Mediziner als Attentäter Britische Fahnder jagen die Terror-Doktoren

Die Ermittlungen in Großbritannien zeigen ein beunruhigendes neues Muster des Terrors: Viele der Festgenommenen lebten als unauffällige Mediziner im Land. Die "Doctors Of Death" bringen Tausende ausländische Ärzte unter Generalverdacht.

Glasgow - Es war nicht viel, was den Nachbarn im Neuk Crescent an Bilal A. aufgefallen war. Nur ab und zu sah man den jungen Mann vor seinem kleinen grauen Reihenhaus, manchmal wusch er seinen Wagen oder kam mit Einkaufstüten am Abend nach Hause. Was A. beruflich tat, wusste niemand so recht.

Doch darüber machten sie sich auch keine größeren Sorgen. Die grüne Kleidung und ein Stethoskop um seinen Hals identifizierten ihn eindeutig als Mediziner. Er hatte 2004 seine medizinische Ausbildung an einer Universität in Bagdad beendet, war dann nach Großbritannien gekommen. "Wenn ich ein medizinisches Problem gehabt hätte, wäre ich vielleicht mal zu ihm rüber gegangen", sagt eine Nachbarin. Wo er gearbeitet hat, wusste sie nicht. "Wer misstraut schon einem Arzt, der anderen hilft?"

Die Bilder von genau diesem Doktor A. fanden sich inzwischen auf so ziemlich jeder Titelseite der britischen Presse. Von zwei Polizisten gehalten, schaut er nach dem versuchten Anschlag auf den Flughafen Glasgow in die Kamera eines Amateurfilmers. Nur Minuten zuvor war er mit dem grünen Jeep Cherokee neben einem noch nicht identifizierten Mann auf dem Beifahrersitz in die Eingangshalle des Terminal 1 gerast. Sein Komplize wurde schwer verletzt bei dem missglückten Anschlag, für den die Attentäter den Wagen mit Benzinkanistern und Gasflaschen beladen hatten.

Hätten die beiden Männer es in die Eingangshalle geschafft, wären vermutlich Hunderte Urlauber und Geschäftsreisende gestorben.

Egal ob seriös oder alarmistisch, alle britischen Blätter machen am Mittwoch mit einem Thema auf: den "Doctors of Death", den Ärzten des Todes. Denn Doktor A. ist nicht der einzige Arzt unter den Verdächtigen von London und Glasgow. Vielmehr schwant es britischen Terror-Ermittlern nach drei Tagen Recherche, dass die gesamte Aktion von ausländischen Medizinern geplant wurde, die nach Großbritannien gekommen waren und zuvor niemandem aufgefallen waren.

So absurd sich der Verdacht einer terroristischen Mediziner-Zelle am Anfang anhörte, so konkret sind inzwischen die Hinweise auf einen Zusammenhang mit dem Beruf der mittlerweile acht Festgenommenen. So verdächtigen die Behörden vor allem einen Palästinenser mit jordanischem Pass als Drahtzieher. Doktor Mohammed A. war am Samstag auf der Autobahn M6 gemeinsam mit seiner Frau festgenommen worden. Spuren aus den beiden nicht explodierten Autos in London führten zu dem Neurologen, der in den Midlands als Arzt arbeitete und auch ein Büro in einer Klinik nahe Glasgow hatte. Er wird zurzeit in London verhört.

War das Krankenhaus der Treffpunkt?

Stück für Stück puzzelten die Ermittler nach der Festnahme das Bild eines ganzen Netzes von Medizinern zusammen, die mit den Anschlägen in Verbindung stehen sollen. So nahmen sie in Liverpool einen weiteren Arzt fest, einen 27-Jährigen. Am Montag wurden am Royal Alexandra Hospital, nur wenige Meilen vom Flughafen Glasgow, zwei weitere Männer festgenommen. Beide sind ebenfalls Mediziner, die in der Klinik arbeiteten. Wenig später meldeten die australischen Behörden im Zusammenhang mit den britischen Ermittlungen die Festnahme eines weiteren Mannes. Auch dieser Mann, der 27-jährige Inder Mohammed H., ist Arzt und wollte sich offenbar mit einem One-Way-Ticket nach Pakistan aufmachen.

Immer wieder die Frage: Wem soll man noch trauen können, wenn nicht einem Arzt?

Mittlerweile erscheint das Royal Alexandra Hospital, ein riesiger Betonklotz in der Ortschaft Paisley, als zentraler Punkt der Ermittlungen. Wie bittere Ironie wirkt es da, dass der Fahrer des Glasgower Jeeps nun genau hier wegen seiner schweren Verbrennungen behandelt wird.

