und Nachrichten "in bedrohlicher Form" die Rede.

Es kam zu Bußgeld- und Disziplinarverfahren, die teilweise noch laufen, zudem schalteten sich die Staatsanwaltschaften in Schwerin und Rostock ein. Doch in keinem einzigen Fall wurden die Ermittlungen fortgeführt, niemand muss in der Affäre mit einer Anklage rechnen. Inzwischen haben die Staatsanwälte alle Fälle erneut geprüft - und nun wird klarer, warum es keine härteren Sanktionen gibt. (Erfahren Sie hier mehr über die Hintergründe. )

Fall 1: "Sexuelle Avancen" an eine 13-Jährige

Es ist der vielleicht empörendste der drei Fälle: Im Raum Schwerin schickte im November 2017 ein Polizeibeamter, damals fester Teil einer Abteilung zur Aufklärung von Sexualdelikten, einer jungen Zeugin WhatsApp-Nachrichten. Der Datenschutzbeauftragte Heinz Müller sprach von "sexuellen Avancen", die Generalstaatsanwaltschaft von einem "länger andauernden Nachrichtenwechsel" mit "teilweise sexuellen Bezügen".

Landesdatenschutzbeauftragter Heinz Müller

Landesdatenschutzbeauftragter Heinz Müller

Foto: Stefan Sauer/ DPA

Das Mädchen war Zeugin in einem Missbrauchsfall, der sich in ihrem Umfeld zugetragen hatte, das Opfer eine Freundin. Der zuständige Polizist soll inzwischen dienstlich nicht mehr mit Sexualdelikten zu tun haben, ansonsten gab es bislang aber keine Konsequenzen für ihn - einzig das Ergebnis eines Disziplinarverfahrens steht noch aus.

Weil er sich die Telefonnummer des Mädchens unter dem Vorwand erschlichen hatte, wegen des Missbrauchsverfahrens möglicherweise noch einmal anrufen zu müssen, verhängte der Datenschutzbeauftragte ein Bußgeld von 1500 Euro. Das jedoch muss der Polizist nicht zahlen.

Das liegt daran, dass im Bußgeldbescheid versehentlich die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) als Grundlage angegeben wurde - die jedoch zum Zeitpunkt der Ordnungswidrigkeit noch nicht in Kraft war. Der Bescheid hätte auf das damals noch geltende Datenschutzgesetz verweisen müssen.

Ein Formfehler mit Folgen: Auf eine Beschwerde des Polizisten hin annullierte das Amtsgericht Schwerin den fehlerhaften Bescheid. "Auch bei uns passieren Fehler", sagt der Datenschutzbeauftragte Heinz Müller merklich zerknirscht dem SPIEGEL. Der formal ungültige Bescheid dürfe nun auch nicht durch einen korrekten ersetzt werden. Müller sagt: "Er ist uns durch die Maschen geschlüpft."

Amtsgericht Schwerin: "Keine strafrechtlich relevanten Grenzüberschreitungen"

Amtsgericht Schwerin: "Keine strafrechtlich relevanten Grenzüberschreitungen"

Foto: Jens Büttner/ZB/dpa

Den eigentlichen Vorwurf bestreitet der Polizist demzufolge bis heute nicht - warum also wurde kein Strafverfahren eingeleitet? Weil die Staatsanwaltschaft keinen Anfangsverdacht sah, also keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Straftat.

Diese Einschätzung ist der Generalstaatsanwaltschaft zufolge nicht zu beanstanden: Der Beamte habe offenbar gewusst, wo genau die Grenze zur Strafbarkeit liege. "Der hat seine Chancen ausgelotet, und das geht natürlich gar nicht", sagt Oberstaatsanwalt Martin Fiedler. "Aber es gab keine strafrechtlich relevanten Grenzüberschreitungen."

