
Sinaloa-Kartell nach "Chapo"-Festnahme Die Geschäfte laufen auch ohne den Boss

"Chapo" Guzmán nach seiner Festnahme: Ein halbes Jahr war er auf der Flucht
Foto: HO/ AFP
Es sollte eine triumphale Botschaft sein, mit der Mexikos Innenminister Miguel Ángel Osorio Chong dieser Tage an die Öffentlichkeit ging. Die Festnahme von Joaquín "El Chapo" Guzmán, dem Chef des Sinaloa-Syndikats, sei ein harter Schlag für das organisierte Verbrechen, sagte der Politiker in einem Zeitungsinterview. Schmuggler, Verbrecher und Mafias würden in Mexiko zunehmend in die Enge getrieben, behauptete Osorio Chong im Gespräch mit dem Blatt "La Jornada".
Die Mörderbande der Zetas, eine der gefürchtetsten des Landes, sei nach einer Reihe von Festnahmen und Tötungen ihrer Anführer weitgehend "pulverisiert". Das Kartell Jalisco Nueva Generación, von den USA als eine der mächtigsten kriminellen Gruppen Mexikos eingestuft, stehe unter massivem Druck. Vor allem aber das Sinaloa-Kartell sei nicht mehr dasselbe. Die Behörden würden entschlossen gegen die finanzielle und logistische Struktur der Verbrecherorganisation vorgehen, insistierte Osorio Chong.
Kriminalitätsexperten halten die Einschätzung des Ministers für falsch, sie zählen Guzmáns Kartell nach wie vor zu den fünf größten Verbrecherorganisationen der Welt. Und auch die Fahnder der US-Anti-Drogen-Behörde DEA haben andere Erkenntnisse. Demnach ist das Kartell aus dem Nordwesten Mexikos der größte Rauschgiftlieferant der USA, dominiert dort den Markt für Kokain, Heroin, Marihuana und Amphetamine.
Laut US-Justizministerium bringen die Sinaloa-Schmuggler und ihre Partner jeden Monat zwei Tonnen Kokain und zehn Tonnen Marihuana in mehr als tausend US-Städten an den Konsumenten.
An dieser Verbreitung hatte auch die vorletzte Festnahme Guzmáns im Februar 2014 nichts geändert. Laut DEA-Dokumenten führte der Drogenboss bis zu seiner Flucht im Juli 2015 das Kartell über seine Anwälte und ein von korrupten Wärtern geschmuggeltes Mobiltelefon weiter. Den Rest der Arbeit erledigte sein Partner Ismael "El Mayo" Zambada, der sich vermutlich irgendwo in den Weiten der Sierra des Bundesstaates Sinaloa versteckt.
Sie kämpfen um die Macht und das Geld - mit brutalsten Mitteln: In Mexiko haben Drogenkartelle dem Staat und ihren Rivalen den Krieg erklärt. SPIEGEL ONLINE zeigt, welche Syndikate welche Regionen kontrollieren, und erklärt, wer die Hintermänner sind.
Die kongeniale Allianz zweier der ältesten Mafiabosse Mexikos hat das Sinaloa-Kartell zur dominierenden Organisation nicht nur in den USA, sondern auch in knapp einem Drittel der mexikanischen Bundesstaaten gemacht. Das Syndikat schickt sein Rauschgift von dort aus nach Australien, Afrika, Asien, Europa. Angeblich sendet "El Chapo" seine Mitarbeiter auf Fortbildungsmission: Zumindest will Schauspieler Sean Penn bei einem Treffen mit Guzmán erfahren haben, dass dessen Tunnelbauexperten drei Monate zur Weiterbildung in Deutschland verbrachten.
Für Edgardo Buscaglia, Kriminalitätsexperte und Leiter des International Law and Economic Development Centre in Mexiko, ist das Sinaloa-Kartell ein Großunternehmen des Organisierten Verbrechens, aktiv in mehr als 50 Ländern weltweit. Die Mafia verdient mit Menschenhandel, Rohstoffen und Produktpiraterie ein Vermögen - ob Guzmán nun gerade im Knast sitzt oder nicht, spielt dabei keine große Rolle.