Die Klinik ist seit Samstag abgeriegelt, Patienten wurden verlegt, das Personal umgehend verhört. Denn genau hier, nur einige Meilen vom Flughafen entfernt, arbeitete auch Doktor Bilal A. Mehr und mehr scheint es, dass sich die Beteiligten hier getroffen haben könnten. Vielleicht wurden die Anschläge sogar hier geplant, sagen Ermittler.

Insgesamt sind bis zu zwölf Ärzte unter Verdacht

Die Nachrichten über die mutmaßlichen Terroristen mit Doktortitel oder medizinischer Ausbildung lösen in Großbritannien helle Aufregung aus. Die renommierte "Financial Times" spricht schon von einem "Netzwerk ausländischer Doktoren". Das Boulevardblatt "Daily Mail" will von Sicherheitsbehörden erfahren haben, dass insgesamt zwölf Mediziner in Großbritannien unter Terror-Verdacht stehen.

Doch die Öffentlichkeit schockiert zunächst ein ganz anderer Punkt der spektakulären Enthüllungen: Helfer in weißen Kitteln, denen man als Patient 100-prozentig vertraut, können zu Mördern werden. Das können viele nicht fassen. Die allgegenwärtige Frage in den Medien: Wem soll man überhaupt noch trauen können, wenn nicht einem Arzt?

Weitere Fragen schließen sich an: Werden Mediziner aus dem Nahen Osten, die in England leicht Arbeit finden, ausreichend kontrolliert? Haben Terrorgruppen eine Lücke gefunden in den Sicherheitskontrollen, die nach den Anschlägen 2005 errichtet wurden?

Vor allem aber fragen sich nicht nur die Medien, ob das nun aufgedeckte Netz der Mediziner einmalig ist - oder noch weitere "Doctors Of Death" auf ihren Einsatz warten.

So viel ist sicher: Mediziner aus dem Nahen Osten dürften nun unter die Lupe genommen werden wie vor zwei Jahren die sogenannten Home grown terrorists - Terroristen, die in Großbritannien radikalisiert wurden und nicht im Ausland.

Die britische Gesundheitsverwaltung NHS musste eingestehen, dass ausländische Doktoren zwar auf ihre berufliche Eignung und auf Straftaten überprüft werden. Doch eine Kontrolle auf mögliche Kontakte zu Terrorgruppen wurde bisher nicht für nötig gehalten. Ob die Checks vor der Visa-Vergabe bei Medizinern so streng sind wie zum Beispiel bei Studenten, ist unklar; auch eindeutige Zahlen fehlen. Geschätzt wird, dass insgesamt rund 6000 Ärzte aus dem Nahen Osten in Großbritannien arbeiten.

Mediziner bei den Militanten sind nicht ungewöhnlich

Verbindungen von Medizinern oder Akademikern zu Terror-Organisationen sind allerdings nichts völlig Neues - die Annahme ist widerlegt, dass vor allem Arme und Ungebildete Terroristen werden. Ärzte im Dienste des Dschihad gab es schon öfter.

  • Osama Bin Ladens Stellvertreter Aiman al-Sawahiri ist Chirurg. Er entstammt der ägyptischen Terrorgruppe "Dschihad", die weitere Ärzte in ihren Reihen hat.
  • Der palästinensischen Hamas diente der Schilddrüsen-Spezialist Mahmud al-Sahar als Außenminister.
  • In einer Nachruf-Sammlung für gefallene irakische Dschihadisten findet sich auch die Geschichte eines saudischen Medizinstudenten, der seine Ausbildung abbrach, um Selbstmordattentäter zu werden.
  • In Süddeutschland galt der ägyptische Arzt Jahja Jusuf bis zur Rückkehr in sein Heimatland 2006 als wichtige Säule der hiesigen Islamistenszene. Er soll Verbindungen zur "Gamaa Islamija" haben.
  • In den USA wurde im Mai ein arabischstämmiger Arzt verurteilt, der versprochen hatte, al-Qaidas Verwundete zu behandeln.

Die Mediziner wagten sich allerdings eher selten auf das Schlachtfeld. Bisher galt als Regel, dass sie tendenziell in den Führungsetagen der militanten Islamisten-Organisationen sitzen und Attentäter anleiten - aber selber keine sind.

In Großbritannien scheint sich da etwas verändert zu haben.

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