Fall 2: "Fotoshooting" mit einer 15-Jährigen

Ein Fall aus dem Raum Rostock stellt sich mittlerweile etwas anders dar als anfangs angenommen: Im Februar 2018 hatte sich ein Beamter im polizeilichen Vorgangsystem die Telefonnummer einer 15-Jährigen besorgt und sie zu einem Fotoshooting eingeladen.

Die Jugendliche hatte wenige Tage zuvor Anzeige erstattet, weil jemand gegen ihren Willen Aufnahmen von ihr beim Geschlechtsverkehr online veröffentlicht hatte. Der Polizist lernte das Mädchen auf der Wache kennen, stellte sich als Hobbyfotograf vor - und traf sich nach telefonischer Verabredung schließlich mit der 15-Jährigen zum Shooting.

Der Beamte machte Porträtfotos von der offenbar psychisch instabilen Jugendlichen, eines davon lud er auf Instagram hoch. Der Datenschutzbeauftragte Müller hatte auch in diesem Fall von "Avancen" gesprochen, laut Generalstaatsanwaltschaft gab es aber keinerlei sexuelle Konnotationen: "Es handelte sich um ein Fotoshooting weder erotischen noch sexuellen Inhalts", sagt Oberstaatsanwalt Fiedler. "Das ist selbstverständlich abwegig, aber strafrechtlich nicht relevant."

Selbst einen Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz wegen der Veröffentlichung eines Fotos auf Instagram könne nicht weiterverfolgt werden, wie Fiedler sagt: Es handele sich dabei um ein sogenanntes Antragsdelikt, bei dem ausschließlich Betroffene selbst einen Antrag auf Strafe stellen können - und das habe die 15-Jährige nicht getan.

Lediglich ein Bußgeld von 800 Euro, das Müller verhängt hatte, musste der Polizist bezahlen.

Fall 3: Chat "in bedrohlicher Form" mit einer 16-Jährigen

Im dritten Fall soll ein Polizist im November 2018 versucht haben, ein Strafverfahren gegen seinen eigenen Sohn zu verhindern. Dessen 16-jährige Ex-Freundin hatte Anzeige erstattet, weil der Sohn angeblich sie und ihren Vater bedrohte, nachdem sie mit dem Jungen Schluss gemacht hatte. Müller zufolge besorgte sich der Beamte ihre Kontaktdaten und drängte sie per WhatsApp "in bedrohlicher Form" und "mit dem Hinweis auf seine Dienststellung" dazu, die Anzeige zurückzuziehen.

Die Generalstaatsanwaltschaft stellt den Fall nun jedoch in zentralen Punkten anders dar: Demnach ist unklar, wie genau der Polizist von der Strafanzeige erfahren habe; möglicherweise habe sein Sohn selbst ihm dies berichtet. Zudem finde sich im Chatverlauf des Polizisten mit der Jugendlichen "weder ein Hinweis auf dessen Dienststellung noch ein nötigender oder sonst strafrechtlich relevanter Inhalt".

"Insbesondere enthalten die Nachrichten keine Bemerkungen oder Aussagen, die auf eine etwa beabsichtigte Verhinderung der Verfolgung seines Sohnes wegen einer Straftat hinweisen würden", heißt es in einer Mitteilung der Staatsanwälte. Ermittler Fiedler sagt: "Ich kann den Vorwurf, der dem Beamten da gemacht wurde, so nicht nachvollziehen." Es sei daher richtig gewesen, die strafrechtlichen Ermittlungen einzustellen. Das Verfahren des Datenschutzbeauftragten läuft noch.

Abgehakt sind die Vorgänge damit jedoch nicht: Die Angelegenheit beschäftigt ebenso wie die Affäre um Kontakte von mecklenburgischen Beamten in rechtsextreme Prepper-Kreise längst auch die Politik. "Die Reihe von Vorkommnissen in der Landespolizei bedarf öffentlicher Aufklärung, auch um einen Generalverdacht gegenüber der Landespolizei nicht verfestigen zu lassen", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Landtag, Peter Ritter. Seine Fraktion werde einen Dringlichkeitsantrag für eine Aussprache  zu den Skandalen vorlegen.

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