Nach Berechnungen des US-Wirtschaftsmagazins "Fortune" vom September 2014 auf Grundlage von Informationen der US-Regierung und Forschungseinrichtungen streicht das Sinaloa-Kartell allein drei Milliarden Dollar jährlich mit dem Rauschgiftschmuggel in die USA ein. "Dazu kommen dann noch die Gewinne aus Erpressung, Schmuggel anderer Produkte, Menschen- und Waffenhandel," sagt Buscaglia.
"Lediglich ein moralischer Sieg"
"Chapo" Guzmán nach seiner Festnahme: Ein halbes Jahr war er auf der Flucht
Foto: HO/ AFPDie Festnahme Guzmáns garantiere in keiner Weise die Zerschlagung des Syndikats, sagt Buscaglia im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. In einem Land wie Mexiko mit korrupten Politikern und bestechlicher Justiz bleibe eine solche Festnahme ohne Folgen.
Die Ergreifung großer Bosse nutze nichts, so Buscaglia, wenn nicht zugleich das politische System bekämpft werde, das sie geschaffen habe oder möglich mache. "Die am besten organisierte Kriminalität sitzt noch immer in der Regierung. Es sind all die Gouverneure, Minister und staatlichen Helfershelfer, die Chapos Ausbrüche ermöglicht und seine Finanznetze und Firmen unangetastet gelassen haben."
Zudem sei "Chapo" Guzmán nur eine der Führungsfiguren des Sinaloa-Netzwerks, das horizontal organisiert sei, Tausende Franchise-Ableger in der legalen Wirtschaft habe und ständig taktische Allianzen schmiede. Den Platz von Guzmán werde ein anderer Kopf des Kartells einnehmen, fügt Buscaglia an: "Es ist, als ob man bei einer Großbank einen Vorstand austauscht. Dann gehen die Geschäfte auch ungehindert weiter."
Eine ähnliche Auffassung vertritt Michael S. Vigil, Ex-Chef der internationalen Einsätze bei der DEA: "'Chapos' Verhaftung ist lediglich ein moralischer Sieg, aber ohne jegliche Auswirkungen auf die Geschäfte des Kartells", sagte er der Nachrichtenagentur AP.
Die Situation ändere sich erst dann, wenn Guzmán tatsächlich an die USA ausgeliefert werde, sagt der unabhängige Sicherheitsberater Alejandro Hope. "Dann wird er nicht mehr ungehindert seine Geschäfte aus der Zelle fortführen können." Hope zufolge hat nun gewissermaßen ein Wettlauf begonnen: Wird "El Chapo" ausgeliefert oder kann er vorher wieder ausbrechen?
Im Video: Feuergefecht im Versteck von "El Chapo"
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Soldaten vor dem Hochsicherheitsgefängnis Altiplano in Mexiko: Hier war Drogenboss "El Chapo" Guzmán im Juli 2015 ausgebrochen, hier sitzt er inzwischen wieder ein.
Gepanzertes Fahrzeug vor dem Gefängniseingang: Eine erneute Flucht des Drogenbosses wäre eine große Blamage für den mexikanischen Sicherheitsapparat.
Innenminister Miguel Ángel Osorio Chong schwärmte in einem Zeitungsinterview vom Kampf der Regierung gegen die Drogenkartelle. Vor allem Guzmans Sinaloa-Kartell sei nicht mehr dasselbe. Die Behörden würden entschlossen gegen die finanzielle und logistische Struktur der Verbrecherorganisation vorgehen, insistierte Osorio Chong. Sicherheitsexperten bezweifeln jedoch, dass die Mafia geschwächt ist.
Guzmán droht die Auslieferung in die USA. Hier zeigt einer seiner Anwälte einen Antrag, seinen Mandanten nicht auszuliefern.
Diese Aufnahme stammt aus der Helmkamera eines Soldaten: Die mexikanische Regierung hat ein Video freigegeben, das am 8. Januar den Zugriff auf das letzte Versteck von "El Chapo" zeigt.
Am 11. Januar ließen die Sicherheitskräfte zudem Journalisten in das Haus in der Stadt Los Mochis, wo der Zugriff stattfand.
Einschusslöcher in der Wand: Die Spuren des Einsatzes sind noch deutlich zu sehen.
Die Soldaten stießen auf starken Widerstand. Mehrere Bandenmitglieder wurden bei dem Einsatz getötet.
