Menschenrechtsgerichtshof
Russland wegen Theater-Erstürmung verurteilt
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Vorgehen der russischen Behörden während der Theater-Geiselnahme im Jahr 2002 scharf verurteilt. Die Rettungsaktion, bei der viele Zivilisten starben, sei "unsachgemäß" gewesen - Moskau soll über eine Million Euro Schadensersatz zahlen.
Paris - Es war eine Ausnahmesituation: Mehr als 40 tschetschenische Rebellen hatten am 23. Oktober 2002 das Dubrowka-Theater in Moskau gestürmt und rund 900 Zuschauer und Schauspieler als Geiseln genommen. Ihre Forderung: Der Rückzug der russischen Armee aus Tschetschenien. Nach drei Tagen beendete eine russische Spezialeinheit das Geiseldrama - mit Giftgas und Gewalt.
Alle Terroristen sowie 128 Geiseln kamen bei der Rettungsaktion ums Leben. Jetzt, knapp zehn Jahre später, rügte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Vorgehen der Behörden. Die Richter in Straßburg verurteilten Russland zur Zahlung von Schmerzensgeld an die 64 Kläger - Angehörige von Opfern und Überlebende - in Höhe von insgesamt 1,254 Millionen Euro.
Die Operation sei unzureichend geplant und nicht angemessen ausgeführt worden, hieß es in der Begründung. Die Behörden hätten gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Der Straßburger Gerichtshof kritisierte allerdings nicht den Einsatz von Giftgas, durch das die meisten Opfer ums Leben kamen - dies sei von den russischen Behörden angesichts der Gefahr, dass die Geiselnehmer Sprengstoff einsetzen konnten, als "geringeres Übel" angesehen worden. Bei den Rebellen habe es sich um "schwer bewaffnete und gut trainierte Terroristen" gehandelt, die offenbar zu allem bereit gewesen seien. Unter diesen Umständen sei der militärische Einsatz verhältnismäßig gewesen.
Die Richter rügten aber die mangelhafte Vorbereitung der Evakuierung und ärztlichen Versorgung der Opfer. Dass nach dem Einsatz viele Menschen ärztliche Hilfe benötigten, sei zu erwarten gewesen. Es habe weder klare Evakuierungspläne gegeben, noch eine ausreichende Koordination unter den Hunderten beteiligten Ärzten und Rettungskräften. Manche Geiseln seien mehr als zwei Stunden lang dem Giftgas ausgesetzt gewesen - bis zum Beginn der Evakuierung. Den Autopsie-Berichten zufolge starben die meisten Vergifteten auf dem Weg ins Krankenhaus oder kurz nach ihrer Ankunft.