
Mexiko: Ein Land im Griff der Gewalt
Mexiko Am Tatort lagen 4000 Projektile
Der Präsident hatte sich einen passenden Zeitpunkt ausgesucht, um dann doch einmal Entschlossenheit zu demonstrieren. Kurz vor seinem jährlichen Rechenschaftsbericht Anfang September entließ Enrique Peña Nieto den schon lange umstrittenen Chef der Policia Federal, Enrique Galindo.
Zuvor hatte die Nationale Menschenrechtskommission CNDH der Bundespolizei von Galindo vorgeworfen, bei einem Einsatz gegen mutmaßliche Mitglieder eines Drogenkartells ihre Gegner kaltblütig erschossen und hingerichtet zu haben.
Bei einem Gefecht zwischen Einheiten der Bundespolizei und Pistoleros des Kartells Jalisco Nueva Generación im Mai vergangenen Jahres starben im Bundesstaat Michoacán 42 Kartellmitglieder. Aber anders als von der Polizei behauptet, kamen diese nicht in einem Feuergefecht um. 22 wurden durch "unnötigen und überzogenen Einsatz von Gewalt" getötet, einige starben durch Schüsse in den Rücken, andere wurden aus einem Hubschrauber heraus erschossen. Weitere wurden in einem Haus getötet und verbrannt, wie die CNDH in einem Bericht schrieb. Am Tatort stellten die Ermittler später 4000 Projektile sicher.

Polizeieinsatz im Mai 2015
Foto: Str/ dpaIn der mexikanischen Öffentlichkeit wurden der Skandal und die folgende Entlassung des obersten Polizisten seltsam gleichmütig aufgenommen. Zu lang ist offensichtlich die Liste der Verbrechen, an denen staatliche Sicherheitskräfte beteiligt sind: Das Verschwinden der 43 Studenten von Ayotzinapa im September 2014 und die Ermordung Unschuldiger durch das Militär in Tlatlaya im selben Jahr kennzeichnen die Amtszeit von Peña Nieto. In beiden Fällen blieb der Staatschef seltsam sprachlos.
Der Präsident der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI), der Ende 2012 angetreten war, Mexiko zu befrieden und den Themen Gewalt, Mord und Tod in dem zweitgrößten Land Lateinamerikas Positives entgegenzusetzen, steht nach gut drei Jahren mit dem Rücken zur Wand. Nur noch 23 Prozent der Mexikaner finden, dass Peña einen guten Job macht. Noch nie seit Beginn der Umfragen Mitte der neunziger Jahre hatte ein Präsident zur Hälfte seiner Amtszeit derart niedrige Werte.
Vor allem die Befriedung des Landes ist dem Staatschef gründlich misslungen. Mehr als die Exzesse der Sicherheitskräfte beunruhigt die Bevölkerung, dass in weiten Teilen Mexikos die Gewalt der Kartelle wieder aufflammt. So war der Juli der blutigste Monat in Peña Nietos Amtszeit. Nach offiziellen Angaben starben 2073 Menschen einen gewaltsamen Tod. Das sind 67 pro Tag. Seit Jahresbeginn stieg die Zahl der Morde um 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 12.376. In den ersten drei Peña-Nieto-Jahren (Dezember 2012 bis Dezember 2015) wurden laut Zahlen des mexikanischen Statistikamtes 63.598 Menschen ermordet.

Enrique Peña Nieto
Foto: Dario Lopez-Mills/ APIn keinem Land werden mehr Menschen entführt als in Mexiko, formal immerhin drittgrößte Demokratie der Welt. Hier verschwinden mehr Männer, Frauen und Kinder spurlos als in den finstersten Tagen südamerikanischer Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts: 26.798 Menschen gelten nach offiziellen Zahlen als verschwunden. Und die Täter können sicher sein, straflos davonzukommen. Die Aufklärungsquote bei Gewaltverbrechen liegt bei zwei Prozent. 98 von 100 Mördern und Entführern kommen also ungeschoren davon.
"Strategie der Straflosigkeit"
Sicherheitsexperten haben eine Vielzahl von Gründen für die Situation ausgemacht: Zum einen sind nach der Festnahme von Chapo Guzmán verstärkt wieder Revierkämpfe ausgebrochen. Vor allem das früher verbündete Kartell Jalisco Nueva Generación attackiert das Sinaloa-Syndikat Guzmáns nun in dessen Hochburgen.
Auch hat die Regierung die Sicherheitslage bei Amtsantritt falsch eingeschätzt. "Peña Nieto hat sich zu Beginn seines Mandats von niedrigen Zahlen von Gewalttaten blenden lassen, die aber vor allem lokale Gründe hatten wie in Ciudad Juárez, wo ein Kartell die Oberhand gewann", kritisiert der unabhängige Sicherheitsberater Alejandro Hope. Zudem sei auch die Reform und Stärkung der Sicherheitskräfte nicht vorangekommen.
"In Mexiko gibt es keine Sicherheitsstrategie, sondern eine Strategie der Straflosigkeit", sagt der Korruptions- und Kriminalitätsexperte Edgardo Buscaglia. Peña wiederhole die strukturellen Fehler der Vorgängerregierung von Felipe Calderón, indem er vor allem auf eine militärische Lösung des Problems setze. Zudem begehe Peña Nieto die typischen Fehler der PRI-Regierungen. "Sie hat mit Engeln und Teufeln verhandelt - und so wurde die Organisierte Kriminalität eher noch gestärkt", sagt der Präsident der NGO Instituto de Accion Ciudadana in Mexiko-Stadt.
Wenn die Gewalttaten in diesem Tempo weiter ansteigen, wird die Amtszeit von Peña Nieto mit einem ähnlichen Saldo enden wie die seines Vorgängers Calderón, der den Krieg gegen die Kartelle angefangen hatte. Am Ende seiner Regierungszeit waren 121.923 Gewaltopfer zu beklagen.
Sie kämpfen um die Macht und das Geld - mit brutalsten Mitteln: In Mexiko haben Drogenkartelle dem Staat und ihren Rivalen den Krieg erklärt. SPIEGEL ONLINE zeigt, welche Syndikate welche Regionen kontrollieren, und erklärt, wer die Hintermänner sind.