Die Soldaten nahmen in dem Haus auch mehrere Verdächtige fest. "El Chapo" war zunächst nicht darunter. Der Drogenboss...
...war durch eine versteckte Tür entkommen und...
...durch einen Tunnel in das Abwassersystem unter der Stadt geflohen.
Eine Journalistin im Tunnel, durch den der Drogenboss aus dem Haus entkam. Sicherheitskräfte stellten Guzmán kurz darauf auf einer Ausfallstraße außerhalb der Stadt.
Der Eingang zum Tunnel. Guzmán hat eine Vorliebe für diese Methode. Vor knapp einem halben Jahr war er ebenfalls durch einen Tunnel aus dem Gefängnis Altiplano entkommen.
Die Sicherheitskräfte stellten in dem Haus unter anderem auch DVDs sicher.
Journalisten inspizieren das Haus, in dem "El Chapo" sich versteckte.
Spuren eines dramatischen Einsatzes.
Guzmán hat in Teilen der Bevölkerung großen Rückhalt. Das Feuergefecht zeigt, wie gefährlich "El Chapo" und seine Leute tatsächlich sind.
Das Haus in Los Mochis verfügt laut Ermittlern über vier Schlaf- und fünf Badezimmer. Laut Staatsanwaltschaft war aus dem Haus am Vorabend des Zugriffs Essen für 13 Personen bestellt worden.
Innenminister Miguel Ángel Osorio Chong schwärmte in einem Zeitungsinterview vom Kampf der Regierung gegen die Drogenkartelle. Vor allem Guzmans Sinaloa-Kartell sei nicht mehr dasselbe. Die Behörden würden entschlossen gegen die finanzielle und logistische Struktur der Verbrecherorganisation vorgehen, insistierte Osorio Chong. Sicherheitsexperten bezweifeln jedoch, dass die Mafia geschwächt ist.
Foto: EDGARD GARRIDO/ REUTERSIm Juli 2015 zeigt Mexikos Staatsanwältin Arely Gómez ein Foto von Joaquín "El Chapo" Guzmán - da war der berüchtigte Drogenboss gerade aus dem Gefängnis geflohen. Nun ist Guzmán wieder gefasst worden.
Guzmán war durch einen anderthalb Kilometer langen Tunnel aus dem Hochsicherheitsgefängnis Altiplano geflohen. Im Tunnel fanden Ermittler unter anderem ein Motorrad, das...
...auf Schienen fahren konnte.
Die Maschine diente quasi als Lokomotive für die angehängten Wagen.
Der "Chapo" in seiner Zelle im Hochsicherheitsgefängnis Altiplano (Archiv): Die Aufnahme der Überwachungskamera zeigt den Kartellboss auf dem Weg in den Waschbereich. Genau dort, unter der Dusche, endete der etwa eineinhalb Kilometer lange Tunnel.
Entscheidende Trennwand: In der Dusche war der Eingang in den Tunnel - der Bereich wurde von Sicherheitskameras nicht überwacht.
In die Freiheit gelangte der Drogenboss über eine Holzleiter mit 17 Sprossen.
Der Tunnel endete in einem Rohbau unweit des Gefängnisgeländes.
Das unscheinbare Gebäude schützte die Tunnelerbauer davor, entdeckt zu werden.
Guzmán war im Februar 2014 festgenommen worden - nachdem er jahrelang im Untergrund gelebt und das Sinaloa-Kartell angeführt hatte.
Bis zu seiner Festnahme gab es keine aktuellen Bilder des Drogenbosses, der "El Chapo", "der Kurze" genannt wird. Dieses undatierte Foto hatten mexikanische Ermittler 1993 veröffentlicht.
Die Ermittler kamen Guzmán nur schwer auf die Spur - auch, weil er in der Bevölkerung viel Rückhalt genießt.
Die Festnahme Guzmáns 2014 war ein großer Erfolg für Präsident Enrique Peña Nieto und seinen Sicherheitsapparat. Und ebenso düpiert waren sie durch seine Flucht knapp anderthalb Jahre später.
Guzmán wurde mit großem Aufwand gesucht, dennoch dauerte es knapp sechs Monate, bis er nun wieder gefasst wurde.
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